Der Bundespräsident erhält per Verfassung mehr Macht
Wenn Österreichs amtierender Bundespräsident Alexander Van der Bellen eine Regierung ernennt, wie er es kurz vor Weihnachten getan hat, dann tut er das auf der Grundlage der Verfassungsnovelle von 1929. Die ab 1918 in Etappen und unter schmerzhaften Geburtswehen entstandene Republik Österreich hatte sich bald darauf eine Verfassung gegeben. Am 1. Oktober 1920 wurde von der Konstituierenden Nationalversammlung das Bundesverfassungsgesetz beschlossen, das am 10. November in Kraft trat – und in weiten Teilen unverändert bis heute gilt.
Österreichs Verfassung gilt als eine der ältesten bestehenden Europas, aber sie ist, wie vieles in Österreich, ein unvollendetes Werk. Es fehlt beispielsweise ein Grundrechtekatalog, auf den man sich nicht einigen konnte. Die allgemeinen Rechte der Staatsbürger sind in der Verfassung über das aus 1867 stammende Staatsgrundgesetz abgesichert.
Die Debatte über die Kompetenzen von Bund und Ländern zog bereits 1925 eine erste Novelle nach sich. Eine maßgeblichere Veränderung erfolgte schließlich mit der Novelle von 1929. Damit verschob sich die Macht vom Nationalrat zum Bundespräsidenten. Österreich vollzog mit der Novelle 1929 laut Verfassungsexperten den Schritt von einer gewaltenverbindenden parlamentarischen Republik zu einer gewaltentrennenden parlamentarischen Präsidentschaftsrepublik. Der Nationalrat musste Rechte abgeben, etwa die Ernennung der Höchstrichter, für die er nur mehr ein Vorschlagsrecht hat. Der Bundespräsident erhält mehr Kompetenzen, zu den wichtigsten zählt die Einberufung
1929 bringt die Volkswahl des Staatsoberhaupts
und Auflösung des Nationalrats sowie die Ernennung und Entlassung der Regierung. Zudem ist der Bundespräsident Oberbefehlshaber des Bundesheers, auch diese Aufgabe wanderte von den Abgeordneten zum Staatsoberhaupt. Und während der Bundespräsident bis dahin von der Bundesversammlung (Nationalrat und Bundesrat) gewählt wurde, führte man 1929 die Volkswahl ein. Der erste vom Volk gewählte Bundespräsident war übrigens der Sozialdemokrat Theodor Körner im Jahr 1951.