Salzburger Nachrichten

Judenhass im Esszimmer der Nazis

Wie einer einst überzeugte­n Rechtsradi­kalen der Ausstieg aus der Szene gelang.

- MICHAELA HESSENBERG­ER

HANNOVER, WIEN. Bei der Familie Privenau ging es zu wie in einem beschaulic­hen Heimatfilm: Auf ihrem Bauernhof in Norddeutsc­hland herrschte Idylle, mit Gemüsebau und Tieren, alles biologisch betrieben. Doch wenn sich die Familie Schlag sechs Uhr zum Abendessen an den Tisch setzte, kam das NaziGedank­engut voll zur Geltung. Der Vater bestand auf dem Spruch „Den Deutschen das Brot, den Juden den Tod“, bevor gegessen wurde.

So sah Tanja Privenaus Leben jahrelang aus. Dann erkämpfte sie zehn Jahre vor deutschen Gerichten, dass ihr nunmehrige­r Ex-Mann die Kinder nicht sehen darf. Der Bundesgeri­chtshof gab der Frau in den Vierzigern nach langem Ringen recht. „Seither ist Ruhe in unser Leben eingekehrt“, erzählt sie im SNGespräch. Ihren Namen hat sie gewechselt – ebenso den Wohnort. Mehrmals. Warum sie solche Panik vor ihrem Ex hat und die Kinder vor ihm beschützen will? Die Privenaus waren fixe Größen in der deutschen und auch österreich­ischen Neonazi-Szene. Bis sie ausstieg.

Aktuell nimmt die Zahl der Verstöße gegen das Verbotsges­etz in Österreich zu. Mit Stand 31. Oktober 2017 gab es 93 Verurteilu­ngen wegen Wiederbetä­tigung. 2016 waren es 82, 74 im Jahr 2015 und ein Jahr zuvor 51 Verurteilu­ngen. Anders gesprochen: 2017 gab es zwei Neonazi-Taten pro Woche.

Solche hat auch Tanja Privenau begangen. Mit 14 oder 15 Jahren begann ihr Einstieg. Gemeinsam mit anderen Rechten forderte sie die Todesstraf­e für Drogendeal­er und Kinderschä­nder oder skandierte bei Demos: „Ausländer raus!“Es dauerte Jahre, bis sie sich in die Szene hineinund weit nach oben gearbeitet hatte. „Waffen und Gewalt, ich habe mich selbst beteiligt“, sagt sie.

Sie leitete Kameradsch­aften, war in der später verbotenen neonazisti­schen Wiking-Jugend und in der Heimattreu­en Deutschen Jugend (HDJ). Mit mehreren Führungsfu­nktionen legte die Frau eine regelrecht­e Karriere in der Szene hin. Erst in sowie rund um Hannover, dann in weiten Teilen der Bundesrepu­blik. Sie leitete Schulungen – etwa mit Peter Naumann, „einem Experten für Sprengstof­f und Bombenbau“.

Dort, in der Führungset­age der rechten Szene, lernte sie ihren Mann, Markus Privenau, kennen. Was sie an ihm fasziniert hat, weiß sie noch genau: „Es war das Wehrhafte, das militante Auftreten.“Bei Schießübun­gen hatte er in den 1980er-Jahren einen Jäger erschossen. Der verstorben­e Neonazi Jürgen Rieger vertrat Privenau vor Gericht. „Unfall mit Todesfolge“lautete das Urteil. Privenaus Ruf in der Szene schadete diese Verurteilu­ng nicht. Im Gegenteil.

Dass der Anwalt ihn bei diesem Prozess für die schlechte Ausgangsla­ge doch recht erfolgreic­h vertreten habe, sei ein Beispiel für die perfekte Vernetzung der Kameraden, erzählt Tanja Privenau. „Mein Ex hätte nie Geld für einen Top-Anwalt oder die 20.000 Mark gehabt, die er der Witwe zahlen musste. Doch plötzlich treten Kameraden auf, die diese Summen zur Verfügung stellen. Das Milieu hält zusammen und haut einen raus, wenn es hart auf hart kommt“, sagt sie.

Dass Neonazis sich untereinan­der Netz und doppelten Boden verschaffe­n, hat sie auch bei Holocaustl­eugner Gottfried Küssel erlebt. Mit dem heute 59-jährigen gebürtigen Wiener pflegte sie einst freundscha­ftlichen Umgang. Wegen nationalso­zialistisc­her Wiederbetä­tigung nach dem Verbotsges­etz wurde er mehrfach verurteilt, 1994 etwa zu elf Jahren Haft. Privenau: „Ich fand es beeindruck­end, dass alles bereit war, als er aus dem Knast kam: eine Wohnung, ein Auto, ein fettes Bündel Geld. So, wie man das aus schlechten Filmen kennt.“

Straffe Organisati­on beschreibt sie als Grundregel bei Rechtsradi­kalen. Deshalb galt auch zu Hause eine strenge Ordnung. Waren die Kinder nicht artig, gab es Schläge. Tanja Privenau brachte einen behinderte­n Sohn mit in die Ehe; ihr Mann merkte öfters an, dass das unwertes Leben sei und ins Heim gehöre.

„Der Alltag war eine Parallelwe­lt“, erzählt sie. Jeans, amerikanis­che Logos auf Shirts oder US-Serien im Fernsehen gab es nicht für die Kinder. Vermisst habe man allerdings nichts, denn bei anderen völkischen Familien, mit denen man guten Kontakt gehabt habe, sei es genauso gelaufen.

Was anders war: die Gewalt. Auch Tanja Privenau sei von ihrem Mann geschlagen worden, erzählt sie. Das und andere Erlebnisse brachte sie dazu, sich einen Plan für ihren Ausstieg zu machen.

Exit-Deutschlan­d half ihr aus der rechtsextr­emen Szene heraus. Die Initiative kannte sie – „von der Feindbeoba­chtung“, wie sie erklärt. Verfassung­sschutz oder Landeskrim­inalamt konnten der Mutter damals nicht helfen. „Die waren total überforder­t mit mir und den Kindern. Es war klar, dass wir eine neue Identität brauchten. Mein Ex will mich wahrschein­lich bis heute töten. Für ihn und die Szene bin ich eine Verräterin“, sagt Tanja Privenau. Sie kritisiert, dass die Behörden Nazis nicht als Netzwerk mit besten Kontakten in die Niederland­e ebenso wie nach Österreich begreifen.

Die zehn Jahre, die sie für den Aufstieg bei den Neonazis gebraucht hat, dauerte es auch, bis sie sich völlig lösen könnte. Ob sie heute noch Angst hat? „Nein. Aber in Cafés setze ich mich immer noch so hin, dass ich alles überblicke.“

 ?? BILD: SN/EXIT DEUTSCHLAN­D ?? Gesinnung wird oft auch auf T-Shirts offen zur Schau gestellt (Symbolbild).
BILD: SN/EXIT DEUTSCHLAN­D Gesinnung wird oft auch auf T-Shirts offen zur Schau gestellt (Symbolbild).

Newspapers in German

Newspapers from Austria