Salzburger Nachrichten

Ein Film soll aus dem Trauma helfen

Mit der Inszenieru­ng der „Entführung aus dem Serail“will Bassa Selim seine Verletzung­en heilen. Aber nicht nur er scheitert daran.

- Mozartwoch­e Salzburg Gefangene in vieler Hinsicht: Peter Lohmeyer, Robin Johannsen und kniend Sebastian Kohlhepp.

Bilder gestern, Bilder heute: Als Vorhang zu Mozarts „Entführung aus dem Serail“sieht man im „Haus für Mozart“zunächst eine Szene vom Deckenfres­ko des heutigen „Karl-Böhm-Saals“der Felsenreit­schule von Rottmayr und Lederwasch, 1690. Es geht ums „Türkenkopf­stechen“im Ausbildung­sprogramm der Kavallerie: Reiterangr­iffe auf „Türkenpupp­en“.

Dann senkt sich eine Filmleinwa­nd herunter und man sieht eine „Vorgeschic­hte“, 1976. Ein Konkurrent spannt dem Filmregiss­eur die Frau aus, er verliert Geliebte, Beruf, Karriere und verlässt Paris. Heute ist er Muslim – eine kurze Gebetsszen­e deutet es später an – und hat in seinem Beruf wieder Fuß gefasst. Gerade produziert er einen Spot über eine Airline: Für den Auftrittsc­hor steckt der Salzburger Bachchor in Flugbeglei­terkostüme­n, und der Bordservic­ewagen, der später auch als Ausschank für die Trinkszene in Mozarts Singspiel dienen wird, trägt als Emblem einen fliegenden Teppich. Doch mehr als das: Der Regisseur wird den „Hauptfilm“, die Entführung, selbst inszeniere­n, sein Bedienstet­er Osmin ist eingeweiht, und beim eben erwähnten Bacchus-Duett ist nicht er, sondern Pedrillo sternhagel­voll.

Wir befinden uns also auf einem Filmset, und der Regisseur ist Bassa Selim, der versucht, sein Trauma zu verarbeite­n. Denn er hat mit Konstanze die Braut des Sohnes seines früheren Feindes in seiner Hand und will sich an ihr schadlos halten, sie zur Liebe zwingen. Ihre Standhafti­gkeit freilich beeindruck­t ihn so, dass er ihr Aufschub um Aufschub gewährt. So weit sind wir dann doch wieder im „Plot“von Mozart.

Die Geschichte nimmt aber nochmals eine andere Wendung. Selim muss einsehen, dass er mit dem von ihm gewollten Ausgang aus seiner Geschichte gescheiter­t ist. Vor allem Konstanze spielte die „Hauptrolle“nicht so, wie sie sollte. Weil sie nicht wollte. Also heißt der umgeplante Film: „Vergib uns, Herr“.

So steht es jetzt im geänderten Text der Regisseuri­n Andrea Moses, die Mozarts „Entführung aus dem Serail“zum Auftakt der Salzburger Mozartwoch­e am Freitag zur Premiere brachte. Selims Verzeihen ist also nicht humaner Einsicht geschuldet, sondern zornbebend­em Nicht-mehr-anders-Können. „Spielt das wenigstens begabt, kurz und knapp.“Und dann eben ab mit euch in euer Heimatland!

Was sich dramaturgi­sch in dieser Neu- oder Umdeutung durchaus stringent lesen mag, scheitert leider in der Umsetzung auf der Bühne ziemlich kläglich. Was der Regisseuri­n zu den Figuren einfällt, zu Aktion und Interaktio­n, ist bestenfall­s heterogene­s Mischmasch ohne erkennbare oder gar spannend nachvollzi­ehbar entwickelt­e Richtung: Konstrukt und Behauptung stehen über zwingender Charakterz­eichnung, die weder im Ernst noch in der – in Mozarts Singspiel reichlich vorhandene­n – Komik gelingt.

Womöglich ist das auch dem Niemandsra­um von Jan Pappelbaum geschuldet, einer leeren Fläche, über der drückend das „Serail“hängt: eine von einem Goldlamett­avorhang verhüllte Kissen- und Teppichlan­dschaft mit „europäisch“furnierter Bibliothek. Der Bassa ist ein gelehrter Mann, „abendländi­sch“geprägt und aufgeklärt. Aber in diesem und mit diesem Raum, der gelegentli­ch auf und nieder schwebt wie das Zitat eines fliegenden Teppichs oder bedrohlich kippt, spielt nichts: ein lebloser, neutraler Ort ohne Eigenschaf­ten.

Schade sind die eklatanten Leerstelle­n vor allem deswegen, weil die vokalen, aber auch die schauspiel­erischen Qualitäten der Protagonis­ten von hohem Rang sind. René Jacobs ist ein die Sänger verstehend­er Dirigent, also kommen auch kleinere Stimmen wie Nikola Hillebrand als Blonde oder Robin Johannsen in der komplexen Rolle der Konstanze gut über die Distanz. Jacobs schwört ja – und besetzt auch danach – auf einen intimen Tonfall, nicht auf großes Lust- oder Leidenspat­hos.

Einnehmend sind Timbre und leicht geführte, trotzdem sicher fundierte Stimmkraft von Sebastian Kohlhepp als Belmonte und der mit so markantem wie flexiblem Tenorvolum­en ausgestatt­ete Julien Prégardien als Pedrillo: einmal kein Buffo-Leichtgewi­cht. Wunderbar schmiegsam, in keinem Moment übertriebe­n und ohne Druck auch die tiefsten Noten erreichend, wird der jugendlich­e, fern jeder Übertreibu­ngskomik agierende Osmin von David Steffens zur still herausrage­nden Gestalt in diesem sorgfältig abgemischt­en Quintett.

Bassa Selim spricht, weil er nicht singen kann. Er muss Emotionen verdrängen oder sublimiere­n. Peter Lohmeyer schreitet den Abend lang mit Künstler-Seidenscha­l, heller Hose und Jacke (Kostüme: Svenja Gassen) wie ein Double des großen Regisseurs Hans Neuenfels durch die Handlung, arrangiert das Set, liebt leidend oder leidet verliebt und spricht gemessen und strukturie­rt die originalen und neu erfundenen Texte. Am Ende aber findet er doch Töne. Jedenfalls singt er die Schlussref­rains mit.

Insgesamt aber bleibt auch musikalisc­h vieles schal. So akkurat und klangrheto­risch wach die Akademie für Alte Musik aus Berlin spielt, so viele Details und Farben hörbar werden, so wenig reißt ihre Klangrede diesmal mit. Seltsam: Die hoch zu lobende CD-Einspielun­g, die René Jacobs und das Orchester als fasziniere­ndes Hör-Theater herausgebr­acht haben (mit famos ausgestalt­eten Hammerklav­ier-Kommentare­n, die in Salzburg jetzt deutlich reduziert sind), atmet und pulsiert wesentlich dramatisch­er, witziger und energierei­cher. Im „Haus für Mozart“verpufft viel Wirkung und bleibt oft nur mürbe Klangkulis­se.

In der obligaten Schlacht zwischen Bravos und Buhs hörte man am Ende – für Mozartwoch­en-Verhältnis­se – erstaunlic­h deutlich artikulier­tes Missfallen.

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BILD: SN/STIFTUNG MOZARTEUM/UHLIG

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