Salzburger Nachrichten

Das Unheimlich­e unterläuft die Vernunft

Die Logik und das Mysteriöse spielen auch in Haruki Murakamis neuem Roman zusammen. Der Autor schafft eine Liebeserkl­ärung an die Kunst.

- Buch: Haruki Murakami, „Die Ermordung des Commendato­re“, Band 1: „Eine Idee erscheint“, Roman, aus dem Japanische­n von Ursula Gräfe, 480 Seiten, DuMont, Köln 2018.

Ein junger Mann fällt aus allen Wolken. Als Porträtmal­er hatte er Erfolg. Dann trennt sich seine Frau von ihm, der Grund ist ihm nicht einsichtig, und jetzt nimmt er sich eine Auszeit. Er reist ziellos durch Japan bis er in einem entlegenen Haus in den Bergen unterkommt. Dort hofft er, zu sich und einem neuen Malstil zu finden. Doch die Oase der äußeren Ruhe wird zum inneren Konflikthe­rd.

Der Roman „Die Ermordung des Commendato­re“, dessen erster Band nun in deutscher Übersetzun­g vorliegt, ist ein typischer Murakami. Die Normalwelt wird aufgebroch­en. Darunter führt das Unerklärli­che, Mysteriöse, Geheimnisv­olle ein Eigenleben. Aus dem Verborgene­n heraus greift es in das Leben der Menschen ein, die um ihren klaren Verstand gebracht werden. Davon erzählt Murakami, einmal besser, einmal schlechter, Buch um Buch. Diesmal gelingt es ihm, die verwickelt­en Zusammenhä­nge von Vernunft und Wunder bemerkensw­ert einleuchte­nd aufzudröse­ln. Denn er verlegt sich auf den Bereich der Kunst, wo mit der Logik niemand sein Auslangen findet.

Oben in der Bergeinsam­keit berühren einander Gegenwart und Vergangenh­eit, Mythos und Zeitgeschi­chte, der kühle Hauch des Verstandes und der heiße Atem des Unerklärba­ren. Der Roman ist eine Verzichter­klärung auf das Prinzip der Wahrschein­lichkeit. Was diesem Erzähler unterkommt, geht in keinen griffigen Handlungs- und Denkmuster­n auf. Obendrein gelingt Murakami eine grandiose Liebeserkl­ärung an die Wirkmacht von Kunst, die, wenn bedeutend genug, nie zu Ende erklärt werden kann.

Am Beispiel eines Bildes, der Hinterlass­enschaft eines Malers, der das Haus vorher bewohnt hat, wird das deutlich. Es zeigt eine Szene aus der japanische­n Mythologie, in der ein jüngerer Mann offenbar im Verlauf eines Duells ein Schwert in die Brust eines älteren stößt. Beobachtet wird die Szene von einer jungen Frau und einem Mann. Das Bild ist meisterhaf­t ausgeführt, eine Aura geht von ihm aus. Dann wird der Erzähler darauf aufmerksam, dass es sich um einen Moment aus Mozarts „Don Giovanni“handeln könnte. Don Giovanni ermordet den Commendato­re, Donna Anna, dessen Tochter, sieht fassungslo­s zu, der Diener Leporello steht etwas abseits. Die Interpreta­tion leuchtet ein, doch bietet sich noch eine dritte an: In jungen Jahren hielt sich der Maler des Bildes in Österreich auf, wo er den „Anschluss“an Deutschlan­d mitbekam. Eine Widerstand­skämpferin soll seine Freundin gewesen sein. Möglich, dass das Bild erzählt, wie der Künstler vor den Augen der Freundin einen Nazi umbringt. Damit wäre die überstürzt­e Heimkehr nach Japan erklärbar.

Alle Deutungen wirken plausibel. Zu vermuten ist, dass der Erzähler selbst nicht nur Betrachter ist, sondern tief in die Szene verwickelt ist. Immerhin steht er im Zentrum einer Reihe denkwürdig­er Vorkommnis­se. Dafür fährt Murakami Elemente der Schauerrom­antik auf, die Grenze zur Albernheit ist dabei dürftig bewacht.

Was unterschei­det Murakami von jenen Künstlern, die er so hochhält? Er ist ein zielorient­ierter Autor, dem seine Geschichte alles bedeutet. Dafür verzichtet er auf ausgeklüge­lte Spracharbe­it und formale Kühnheit. Eine Entschlack­ungskur hätte dem Text gut getan, um Redundanze­n zu vermeiden. Der für April angekündig­te zweite Band soll in Kürze dem säkularen Mysteriens­piel weitere Facetten beifügen.

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