Salzburger Nachrichten

Plädoyer für Offenheit

Das Zentrum der niederländ­ischen Provinz Friesland ist Kulturhaup­tstadt 2018.

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Die bekanntest­en Kinder dieser Stadt sind eine vermeintli­che Spionin, die 1917 von den Franzosen hingericht­et wurde, und ein Maler optischer Täuschunge­n, mit dem sich die Kunstgesch­ichte immer schwergeta­n hat: Mata Hari und Maurits Cornelis Escher.

Zu abseits, zu gering an Bedeutung sind die Kulturange­bote. Dennoch wurde Leeuwarden zu einer der beiden Europäisch­en Kulturhaup­tstädte 2018 ernannt. Denn dieser Titel wird für den Entwurf eines thematisch ausgericht­eten Kulturprog­ramms vergeben, und der konnte die internatio­nale Expertenju­ry überzeugen. So hat Leeuwarden die prominente­n Konkurrent­en Eindhoven und Maastricht überholt.

„Iepen Mienskip“lautet das Thema des Programms. Das ist Friesisch und bedeutet offene, aber auch eigenwilli­ge Gesellscha­ft. Die Wahl der Regionalsp­rache ist mehr als ein selbstbewu­sst gewähltes Symbol. Die gesamte Provinz ist zur Spielstätt­e der Kulturhaup­tstadt erklärt worden, und die Bevölkerun­g war aufgerufen, sich in organisato­rischen wie künstleris­chen Belangen zu beteiligen. Daher: kein internatio­nales Staraufgeb­ot, keine repräsenta­tiven Neubauproj­ekte. Ein Besuch lohnt sich dennoch.

Auf nach Friesland – und als Erstes ins Fries Museum. Mata Hari ist schon da. Eine Ausstellun­g erinnert noch bis 2. April an das Leben der 1876 geborenen Leeuwarden­erin und die Legenden, die sich darum ranken. Ab 28. April ist M. C. Escher an der Reihe. Pflicht ist auch die Dauerausst­ellung mit einer Einführung ins Friesische. Sie erzählt von Königen und Kühen, vom Segeln und Schlittsch­uhlaufen. Man lernt: Friesland ist mehr als nur plattes Land am Meer.

Das 2013 eröffnete Museum liegt am Wilhelmina­plein. Hier gibt sich das kaum 100.000 Einwohner große Leeuwarden großstädti­sch, auch mit dem historisch­en Justizpala­st gleich gegenüber und einem 115 Meter hohen Büroturm am Museumshaf­en. Alt und Neu in teils heftiger Konfrontat­ion – dieses bauliche Merkmal vieler niederländ­ischer Städte findet man auch in der friesische­n Metropole.

Am Rande der Altstadt, im Blokhuispo­ort aus dem 16. Jahrhunder­t, liegt die Zentrale der Kulturhaup­tstadt mit Infozentru­m, Café sowie Ausstellun­gs- und Projekträu­men. In dem Kulturkomp­lex war bis 2007 das Gefängnis. Das neue Hostel erinnert daran, geschlafen wird in Zellen. Opulenter nächtigten die Damen und Herren des Hauses Oranien-Nassau. Bis zum Ende des 18. Jahrhunder­ts residierte­n sie in Leeuwarden als Statthalte­r für die nördlichen Provinzen. Ihre Paläste bereichern noch an vielen Stellen das Stadtbild, mit höchst unterschie­dlicher Nutzung. Während das Nationale Keramikmus­eum im Prinzessin­nenpalast seine Schätze zeigt, ist aus dem Sitz des Statthalte­rs ein Hotel geworden. In einem der ältesten Gebäude, der Kanselarij aus dem 16. Jahrhunder­t, in dem der Hof von Friesland zusammentr­at, wird der Blick in die Zukunft gerichtet. „Places of Hope“stellt Pioniere und Projekte nachhaltig­er Lebensform­en zur Diskussion.

Es wird viel los sein in der Stadt, im postmodern­en Theater De Harmonie ebenso wie im Naturmuseu­m, dem einstigen Stadtwaise­nhaus, und in der Jakobinerk­irche, wo die Nassauer ihre letzte Ruhestätte fanden. Auch das ehemalige jüdische Viertel und der heutige Multikulti-Stadtteil Vorstreek werden ins Programm einbezogen.

Wer den Kalender der Kulturhaup­tstadt überfliegt, dem wird auffallen, dass sehr viele Veranstalt­ungen im Freien stattfinde­n – ganz im Sinne der „offenen Gesellscha­ft“. Vom Wattenmeer und den Westfriesi­schen Inseln bis in die Wälder an der Grenze zur Provinz Drenthe werden vor allem Musikund Kunstproje­kte realisiert.

Landschaft­skunst wird die Küste an mehreren Orten verändern. Auf einem Bauernhof im Dorf Húns geht’s um Biolandwir­tschaft und Kunst, in der früheren Kolonie Frederikso­ord wird die Gründung der „Gesellscha­ft für Wohltätigk­eit“vor 200 Jahren gefeiert. Sie hatte seinerzeit mit landwirtsc­haftlichen Maßnahmen erfolgreic­h die Armut bekämpft und soll 2018 in die Weltkultur­erbeliste aufgenomme­n werden. In Drachten, einem der Zentren der De-Stijlwie auch der Dada-Bewegung, wird im Museum Dr8888 diesen Kunst-Avantgarde­n nachgegang­en. Theo van Doesburg und Kurt Schwitters hatten Freunde in dem friesische­n Städtchen. Eine Wohnung nach Van-Doesburg-Entwürfen kann im Rahmen von Stadtführu­ngen besichtigt werden.

Eine besondere Rolle kommt den friesische­n Dörfern zu, als Veranstalt­ungsorte, aber auch, um das Zusammenge­hörigkeits­gefühl der Bevölkerun­g zu stärken. Viele Dörfer und ihre alten Kirchen sind sehenswert, nicht nur bekannte Orte wie Hindeloope­n am Ijsselmeer oder das idyllische Ijlst bei Sneek.

Wasser ist immer präsent in diesem Land. Bei der Wasserpara­de in Leeuwarden widmen sich Künstler dem Thema, und auf dem dortigen Wassercamp­us wird eine futuristis­che Bar Gäste empfangen. Hier darf dann genetzwerk­t werden, schließlic­h ist die Uni-Stadt europäisch­er Marktführe­r in Sachen Wassertech­nologie.

Nun bekommen all diese Städte von internatio­nalen Künstlern wie Stephan Balkenhol, Mark Dion oder Jaume Plensa entworfene Brunnen. Eine Liebeserkl­ärung an das Wasser und ein Bekenntnis zur „Iepen Mienskip“.

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BILD: SN/TRAUB Erinnerung­en an Mata Hari.

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