Judenhass im Esszimmer der Nazis
Wie einer einst überzeugten Rechtsradikalen der Ausstieg aus der Szene gelang.
HANNOVER, WIEN. Bei der Familie Privenau ging es zu wie in einem beschaulichen Heimatfilm: Auf ihrem Bauernhof in Norddeutschland herrschte Idylle, mit Gemüsebau und Tieren, alles biologisch betrieben. Doch wenn sich die Familie Schlag sechs Uhr zum Abendessen an den Tisch setzte, kam das NaziGedankengut voll zur Geltung. Der Vater bestand auf dem Spruch „Den Deutschen das Brot, den Juden den Tod“, bevor gegessen wurde.
So sah Tanja Privenaus Leben jahrelang aus. Dann erkämpfte sie zehn Jahre vor deutschen Gerichten, dass ihr nunmehriger Ex-Mann die Kinder nicht sehen darf. Der Bundesgerichtshof gab der Frau in den Vierzigern nach langem Ringen recht. „Seither ist Ruhe in unser Leben eingekehrt“, erzählt sie im SNGespräch. Ihren Namen hat sie gewechselt – ebenso den Wohnort. Mehrmals. Warum sie solche Panik vor ihrem Ex hat und die Kinder vor ihm beschützen will? Die Privenaus waren fixe Größen in der deutschen und auch österreichischen Neonazi-Szene. Bis sie ausstieg.
Aktuell nimmt die Zahl der Verstöße gegen das Verbotsgesetz in Österreich zu. Mit Stand 31. Oktober 2017 gab es 93 Verurteilungen wegen Wiederbetätigung. 2016 waren es 82, 74 im Jahr 2015 und ein Jahr zuvor 51 Verurteilungen. Anders gesprochen: 2017 gab es zwei Neonazi-Taten pro Woche.
Solche hat auch Tanja Privenau begangen. Mit 14 oder 15 Jahren begann ihr Einstieg. Gemeinsam mit anderen Rechten forderte sie die Todesstrafe für Drogendealer und Kinderschänder oder skandierte bei Demos: „Ausländer raus!“Es dauerte Jahre, bis sie sich in die Szene hineinund weit nach oben gearbeitet hatte. „Waffen und Gewalt, ich habe mich selbst beteiligt“, sagt sie.
Sie leitete Kameradschaften, war in der später verbotenen neonazistischen Wiking-Jugend und in der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ). Mit mehreren Führungsfunktionen legte die Frau eine regelrechte Karriere in der Szene hin. Erst in sowie rund um Hannover, dann in weiten Teilen der Bundesrepublik. Sie leitete Schulungen – etwa mit Peter Naumann, „einem Experten für Sprengstoff und Bombenbau“.
Dort, in der Führungsetage der rechten Szene, lernte sie ihren Mann, Markus Privenau, kennen. Was sie an ihm fasziniert hat, weiß sie noch genau: „Es war das Wehrhafte, das militante Auftreten.“Bei Schießübungen hatte er in den 1980er-Jahren einen Jäger erschossen. Der verstorbene Neonazi Jürgen Rieger vertrat Privenau vor Gericht. „Unfall mit Todesfolge“lautete das Urteil. Privenaus Ruf in der Szene schadete diese Verurteilung nicht. Im Gegenteil.
Dass der Anwalt ihn bei diesem Prozess für die schlechte Ausgangslage doch recht erfolgreich vertreten habe, sei ein Beispiel für die perfekte Vernetzung der Kameraden, erzählt Tanja Privenau. „Mein Ex hätte nie Geld für einen Top-Anwalt oder die 20.000 Mark gehabt, die er der Witwe zahlen musste. Doch plötzlich treten Kameraden auf, die diese Summen zur Verfügung stellen. Das Milieu hält zusammen und haut einen raus, wenn es hart auf hart kommt“, sagt sie.
Dass Neonazis sich untereinander Netz und doppelten Boden verschaffen, hat sie auch bei Holocaustleugner Gottfried Küssel erlebt. Mit dem heute 59-jährigen gebürtigen Wiener pflegte sie einst freundschaftlichen Umgang. Wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung nach dem Verbotsgesetz wurde er mehrfach verurteilt, 1994 etwa zu elf Jahren Haft. Privenau: „Ich fand es beeindruckend, dass alles bereit war, als er aus dem Knast kam: eine Wohnung, ein Auto, ein fettes Bündel Geld. So, wie man das aus schlechten Filmen kennt.“
Straffe Organisation beschreibt sie als Grundregel bei Rechtsradikalen. Deshalb galt auch zu Hause eine strenge Ordnung. Waren die Kinder nicht artig, gab es Schläge. Tanja Privenau brachte einen behinderten Sohn mit in die Ehe; ihr Mann merkte öfters an, dass das unwertes Leben sei und ins Heim gehöre.
„Der Alltag war eine Parallelwelt“, erzählt sie. Jeans, amerikanische Logos auf Shirts oder US-Serien im Fernsehen gab es nicht für die Kinder. Vermisst habe man allerdings nichts, denn bei anderen völkischen Familien, mit denen man guten Kontakt gehabt habe, sei es genauso gelaufen.
Was anders war: die Gewalt. Auch Tanja Privenau sei von ihrem Mann geschlagen worden, erzählt sie. Das und andere Erlebnisse brachte sie dazu, sich einen Plan für ihren Ausstieg zu machen.
Exit-Deutschland half ihr aus der rechtsextremen Szene heraus. Die Initiative kannte sie – „von der Feindbeobachtung“, wie sie erklärt. Verfassungsschutz oder Landeskriminalamt konnten der Mutter damals nicht helfen. „Die waren total überfordert mit mir und den Kindern. Es war klar, dass wir eine neue Identität brauchten. Mein Ex will mich wahrscheinlich bis heute töten. Für ihn und die Szene bin ich eine Verräterin“, sagt Tanja Privenau. Sie kritisiert, dass die Behörden Nazis nicht als Netzwerk mit besten Kontakten in die Niederlande ebenso wie nach Österreich begreifen.
Die zehn Jahre, die sie für den Aufstieg bei den Neonazis gebraucht hat, dauerte es auch, bis sie sich völlig lösen könnte. Ob sie heute noch Angst hat? „Nein. Aber in Cafés setze ich mich immer noch so hin, dass ich alles überblicke.“