#metoo erreicht jetzt auch Mozart
„Die Hochzeit des Figaro“spielt im Salzburger Landestheater in der Villa eines reichen amerikanischen Womanizers.
„Die Hochzeit des Figaro“spielt im Salzburger Landestheater in der Villa eines reichen amerikanischen Womanizers.
Die weiße Villa – mit Pool statt Garten – entpuppt sich mehr und mehr als fashionables Ambiente. Man kann in ihr die immer wieder unterbrochene Hochzeit des Figaro mit Susanna veranstalten, mehr aber noch ist sie die Bühne für den Womanizer, der werkkonform mit Mozart den Titel „Graf“führt, hier aber ein zu Geld gekommener Amerikaner ist. Auf allfällige politische Ambitionen deuten die Bediensteten hin, die zur „Huldigung“Plakate entrollen mit Aufschriften wie „Women’s Rights Are Human Rights“oder „I Say No to Sexual Harassment“– was den Herrn Grafen natürlich nicht wirklich kümmert, er ist hinter jeder Schürze oder Robe her, und am Ende kennt er nicht einmal seine Frau, die im Hochzeitskleid ihrer Bediensteten Susanna steckt.
Aber es treten noch mehr Frauen ins Rampenlicht und führen neue Schilder mit sich: #metoo. Ob da das mozärtliche „Contessa, perdono“noch funktioniert? Immerhin küsst man sich wieder.
Regisseur Jacopo Spirei, schon so etwas wie Hausgast am Salzburger Landestheater mit nun sechs Inszenierungen in neun Spielzeiten, holt also „Le nozze di Figaro“in eine elegante Bussi-Bussi-Gegenwartsgesellschaft. Schon „Così fan tutte“siedelte er auf dem Campus der University of Naples an, und „Don Giovanni“trieb zu Halloween in einer amerikanischen Kleinstadt sein (Un-)Wesen. Im Falle des „Figaro“bleibt Spirei in den Räumen und Kostümen seiner Ausstatterin Bettina Richter trotz der erwähnten plakativen (Über-)Pointierungen zurückhaltend, legt Wert auf überschaubare Personenzeichnung und ein homogenes Ensemblespiel. Das bringt im letzten, dem Garten- resp. Pool-Akt, erhellende Momente, wo man sonst nicht selten im Dunklen tappt. Gleichwohl ist dieses lässige Gesellschaftsspiel im Gesamten dann doch allzu harmlos.
Verlassen kann sich Spirei auf inspirierend charakterstarke, junge und bestens gecastete Sängerinnen und Sänger. Wer Herr im Haus sein wird, zeigt vom ersten Auftritt an Aubrey Allicock als Figaro: ein viriler, geschmeidiger, in klarem Italienisch wendig parlierender, vokal bruchlos geführter formidabler Bariton. Laura Nicorescu als Susanna setzt eher gedeckt lyrische Farben ein, was der Rolle einen durchaus reizvoll melancholischen Flor gibt; am wohlsten scheint sie sich denn auch in den poetischen Momenten mit einer fein ausgesteuerten „Rosenarie“am Schluss zu fühlen. Die Dimension einer treibenden, gar rebellischen Kraft aus Verletztheit aber bleibt sie zu sehr schuldig.
Der Verschmelzungsgrad mit Anne-Fleur Werners feinem, wenn auch noch nicht vollreifen Gräfinnen-Sopran ist oft so hoch, dass man die beiden Timbres nicht deutlich genug unterscheiden kann. Die nötige Seelentiefe ihrer beiden großen Arien wird dieser Contessa mit der Zeit wohl noch zuwachsen, ihre sympathische Stimme darf sich ruhig noch mehr öffnen. Ihr Graf ist ein Hüne, der alle Frauen mühelos um einen Kopf überragt. Stimmlich gibt sich George Humphreys so nobel wie in seiner Erscheinung; der eleganten Weichheit könnte freilich noch mehr zynische Schärfe beigemischt werden. Als Cherubino lässt Shahar Lavi mit einem subtil eingedunkelten, aber im Gesamten etwas farbarmen Mezzo eher zurückhaltend aufhorchen. Frances Pappas und Raimundas Juzuitis sind klug geführte „junge Alte“als Marcellina und Bartolo, Tamara Ivaniš fällt als Barbarina erfreulich aus ihrer Mauerblümchenrolle, auch Michael Schober ist kein polternder, sondern ein der Villenlage adäquater Gärtner, und Gürkan Gider, kurzfristig für Franz Supper eingesprungen, und Alexander Hüttner sind konziser als sonst oft gehörte „krähende“Spieltenöre in ihren solistischen Ensemblerollen.
Vom Orchestergraben aus steuert Adrian Kelly das Geschehen in pointierter Klangrhetorik, die das Mozarteumorchester griffig und plastisch in allen Spiellagen beherrscht. Er behält auch bei kleineren Wackelkontakten Ruhe und Übersicht und holt, wenn nötig, bei da und dort auseinanderdriftenden Tempi alle auf den rechten Weg.
Oper: „Le nozze di Figaro“, Dirigent: Adrian Kelly, Regie: Jacopo Spirei, Landestheater Salzburg, bis 30. Mai.