Die Familie als Hölle, die Ehe als Kampfplatz
Regiestar Simon Stone lädt im Akademietheater ein, fünf Stunden mit großartigen Schauspielern im „Hotel Strindberg“zu verbringen.
Im Akademietheater präsentiert Regiestar Simon Stone ein Strindberg-„Reader’s Digest“. Auf der Basis verschiedener Texte des schwedischen Autors findet Stone das Bild eines Hotels, dessen Zimmern er Stücke und Motive zuweist. Originell, wenn auch nicht neu, ist die Idee, die Räume wie in einem Puppenhaus über- und nebeneinander anzuordnen.
Bühnenbildnerin Alice Babidge etabliert eine gläserne vierte Wand, die alle Szenen gleichzeitig sichtbar macht. Die Schauspieler tragen Mikroports, über Verstärker werden die Gespräche übertragen. Das soll eine besondere Intimität erzeugen, indem leise, ganz private Töne akustisch vergrößert werden. Leider schöpft die Regie die sich dadurch bietenden Möglichkeiten kaum aus, auch mangelt es an technischer Präzision.
Stone konzentriert sich vielmehr auf die Idee der Parallelmontage: Während etwa in einem Hotelzimmer ein tanzendes Paar zu sehen ist, lässt sich im daran angrenzenden Raum ein Zimmermädchen bei der Arbeit beobachten. Trotz räumlicher Nähe trennen sie Welten. Das Thema der inneren Kluft, vor allem in Beziehungen, bestimmt die Inszenierung: Stone variiert August Strindbergs Grundthema und zeigt die Familie als Hölle, die Ehe als Ort des Geschlechterkampfs, der wechselseitigen Demütigung und Vernichtung. Im Hotel Strindberg spielen sich Beziehungsdramen ab, der alltägliche Kampf um die Macht macht vor keinem Zimmer halt, und in den vornehmen Suiten geht es besonders übel zu.
In einer solchen Suite wohnen etwa der Schriftsteller Alfred und seine Frau Charlotte. Nach einem Moment des scheinbar harmonischen Zusammenseins wird schnell klar, dass sie eher Gewohnheit und jahrelanger Machtkampf verbinden. Martin Wuttke und Caroline Peters machen aus diesen Szenen einer Ehe eine tragikomische Farce, die über die Banalität der Dialoge hinwegsehen lässt. Die beiden liefern großartiges Körpertheater, das die Nähe von Vertrautheit und Hass sichtbar macht. Dann flüchten sie voreinander in Unterwäsche, entkommen über das Treppenhaus, wechseln die Zimmer und Sexualpartner. Zusammen mit Roland Koch, der als von seiner Frau verlassener Trinker Klaus sowie geheimnisvoller Concierge zu sehen ist, dominieren sie darstellerisch die knapp fünfstündige Inszenierung, die im Laufe des Abends aus dem Ruder läuft. Stone orientiert sich zwar an Strindberg, hat aber letztlich ein eigenes Stück entwickelt, in dem er ausufernd von Beziehungslosigkeit und sexuellem Konsumwahn erzählt, auf die Me-Too-Debatte ebenso anspielt wie auf Tinder, Pornhub und die unendlichen Möglichkeit, in der digitalen Welt den Geschlechterkampf fortzusetzen. Das Publikum bejubelte die Uraufführung, die äußerlich den Puls der Zeit trifft, im Inneren jedoch weitgehend substanzlos bleibt.
Theater: „Hotel Strindberg“, von Simon Stone nach August Strindberg, Uraufführung, Akademietheater Wien.