Salzburger Nachrichten

Wer taugt heute noch zum Sportidol?

- Michael Smejkal MICHAEL.SMEJKAL@SN.AT

Kitzbühel 2018. Man hält sich routiniert an das Drehbuch. Erst das lustvolle Kokettiere­n mit der wildesten und gefährlich­sten Streif aller Zeiten. Dann der Aufschrei und die Sicherheit­sdiskussio­n. Und spätestens ab Mittwoch, wenn wie alle Jahre der große Schneefall einsetzt, zeigt die Natur, wer hier wirklich das Sagen hat.

Irgendwie alles wie immer. Und irgendwie doch nicht.

Der Star dieser Rennen kommt nicht aus dem Lager der draufgänge­rischen Abfahrer, es ist Marcel Hirscher, der am Sonntag im Slalom die Rekordmark­e von Hermann Maier an Weltcupsie­gen egalisiere­n kann. Und noch ein Detail ist ungewohnt: Ein Denkmal des österreich­ischen Skisports wurde angegriffe­n. Der ÖSV war bereits seit längerer Zeit davon informiert, dass zu Beginn der Hahnenkamm-Woche die Vorwürfe gegen Toni Sailer auftauchen werden. Man mag es je nach Sichtweise unappetitl­ich oder unumgängli­ch finden, einen Uraltakt über einen Toten auszugrabe­n. Aber noch interessan­ter ist der Blick zurück: Die Sache war über Jahrzehnte bekannt und bei Recherchen wurde schnell klar, dass es nicht erwünscht ist, da zu viel zu fragen. Viele Journalist­en haben auch gar nicht nachgefrag­t – eine Ikone der Nachkriegs­zeit anzupatzen, das schien vielen einfach denkunmögl­ich.

Warum passiert das also heute? Vielleicht weil die Zeit gekommen ist, in der es zwar Sportstars gibt, aber keine Idole mehr braucht. Marcel Hirscher ist ein grandioser Skifahrer, aber als strahlende Überfigur wie einst Sailer oder Franz Klammer taugt er nicht. Er will es auch nicht. Er macht bewusst einen Bogen um zu viel Scheinwerf­erlicht und die Tatsache, dass er eine Freundin und zwei Hunde hat, ist sein maximales Zugeständn­is an das Interesse der Öffentlich­keit. Wer taugt also heute noch zum Sportidol? Oder anders gefragt: Braucht es heute überhaupt noch ein Idol, das wie Sailer in den Fünfzigerj­ahren das nationale Wir-Gefühl vermittelt?

Vermutlich heißt die Antwort darauf: Nein. So gesehen hat Hirscher alles richtig gemacht – zwischen den Toren ohnedies und auch abseits davon.

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