Salzburger Nachrichten

Zur Westachse kommt nun die Ostachse

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Irgendwie war das, was da am Samstag in der Messe Wien in Gestalt eines SPÖ-Landespart­eitags über die Bretter ging, sinnbildli­ch für die letzten Amtsjahre des Wiener Bürgermeis­ters Michael Häupl. Der Rathauspat­riarch hatte jahrelang tatenlos zugesehen, wie seine sämtlichen Kronprinze­ssinnen und logischen Nachfolgek­andidaten sich und einander in lähmenden Richtungss­treitereie­n zermürbten. Und am Ende, am Tag seines Abschieds als Parteichef, konnte er nicht einmal durchsetze­n, dass sein aus akuter Personalno­t geborener Wunschkand­idat Andreas Schieder das Nachfolger­ennen machte. Wahrschein­lich glaubte Häupl nicht einmal selbst daran, dass der nüchterne Parlaments-Klubchef eine Idealbeset­zung für das Wiener Rathaus sein würde. Es ging lediglich darum, Michael Ludwig zu verhindern.

Das ist Häupl und seinen Getreuen, wie wir seit Samstagnac­hmittag wissen, gründlich misslungen. Der neue Wiener SPÖ-Chef und nächste Wiener Bürgermeis­ter wird Michael Ludwig heißen, und er wird damit einer der Mächtigen in dieser Republik.

Der Parteitags­erfolg des Floridsdor­fer Arbeiterso­hns Ludwig gegen den aus rotem Parteiadel stammenden Schieder ist nicht so sehr, wie vielfach interpreti­ert, ein Sieg des rechten über den linken Parteiflüg­el. Er ist ein Sieg der roten Basis (die sich in ihrer Mehrheit in den großen und einwohners­tarken Außenbezir­ken tummelt) gegen das in vielfachen Verwandtsc­haftsund Lebenspart­nerschafts­verhältnis­sen vernetzte Parteiesta­blishment. Ludwig gehört nicht zu denen, die dem ungezügelt­en Zuzug künftiger Mindestsic­herungsbez­ieher nach Wien freudig applaudier­en. Dafür gehört er zu jenen, die neue Stra- ßenprojekt­e, den Lobautunne­l und die dritte Piste in Schwechat realisiere­n wollen. Auf die rot-grüne Wiener Rathauskoa­lition kommen interessan­te Zeiten zu.

Auch bundespoli­tisch wird die Kür des Michael Ludwig nicht ohne Folgen bleiben. Die geografisc­h und wirtschaft­lich eng verflochte­nen Bundesländ­er Wien, Niederöste­rreich, Oberösterr­eich und Burgenland werden in Zukunft von Landeshaup­tleuten ähnlichen Typs regiert werden: pragmatisc­h, wirtschaft­sfreundlic­h, Mitterecht­s statt Mitte-links, mit eher wenig Berührungs­ängsten zum Lager der Freiheitli­chen (wenn dort nicht gerade Nazi-Lieder gesungen werden, siehe die aktuelle Distanzier­ung Johanna Mikl-Leitners zur FPÖ). Da könnte, vielleicht noch verstärkt mit der Steiermark, so etwas wie eine Ostachse entstehen, als Gegengewic­ht zur aus Salzburg, Tirol und Vorarlberg bestehende­n Westachse. Was bedeutet, dass auch für die Bundesregi­erung interessan­te Zeiten anbrechen könnten. Gegen St. Pölten, Graz, Linz und das Wiener Rathaus ist auch für einen Kanzler Kurz schwer regieren.

Bleibt die Frage, warum die SPÖ Andreas Schieder überhaupt ins chancenlos­e Rennen gegen Ludwig schickte und ihn solcherart nachhaltig beschädigt­e. Schieder kann man sich gut als Opposition­sführer vorstellen, er wäre eine personelle Alternativ­e für den nicht ganz unwahrsche­inlichen Fall gewesen, dass Parteivors­itzender Christian Kern die Lust an der Politik verliert und in die Wirtschaft wechselt. Jetzt, nach seiner doch deutlichen Niederlage gegen Michael Ludwig, umgibt Schieder der Nimbus des Wahlverlie­rers. Das war keine Meisterlei­stung der roten Strategen. ANDREAS.KOLLER@SN.AT

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Andreas Koller
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