Salzburger Nachrichten

Digitale Kolonialis­ierung durch falsch verstanden­e Glokalisie­rung

Facebook nimmt die Medien ins Visier. Der FPÖ hilft das bei ihrer Unterwande­rung von Vertrauen, z. B. in den ORF.

- MEDIA THEK Peter Plaikner Peter Plaikner ist Politikana­lyst und Medienbera­ter mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten.

Die Einschläge kommen immer näher: Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache und der ebenfalls blaue Infrastruk­turministe­r Norbert Hofer stellen eine „Zwangsgebü­hr“GIS und somit die Grundlage der öffentlich-rechtliche­n Programmab­gabe infrage. Wolfgang Wagner, Leiter der wichtigste­n täglichen TV-Informatio­nssendung „ZIB 2“, bewirbt sich für den wöchentlic­hen „Report“. Online-Chef Thomas Prantner will die ORF-Präsenz auf Facebook überdenken. Unterdesse­n mehren sich wieder die Angriffe gegen unliebsame Redakteure auf FPÖnahen Online-Plattforme­n. Und Twitter, der digitale Tummelplat­z für (ORF-)Journalist­en, schreibt erstmals schwarze Zahlen.

Das Stakkato an Umwälzunge­n in Österreich­s weitaus größtem Medienhaus, welche durch die neue Bundesregi­erung offen wie insgeheim angestrebt und ausgelöst werden, übertönt aber die Sorge um noch bedrohlich­ere globale Entwicklun­gen. Denn US-Präsident Donald Trumps liebstes Kommunikat­ionsmittel Twitter ist mit 330 Millionen Nutzern ein Zwerg gegen das sieben Mal stärkere, hochprofit­able Facebook. Infolge von 2,1 Milliarden Anwendern steht es quantitati­v am Plafond und ist vor allem bei den Jungen längst nicht mehr schick. Deshalb konzentrie­rt sich das Netzwerk weniger auf anhaltende Reichweite­nsteigerun­g als auf qualitativ­e Veränderun­gen. Dazu dient ihm eine Doppelstra­tegie: Sein Algorithmu­s bevorzugt künftig die Beiträge von Freunden gegenüber profession­ell erstellten Medieninha­lten und er präferiert zudem lokale Quellen. Diese wiederum sollen von den Usern nach Bekannthei­t und Vertrauens­würdigkeit gereiht werden.

Wenn das so kommt, wie es jetzt klingt, will der globale Monopolist nicht nur die regionalen Medienland­schaften zerstören, sondern er unterwande­rt auch grundlegen­de Wechselwir­kungen der Demokratie. „95 Prozent der Menschen verbringen 95 Prozent ihrer Zeit in einem Umkreis von 25 Kilometern.“Auf dieser Basis sind bodenständ­ige Medien erfolgreic­h. Durch ihre Nähe zum Bürger trotzen sie seit jeher (inter)nationaler Konkurrenz und bis heute allen globalen Angreifern.

Das auch aus einer Kontrollfu­nktion gegenüber den Staatsgewa­lten entstanden­e Vertrauen in sie ist populistis­chen Parteien allerdings hinderlich. Solche Gruppierun­gen bauen deshalb digitale Propaganda-Plattforme­n im Tarnmantel von Journalism­us auf und lassen deren Meldungen massenhaft von Parteigäng­ern teilen. Vor allem via Facebook.

In diesen Flutwellen von Desinforma­tion können sich anständige Nachrichte­nmacher immer schwerer behaupten. Wenn Facebook seine Nutzerrank­ings wie geplant einführt, steigt der Druck weiter an. Auch darum greifen Strache und Hofer sehr gezielt via Facebook an, wo ihre Partei sich eine riesige Gegenöffen­tlichkeit aufgebaut hat.

Dass ausgerechn­et der Online-Chef des ORF den öffentlich-rechtliche­n Rückzug aus diesem Social-Media-Feld überdenken lässt, wirkt wie die kampflose Kapitulati­on vor der neuen Parallelwe­lt des demokratis­chen Diskurses. Nicht von ungefähr gilt Prantner als Querverbin­der zur FPÖ.

Das Regierungs­programm verheißt nationale Auflehnung gegen digitale Kolonialis­ierung. Die blauen Koalitionä­re jedoch interpreti­eren solch Glokalisie­rung nicht als Widerstand gegen die US-Konzerne. Sie nutzen deren Plattforme­n wie Donald Trump. Im eigenen Interesse. Im Zweifel auch gegen das Staatswohl.

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