1929 In New York stürzt die Börse ab
Eisige Temperaturen in Österreich stehen am Beginn eines Jahres, in dem die Finanzwelt durch einen Crash an der Wall Street schwer erschüttert wird, infolge dessen sich die größte Weltwirtschaftskrise entwickelt.
Zu Beginn des Jahres 1929 froren die Österreicher. Der Winter war der kälteste seit 200 Jahren, in Wien wurden Temperaturen –25,8 Grad gemessen, in vielen Orten Niederösterreichs Tiefstwerte von unter –35 Grad erreicht. Die Donau war von der Wachau bis Hainburg beinahe durchgängig zugefroren, die Eisdecke maß bis zu 50 Zentimeter, an vielen Stellen konnte man den Fluss zu Fuß überqueren. Dass man auch wirtschaftlich auf eine Eiszeit zusteuern würde, war zu Beginn des Jahres noch nicht abzusehen.
Im Gegenteil, es war ein Jahr, in dem es wirtschaftlich noch gut lief, die Wirtschaftsleistung lag sogar leicht über dem letzten Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Niemand ahnte, dass 1929 das vorläufige Ende der Konjunkturerholung sein würde. Auf dem Arbeitsmarkt kam sie nur zum Teil an, die Arbeitslosigkeit, die 1927 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte, blieb hoch, weil geburtenstarke Jahrgänge nachdrängten und die Rationalisierung durch technische Innovationen große Fortschritte machte.
Am Ende der goldenen 20er-Jahre schien es, als hätte die Welt die furchtbaren Folgen des Kriegs weitgehend hinter sich gelassen. Vor allem die USA wurden von einer Stimmung erfasst, in der alles möglich schien. Eine technische Erfindung reihte sich an die nächste, Kunst und Kultur blühten, der überbordende Optimismus trieb die Menschen in Scharen an die Börse. Wer Geld auf der Bank hatte, kaufte Aktien, um am Boom teilzuhaben. Und wer zu wenig Geld hatte, um Aktien zu kaufen, bekam es vom Makler geliehen. Der Kauf auf Pump machte viele Menschen reich, erwies sich aber letztlich als fatal.
Die Welt blickte staunend nach New York, wo die Kurse stetig stiegen. Dass sich dort ein Unheil zusammenbraute, das letztlich die Weltwirtschaft in den Abgrund reißen sollte, sah niemand. Im Gegenteil, der Boom schien kein Ende zu nehmen, wer zweifelte, wurde beruhigt. Irving Fisher, einer der führenden Ökonomen dieser Zeit, verstieg sich im Spätsommer 1929 zur Aussage: „Die Aktienkurse haben, so scheint es, ein dauerhaft hohes Niveau erreicht.“Nur Wochen später sollte sich über der Wall Street ein Gewitter entladen, das verheerenden Schaden anrichtete.
Am 3. September 1929 erreichte der DowJones-Index mit 381 Punkten seinen Höchststand, ab da ging es bergab. Am 24. Oktober 1929, dem „schwarzen Donnerstag“, stürzten die Kurse in die Tiefe, doch dank einer konzertierten Aktion der Banken schloss der Handel nur zwölf Punkte tiefer als am Vortag. Aber die Genugtuung über den verhinderten Crash währte nicht lang, in der Folgewoche kam es noch ärger. Der 29. Oktober, der „schwarze Dienstag“, gilt als der schlimmste Tag in der Geschichte der Wall Street, 16,4 Millionen Aktien wechselten den Besitzer. Um die Panik einzudämmen, beschloss man, die Börse für einige Tage zu sperren, als sie wieder öffnete, setzte sich der Abwärtstrend ungebremst fort. Erst Ende November trat eine leichte Beruhigung ein, doch der Trend war nicht gebrochen. Seinen Tiefpunkt erreichte der Dow Jones erst am 8. Juli 1932, als der Aktienindex mit 41,2 Punkten schloss.
Der Absturz der New Yorker Börse bildet den Auftakt für die folgende Wirtschaftskrise, aber er war nicht der Auslöser der „Großen Depression“. Dafür machen Experten die zögerliche Haltung einiger Notenbanken beim Öffnen der Geldschleusen verantwortlich sowie eine Wirtschaftspolitik, die sich durch Zurückhaltung des Staates bei Investitionen und protektionistische Maßnahmen zum Schutz des Heimmarkts auszeichnete.
In Österreich lösten die Ereignisse jenseits des Atlantiks zuerst nur kleinere Schockwellen aus. An der Wiener Börse hielten sich die Kursverluste in Grenzen – sie waren geringer als in der Finanzkrise 2008. Auch in der Realwirtschaft sollten sich die Auswirkungen erst später einstellen, das Bruttoinlandsprodukt stieg 1929 immer noch um 1,4 Prozent.
In Wien hatte man andere Sorgen, allen voran das extrem angespannte politische Klima. Größtes Problem in der Wirtschaft war ein instabiles und von Skandalen erschüttertes Bankensystem, etwa jenem um die Postsparkasse, die dem berüchtigten Spekulanten Siegmund Bosel Blankokredite gewährte. Wie brüchig es war, zeigte sich Anfang Oktober, als die Boden-Credit-Anstalt (BCA) taumelte. 1864 gegründet, zählte sie zur vornehmsten Adresse im Bankensektor und verfügte über eine illustre Klientel. Aber 1929 war sie zahlungsunfähig. Um Turbulenzen zu vermeiden, entschied sich Bundeskanzler Johann Schober für eine stille Bereinigung des Problems. Unter Mithilfe der Nationalbank wurde eine Lösung gefunden, die BCA wurde mit der Creditanstalt für Handel und Gewerbe fusioniert. Mit dieser Entscheidung war im wahrsten Sinn des Wortes der Boden dafür gelegt, dass die österreichische Großbank in existenzielle Probleme geriet.
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