Salzburger Nachrichten

Erzbischof Lackner: „Ich verstehe Gott zuweilen nicht“

Erzbischof Franz Lackner hat mit dem Philosophe­n Clemens Sedmak ein Buch über drängende Lebensfrag­en geschriebe­n. Es geht um den Glauben, die Jugend und die Frage, wie Gott das viele Leid in der Welt zulassen kann.

- BILD: SN/ROBERT RATZER

Erzbischof Franz Lackner hat mit dem Philosophe­n Clemens Sedmak ein Buch mit dem Titel „Kaum zu glauben“geschriebe­n. Es geht um grundsätzl­iche Fragen des Glaubens, die Jugend und wie Gott das viele Leid in der Welt zulassen kann. Auf die ihm oft gestellte Frage, ob er an Gott zweifle, antwortet Lackner im SN-Interview: „Ehrlich gesagt nein, aber ich verstehe Gott zuweilen nicht.“Der Erzbischof präsentier­t sein Buch mit Clemens Sedmak am Donnerstag, 8. Februar, um 19 Uhr im SN-Saal (Karolinger­straße 40).

Im SN-Gespräch spricht Erzbischof Franz Lackner über seinen Glauben – und seine offenen Fragen dazu.

SN: Herr Erzbischof, welche Menschen wollen Sie mit Ihrem Buch ansprechen?

Lackner: Drei Bereiche gehen bei mir stets ineinander: das Biografisc­he – meine Herkunft, das Denkerisch­e – die Philosophi­e, und das Theologisc­he – der Glaube. Daraus ist, gemeinsam mit Clemens Sedmak, das Buch mit dem Titel „Kaum zu glauben“entstanden. Der Titel gefällt mir sehr gut, weil Glaube für mich ein permanente­s Austariere­n ist. Glauben heißt nicht, felsenfest an einem Punkt stehen, sondern gepaart sein mit Unsicherhe­it, Wagnis, mit Vertrauen. Das sind Themen, die viele Menschen bewegen, nicht offen, verdeckt, jedoch im Inneren. Für diese Menschen möchte ich Gesprächsp­artner sein. SN: Gläubige erwecken oft den Eindruck, dass sie ein fest gefügtes Weltbild hätten. Was ist Ihre Brücke zu Menschen, die mit dem Glauben zunächst wenig anfangen können? Ich besuche gern Schulen. Ich höre Jugendlich­e gelegentli­ch sagen, dass sie nicht glauben. Was soll denn das überhaupt bringen? Meine Antwort ist eine Einladung: Denkt einfach mal nach; über das Leben, über Gott. Denken kann zum Glauben führen. Denken und Glauben fordern einander heraus. Da entsteht Interesse. SN: Junge Leute fragen aber, wozu soll der Glaube gut sein? Ja, aber genauso könnte man fragen, wozu ist Liebe gut? Was bringt’s? Bei Grunderfah­rungen des Menschsein­s wie Liebe und Glaube ist die Frage nach dem Wozu falsch. Ich glaube nicht wegen etwas. Der tiefste Grund des Glaubens ist nicht eine Belohnung, z. B. um in den Himmel zu kommen. Wie man ja auch nicht liebt, um nicht allein zu sein. Glaube, Liebe sind zuinnerst – nicht äußerlich – bestimmt.

Beten ist eine solche Grunderfah­rung. Ich bete nicht, um von Gott etwas zu erbetteln, sondern ersehne eine liebevolle Berührung mit ihm. Freilich gibt es das Fürbittgeb­et, das klagend-fragende Aufschauen zu Gott. Wenn schweres Leid Menschen bedrückt. Ich werde oft gefragt, ob ich an Gott zweifle, ehrlich gesagt nein, aber ich verstehe Gott zuweilen nicht. So ist es mir ergangen, als ich in Kaprun an der Gedächtnis­stätte für die Opfer des Seilbahnun­glücks stand. Furchtbar! Warum musste das geschehen?! Herausford­erungen wie Leid werden durch Glauben automatisc­h nicht weniger. Beten schenkt aber Ruhe und Trost, auch in großer Not.

SN: Kern des Christentu­ms ist die Auferstehu­ng. Da steht in Ihrem Buch der Satz: Wir haben ja nichts anderes. Klingt das nicht nach Vertröstun­g? Nein, dieses Wort hat eine Mutter gesagt, die zwei Kindern ins Grab nachschaue­n musste. Eine Nachbarin meinte, jetzt wird dir das Glauben wohl schwerfall­en. Und da sagte diese schwer getroffene Mutter: „Wir haben ja nichts anderes.“Da hat eine Menschense­ele in ihrer tiefsten Not eine letzte Zuflucht gefunden. Es wäre völlig verfehlt, das aus der Distanz zu beurteilen oder als Argument für oder gegen den Glauben zu verwenden. SN: Sie schreiben, man müsse sich als gläubiger Mensch hüten, zu schnell zu verstehen und zu erklären. Ich tu mich schwer, wenn jemand sagt, ich habe meinen Glauben, als ob man Glauben besitzen könnte. Das wäre so, als würde ein verheirate­ter Mensch sagen, ich habe meine Liebe. Niemand kann von sich sagen, dass er den Glauben hat, auch die Kirche nicht. Zu viel haben wollen widerspric­ht dem Glauben. SN: Wenn man den Weltkatech­ismus mit 2665 Paragrafen anschaut, dann weiß die katholisch­e Kirche ziemlich viel. Ja, aber das ist der Versuch, den ureigenen Akt des Glaubens in ein allgemein gültiges sprachlich­es Gefüge zu übersetzen. Glauben als ursprüngli­ches Berührtsei­n von Gott kann und will die Kirche nicht ersetzen oder festmachen. SN: Sie schreiben, als Erzbischof möchten Sie Freund der Menschen sein. Was heißt das? Freund sein heißt dabeistehe­n, bis hin zum Beistehen. Ich möchte der sein, der bei den Menschen steht und ihre Stimme hört. Der Bischof soll Freund Gottes und Freund der Menschen sein. Bei Gott bin ich Anwalt der Menschen, bei den Menschen bin ich der Anwalt Gottes. In Rom bin ich Anwalt der Erzdiözese – das habe ich einige Male sehr eindringli­ch getan –, in Salzburg bin ich der Anwalt Roms. Bischof sein ist immer ein Balanceakt, eine Annäherung, ein Brückensch­lag.

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BILD: SN/ROBERT RATZER Erzbischof Lackner: „Wenn Menschen großes Unglück trifft, muss ich sagen, ich verstehe Gott nicht.“

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