„Wir haben viele überrascht“
Walter Emberger hilft mit seiner Initiative „Teach For Austria“, Kindern neue Perspektiven zu geben und bildet dabei junge Lehrende zu „Future Leaders“aus. Der „Social Entrepreneur“hatte es damit zu Beginn nicht leicht – 2017 wurde er zum Österreicher des
Teach For Austria (TFA) ist eine österreichische Bildungsinitiative, deren Ziel es ist, dass 2050 jedes Kind die Chance auf einen erfolgreichen Bildungsweg hat – egal wie viel Geld, welchen Hintergrund oder Abschluss die Eltern haben. Zentrales Instrument dafür ist das TFA-Fellow-Programm. Dieses zweijährige Leadership-Programm bringt engagierte Akademikerinnen und Akademiker an herausfordernde Schulen und ermöglicht ihnen den Quereinstieg in den Lehrerberuf. Als vollwertige Lehrkräfte unterrichten die sogenannten Fellows Kinder aus sozial benachteiligten Familien, setzen sich dafür ein, ihnen neue Perspektiven zu öffnen und sie für weitere Bildungswege zu begeistern. 200 Fellows haben das Programm bislang durchlaufen und Schüler unterrichtet, derzeit sind 89 weitere im Einsatz. Ihr Motto: Eine einzige Lehrkraft kann Lebenswege verändern – gemeinsam verändern wir Tausende.
Nach fünf Jahren an Schulen in Wien, Niederösterreich und Salzburg startet das Programm jetzt in Oberösterreich. Gesucht werden zwölf Fellows, die mit dem Schuljahr 2018 an den Schulen starten. Sechs wurden bereits gefunden, vier weitere Monate ist eine Bewerbung noch möglich. Die von TFA ausgewählten Akademiker unterrichten als vollwertige Lehrkräfte an Neuen Mittelschulen und Polytechnischen Schulen.
Gründer von TFA ist der Kärntner Walter Emberger – selbst der Erste in seiner Familie mit Matura, später Absolvent der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien, Unternehmensberater und Hochschulprofessor. Heute lebt er in Salzburg und ist zu „140 Prozent“Social Entrepreneur, also Unternehmer mit einem Unternehmenszweck, der einen Mehrwert für die Gesellschaft bietet. 2017 wurde er von „Presse“und ORF in der Kategorie „Humanitäres Engagement“als „Österreicher des Jahres“ausgezeichnet.
SN: TFA hatte kürzlich die Fünf-JahresFeier. Wie geht es der Initiative nach einer halben Dekade? Zu Beginn wurde der Bedarf ja nur von wenigen erkannt.
Walter Emberger: Es geht uns sehr gut. Wir haben uns bei mehr als 1000 Unterstützern bedankt, im Rahmen der Jubiläumsfeier: bei Fellows, Schuldirektoren, Unternehmern, Politikern, aber auch Kindern. Die Feier hat einmal mehr gezeigt, wie viele Menschen hier zusammenwirken und was sie gemeinsam bewegen können.
Der 6. Jahrgang hat gerade begonnen zu unterrichten, und ich höre bereits wieder tolle Geschichten, wie es ihm gelingt, Potenziale bei Kindern zu wecken und sie zu begleiten. Der 7. Jahrgang wird gerade rekrutiert, wir freuen uns schon auf den Start in Oberösterreich – in Linz, Wels und Steyr.
Insgesamt sehen wir zunehmend den Impact unserer Arbeit – auch auf die Fellows und ihre Karrieren. Sie arbeiten teils weiter mit Kindern, teils in Wirtschaft, Politik oder Verwaltung – in allen Fällen aber sehr erfolgreich. Ich sehe, was da gedeiht – das ist sehr schön. Und ich sehe auch schon gesellschaftliche Änderungen: Beim Start haben, wie Sie sagen, nicht alle geglaubt, dass das funktioniert und dass das etwas Gutes ist. Heute sieht das ganz anders aus, wir haben viele positiv überrascht, sind im System angekommen. Das hat auch Auswirkungen auf das Image des Lehrerberufs, das immer besser wird. Wir beweisen, wie attraktiv es sein kann, Lehrer zu sein.
SN: Der Weg zum Erfolg war also kein einfacher. Ahnten Sie, worauf Sie sich einlassen, als Sie die Initiative gegründet haben?
(schmunzelt) Das ist eine gute Frage. Jeder Gründer glaubt an seine Idee und blendet einiges aus – an Kritik, an Zweifeln. Sonst macht man es nicht. Aber im Kern wusste ich, es ist richtig, ich war überzeugt, dass es geht. Es war auch ein bisschen Naivität dabei, wenige haben auf die Initiative gewartet – das hat aber geholfen, es durchzuziehen. Die Erwartungen wurden letztlich übertroffen – die Idee ist zur Bildungseinrichtung geworden, die vielen ein Vorbild ist. Was die Arbeitsbelastung betrifft: Ich dachte, ich bin einfach etwas weniger Hochschulprofessor und mache das nebenbei. Aber ich habe schnell gemerkt, du musst 100 Prozent geben, sonst funktioniert das nicht. Dass es dann 140 Prozent wurden, kann man sich nicht aussuchen. Der Geschäftsführer der Initiative in England hat mir damals erzählt, nach den ersten drei Jahren wird es besser. Das ist nur bedingt eingetreten. Es wurde besser, wir haben mehr Mitarbeiter – aber auch die Anforderungen sind gestiegen. Heute denke ich mir immer noch, nächstes Jahr wird alles besser – aber zumindest habe ich nicht mehr das Gefühl, zehn Bälle in der Luft halten zu müssen, sondern nur mehr drei Medizinbälle. Es bleibt sehr viel Arbeit, aber die ist sehr befriedigend. Ist das, was Sie hier beschreiben, aus Ihrer Sicht symptomatisch für „Social Entrepreneure“? Die ersten Jahre habe ich mich gefragt, bin ich wirklich so „social“?; weil viele bei TFA lange bis auf Anschlag gearbeitet haben. Selbstausbeutung gehört bedingt zum Entrepreneurship. Die Befriedigung ist hier allerdings größer, durch den gesellschaftlichen Aspekt. Ich denke mir: Die Gesellschaft gibt es länger als mich – ich arbeite also lieber dafür als für das eigene Bankkonto.
Sie sind damit „Österreicher des Jahres“geworden – eine wichtige Auszeichnung für Sie?
Schon die Nominierung hat mich sehr gefreut, es waren so viele ältere und größere Organisationen ebenfalls nominiert. Ich habe mir da nichts ausgerechnet. Umso stolzer war ich zu gewinnen. Den Preis habe ich im Namen aller Fellows, die täglich den Wahrheitsbeweis antreten, entgegengenommen. Er zeigt, wie stark Bildung wirkt und dass das Thema Chancen für Kinder vielen Menschen wichtig ist. SN:
Derzeit suchen Sie wieder Fellows für das Programm – an wen richten Sie sich?
An Hochschulabsolventen ohne Lehramtsstudium, die aber pädagogisch geneigt und geeignet sind, Kinder zu unterrichten. „Future Leaders“, die Verantwortung übernehmen wollen – für andere Menschen, die nicht so bevorzugt sind. Menschen, die wollen, dass sich etwas ändert und verbessert im Land. Und solche, die schon bewiesen haben, dass sie für eine Sache auch einen Umweg nehmen, Herausforderungen annehmen, Dinge durchhalten, auch wenn sie mal schwierig sind. Dafür schauen wir uns den Lebenslauf, das Studium an, es gibt einige Essays auszufüllen. Wie fragen uns: Wie ernst wird das genommen, kennt man TFA, was möchte man damit erreichen? Wer diesen Check überstanden hat, kommt zu einem Assessment, wo es von der Lehrprobe bis zur Diskussion viele Elemente gibt. Am Ende müssen wir dann entscheiden: Zahlt es sich auch für uns aus, in die Person zu investieren? Denn sie erhält ja neben einem Grundgehalt ein kostenloses LeadershipProgramm mit Hunderten Stunden Workshops, Trainings, Coachings sowie ein Mentoringprogramm.
SN: Welche Ziele hat sich TFA noch gesteckt?
Da gibt es viele! Das nächste größere Bundesland, in das wir gehen möchten, wäre die Steiermark. Langfristig wollen wir auch nicht mehr nur in NMS und polytechnischen Schulen, sondern auch in Volksschulen und Kindergärten aktiv werden. Dazu sind mehr öffentliche Gelder, aber auch mehr Spenden nötig. Hier gibt es noch viel Potenzial, denn leider sind Spenden an Bildungseinrichtungen in Österreich nicht steuerlich absetzbar, was völlig unverständlich ist. Wenn Sie in Äthiopien Bildung unterstützen, geht das. Wenn Sie die Festspiele unterstützen, kein Problem. Aber bei Bildung im eigenen Land nicht. Langweilig wird uns also nicht! Das Gute ist: Der Erfolg verleiht uns Flügel.
Die Gesellschaft gibt es länger als mich – ich arbeite also lieber dafür als fürs eigene Bankkonto. Walter Emberger, Teach For Austria