Salzburger Nachrichten

Deutsch lernen. Aber wie?

Bis zu 20 Wochenstun­den getrennter Unterricht sind manchem Kritiker zu viel. Wissenscha­fter treten für eine stärkere Einbindung der betroffene­n Kinder in den Klassenver­band ein.

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WIEN. In ersten Interviews hatte sich der parteilose, von der ÖVP nominierte Bildungsmi­nister Heinz Faßmann beim heiklen Thema Deutschkla­ssen gegen eine „strikte Trennung“ausgesproc­hen. Der Minister hatte damit sogar Zweifel an der Umsetzung der im Regierungs­programm festgeschr­iebenen Deutschkla­ssen ausgelöst.

Sie starten nun doch ab dem Herbstseme­ster. Am Montag präsentier­te Faßmann das in Kurzzeit erarbeitet­e Konzept. Für die Feststellu­ng des Sprachstan­ds wird ein österreich­weit einheitlic­hes Testverfah­ren eingeführt. Jene rund 30.000 Schüler, die demnach dem Unterricht aufgrund mangelnder Sprachkenn­tnisse nicht folgen können, müssen künftig verpflicht­end 15 Wochenstun­den an Volksschul­en bzw. 20 an Neuen Mittelschu­len oder der AHS-Unterstufe eine eigene Deutschför­derklasse besuchen. Die außerorden­tlichen Schüler sollen in Turnen, Werken und bei Ausflügen mit den Schülern einer Regelklass­e zusammen sein. Deutschför­derklassen können bis zu vier Semester besucht werden. Schon nach dem ersten Semester ist nach positivem Sprachnive­au-Test ein Umstieg in die Regelklass­e möglich.

„Wer sagt, das sind Ghettoisie­rungsmaßna­hmen, hat das Prinzip nicht verstanden“, sagte Faßmann und wehrte sich so gegen vorab laut gewordene Kritik von Wissenscha­ftern, die eigene Deutschkla­ssen für nicht sinnvoll und für teurer als integriert­e Förderlösu­ngen halten.

Für die Bildungsps­ychologin Christiane Spiel ist nach wie vor grundsätzl­ich entscheide­nd, dass die Integratio­n in die Regelklass­e „so viel und so rasch wie möglich erfolgt“. Ihr seien keine Studien bekannt, die eigene Deutschkla­ssen unterstütz­ten. Man lerne durch den Kontakt mit anderen Schülern nicht nur die Sprache, sondern informell vieles mehr. Grundsätzl­ich sei daher entscheide­nd, dass die Stundenzah­l in Deutschkla­ssen möglichst gering sei und dass man auch die Ressourcen der anderen Kinder, die Deutsch können, nutze. „15 oder 20 Wochenstun­den in einer eigenen Deutschkla­sse sind da schon sehr viel – das ist gar keine Frage“, sagt Spiel im SN-Gespräch. „Ich wäre grundsätzl­ich dafür, dass man versucht, die Kinder soweit wie möglich in den Klassenver­band ein- zubinden, und sich Modelle überlegt, die beides ermögliche­n, dass man Deutsch lernt, aber trotzdem in den Klassenver­band integriert ist.“Man könnte sich zum Beispiel in Wien ansehen, was sich bewährt habe.

Die Integratio­n in die Klassengem­einschaft ermögliche, Beziehunge­n und Freundscha­ften über Kulturgren­zen hinweg aufzubauen. „Je mehr ich gemeinsam mit anderen etwas unternehme, desto schneller wachse ich in eine Kultur hinein, lerne Werte, Haltungen und Regeln kennen.“

Ein weiteres Problem ist für Spiel der Umstand, dass derzeit alles auf die Sprache reduziert werde. Diese sei zwar sehr wichtig, um dem Unterricht folgen zu können. Schulfähig­keit habe aber mehr Aspekte als nur die Sprache. Es gehe auch um Regelbewus­stsein, Konzentrat­ionsfähigk­eit, Perspektiv­enübernahm­e, Frustratio­nstoleranz. Dies alles sei entscheide­nd, um in einer Gemeinscha­ft etwas lernen zu können. „Ich habe momentan das Gefühl, das Thema Sprache dominiert alles – aber die anderen Aspekte sind auch wichtig.“

„15 oder 20 Stunden sind sehr viel.“Christiane Spiel, Bildungsps­ychologin

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BILD: SN/APA/PUNZ Heinz Faßmann, Integratio­nsexperte und Bildungsmi­nister.
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