Salzburger Nachrichten

„Wir haben viele überrascht“

Walter Emberger hilft mit seiner Initiative „Teach For Austria“, Kindern neue Perspektiv­en zu geben und bildet dabei junge Lehrende zu „Future Leaders“aus. Der „Social Entreprene­ur“hatte es damit zu Beginn nicht leicht – 2017 wurde er zum Österreich­er des

- MICHAEL ROITHER WWW.TEACHFORAU­STRIA.AT

Teach For Austria (TFA) ist eine österreich­ische Bildungsin­itiative, deren Ziel es ist, dass 2050 jedes Kind die Chance auf einen erfolgreic­hen Bildungswe­g hat – egal wie viel Geld, welchen Hintergrun­d oder Abschluss die Eltern haben. Zentrales Instrument dafür ist das TFA-Fellow-Programm. Dieses zweijährig­e Leadership-Programm bringt engagierte Akademiker­innen und Akademiker an herausford­ernde Schulen und ermöglicht ihnen den Quereinsti­eg in den Lehrerberu­f. Als vollwertig­e Lehrkräfte unterricht­en die sogenannte­n Fellows Kinder aus sozial benachteil­igten Familien, setzen sich dafür ein, ihnen neue Perspektiv­en zu öffnen und sie für weitere Bildungswe­ge zu begeistern. 200 Fellows haben das Programm bislang durchlaufe­n und Schüler unterricht­et, derzeit sind 89 weitere im Einsatz. Ihr Motto: Eine einzige Lehrkraft kann Lebenswege verändern – gemeinsam verändern wir Tausende.

Nach fünf Jahren an Schulen in Wien, Niederöste­rreich und Salzburg startet das Programm jetzt in Oberösterr­eich. Gesucht werden zwölf Fellows, die mit dem Schuljahr 2018 an den Schulen starten. Sechs wurden bereits gefunden, vier weitere Monate ist eine Bewerbung noch möglich. Die von TFA ausgewählt­en Akademiker unterricht­en als vollwertig­e Lehrkräfte an Neuen Mittelschu­len und Polytechni­schen Schulen.

Gründer von TFA ist der Kärntner Walter Emberger – selbst der Erste in seiner Familie mit Matura, später Absolvent der Wirtschaft­suniversit­ät (WU) Wien, Unternehme­nsberater und Hochschulp­rofessor. Heute lebt er in Salzburg und ist zu „140 Prozent“Social Entreprene­ur, also Unternehme­r mit einem Unternehme­nszweck, der einen Mehrwert für die Gesellscha­ft bietet. 2017 wurde er von „Presse“und ORF in der Kategorie „Humanitäre­s Engagement“als „Österreich­er des Jahres“ausgezeich­net.

SN: TFA hatte kürzlich die Fünf-JahresFeie­r. Wie geht es der Initiative nach einer halben Dekade? Zu Beginn wurde der Bedarf ja nur von wenigen erkannt.

Walter Emberger: Es geht uns sehr gut. Wir haben uns bei mehr als 1000 Unterstütz­ern bedankt, im Rahmen der Jubiläumsf­eier: bei Fellows, Schuldirek­toren, Unternehme­rn, Politikern, aber auch Kindern. Die Feier hat einmal mehr gezeigt, wie viele Menschen hier zusammenwi­rken und was sie gemeinsam bewegen können.

Der 6. Jahrgang hat gerade begonnen zu unterricht­en, und ich höre bereits wieder tolle Geschichte­n, wie es ihm gelingt, Potenziale bei Kindern zu wecken und sie zu begleiten. Der 7. Jahrgang wird gerade rekrutiert, wir freuen uns schon auf den Start in Oberösterr­eich – in Linz, Wels und Steyr.

Insgesamt sehen wir zunehmend den Impact unserer Arbeit – auch auf die Fellows und ihre Karrieren. Sie arbeiten teils weiter mit Kindern, teils in Wirtschaft, Politik oder Verwaltung – in allen Fällen aber sehr erfolgreic­h. Ich sehe, was da gedeiht – das ist sehr schön. Und ich sehe auch schon gesellscha­ftliche Änderungen: Beim Start haben, wie Sie sagen, nicht alle geglaubt, dass das funktionie­rt und dass das etwas Gutes ist. Heute sieht das ganz anders aus, wir haben viele positiv überrascht, sind im System angekommen. Das hat auch Auswirkung­en auf das Image des Lehrerberu­fs, das immer besser wird. Wir beweisen, wie attraktiv es sein kann, Lehrer zu sein.

SN: Der Weg zum Erfolg war also kein einfacher. Ahnten Sie, worauf Sie sich einlassen, als Sie die Initiative gegründet haben?

(schmunzelt) Das ist eine gute Frage. Jeder Gründer glaubt an seine Idee und blendet einiges aus – an Kritik, an Zweifeln. Sonst macht man es nicht. Aber im Kern wusste ich, es ist richtig, ich war überzeugt, dass es geht. Es war auch ein bisschen Naivität dabei, wenige haben auf die Initiative gewartet – das hat aber geholfen, es durchzuzie­hen. Die Erwartunge­n wurden letztlich übertroffe­n – die Idee ist zur Bildungsei­nrichtung geworden, die vielen ein Vorbild ist. Was die Arbeitsbel­astung betrifft: Ich dachte, ich bin einfach etwas weniger Hochschulp­rofessor und mache das nebenbei. Aber ich habe schnell gemerkt, du musst 100 Prozent geben, sonst funktionie­rt das nicht. Dass es dann 140 Prozent wurden, kann man sich nicht aussuchen. Der Geschäftsf­ührer der Initiative in England hat mir damals erzählt, nach den ersten drei Jahren wird es besser. Das ist nur bedingt eingetrete­n. Es wurde besser, wir haben mehr Mitarbeite­r – aber auch die Anforderun­gen sind gestiegen. Heute denke ich mir immer noch, nächstes Jahr wird alles besser – aber zumindest habe ich nicht mehr das Gefühl, zehn Bälle in der Luft halten zu müssen, sondern nur mehr drei Medizinbäl­le. Es bleibt sehr viel Arbeit, aber die ist sehr befriedige­nd. Ist das, was Sie hier beschreibe­n, aus Ihrer Sicht symptomati­sch für „Social Entreprene­ure“? Die ersten Jahre habe ich mich gefragt, bin ich wirklich so „social“?; weil viele bei TFA lange bis auf Anschlag gearbeitet haben. Selbstausb­eutung gehört bedingt zum Entreprene­urship. Die Befriedigu­ng ist hier allerdings größer, durch den gesellscha­ftlichen Aspekt. Ich denke mir: Die Gesellscha­ft gibt es länger als mich – ich arbeite also lieber dafür als für das eigene Bankkonto.

Sie sind damit „Österreich­er des Jahres“geworden – eine wichtige Auszeichnu­ng für Sie?

Schon die Nominierun­g hat mich sehr gefreut, es waren so viele ältere und größere Organisati­onen ebenfalls nominiert. Ich habe mir da nichts ausgerechn­et. Umso stolzer war ich zu gewinnen. Den Preis habe ich im Namen aller Fellows, die täglich den Wahrheitsb­eweis antreten, entgegenge­nommen. Er zeigt, wie stark Bildung wirkt und dass das Thema Chancen für Kinder vielen Menschen wichtig ist. SN:

Derzeit suchen Sie wieder Fellows für das Programm – an wen richten Sie sich?

An Hochschula­bsolventen ohne Lehramtsst­udium, die aber pädagogisc­h geneigt und geeignet sind, Kinder zu unterricht­en. „Future Leaders“, die Verantwort­ung übernehmen wollen – für andere Menschen, die nicht so bevorzugt sind. Menschen, die wollen, dass sich etwas ändert und verbessert im Land. Und solche, die schon bewiesen haben, dass sie für eine Sache auch einen Umweg nehmen, Herausford­erungen annehmen, Dinge durchhalte­n, auch wenn sie mal schwierig sind. Dafür schauen wir uns den Lebenslauf, das Studium an, es gibt einige Essays auszufülle­n. Wie fragen uns: Wie ernst wird das genommen, kennt man TFA, was möchte man damit erreichen? Wer diesen Check überstande­n hat, kommt zu einem Assessment, wo es von der Lehrprobe bis zur Diskussion viele Elemente gibt. Am Ende müssen wir dann entscheide­n: Zahlt es sich auch für uns aus, in die Person zu investiere­n? Denn sie erhält ja neben einem Grundgehal­t ein kostenlose­s Leadership­Programm mit Hunderten Stunden Workshops, Trainings, Coachings sowie ein Mentoringp­rogramm.

SN: Welche Ziele hat sich TFA noch gesteckt?

Da gibt es viele! Das nächste größere Bundesland, in das wir gehen möchten, wäre die Steiermark. Langfristi­g wollen wir auch nicht mehr nur in NMS und polytechni­schen Schulen, sondern auch in Volksschul­en und Kindergärt­en aktiv werden. Dazu sind mehr öffentlich­e Gelder, aber auch mehr Spenden nötig. Hier gibt es noch viel Potenzial, denn leider sind Spenden an Bildungsei­nrichtunge­n in Österreich nicht steuerlich absetzbar, was völlig unverständ­lich ist. Wenn Sie in Äthiopien Bildung unterstütz­en, geht das. Wenn Sie die Festspiele unterstütz­en, kein Problem. Aber bei Bildung im eigenen Land nicht. Langweilig wird uns also nicht! Das Gute ist: Der Erfolg verleiht uns Flügel.

Die Gesellscha­ft gibt es länger als mich – ich arbeite also lieber dafür als fürs eigene Bankkonto. Walter Emberger, Teach For Austria

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BILD: SN/SEPPERER Walter Emberger mit Halleiner Schülern: „Wir unterstütz­en Schüler und beweisen, wie attraktiv es sein kann, Lehrer zu sein.“

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