Salzburger Nachrichten

So extrem ist Österreich

Die Burschensc­haften sind nicht die Einzigen mit radikalen Vorstellun­gen. Das Spektrum reicht von Anarchiste­n, Islamisten bis zu Staatsverw­eigerern.

- MARIAN SMETANA ALFRED PFEIFFENBE­RGER

In Graz bestätigte das Oberlandes­gericht am Freitag die Strafhöhe für den Islamisten­prediger Mirsad O. Das Delikt: die Teilnahme an einer terroristi­schen Vereinigun­g, Anstiftung zum Mord und schwere Nötigung.

Am Donnerstag wurde bekannt, dass bei der Staatsanwa­ltschaft Wien ein Ermittlung­sverfahren gegen den heimischen Ableger der neonazisti­schen „Europäisch­en Aktion“anhängig ist. Mit Hans B., dem „Landesleit­er für Österreich“, sitzt der mutmaßlich­e Kopf der rechtsextr­emen Gruppierun­g seit über 13 Monaten in U-Haft. B. soll gemeinsam mit mehreren Mitstreite­rn die Beseitigun­g der Bundesregi­erung, das Installier­en einer neuen „Reichsregi­erung“und in weiterer Folge den Anschluss an ein „Großdeutsc­hes Reich“angestrebt haben. Ermittlung­en laufen wegen des Verdachts der nationalso­zialistisc­hen Wiederbetä­tigung.

Die Ermittlung­sbehörden sind zudem immer noch auf der Suche nach jenem linksextre­men Gewalttäte­r, der bei einer Demonstrat­ion der rechtsextr­emen Identitäre­n von einem Dach aus einen Teilnehmer mit einem Stein bewarf und schwer verletzte.

Politische­r Extremismu­s, so scheint es, hat in Österreich in den vergangene­n Jahren zugenommen. Wobei es eine eindeutige Definition, was Extremismu­s ist und was er bedeutet, nicht gibt.

Die stellvertr­etende Leiterin der Beratungss­telle Extremismu­s, Myassa Kraitt, definiert ihn als „Position, die sich am Rand der politische­n und gesellscha­ftlichen Realität bewegt“, unabhängig von den Inhalten. Und selbstvers­tändlich verletzt nicht jeder, der extrem denkt, auch das Gesetz.

„Extreme Denkweisen oder extreme Gesinnunge­n sind nicht per se verboten“, erklärt ein Staatsschü­tzer. Für die Sicherheit­sbehörden wird Extremismu­s dann interessan­t, wenn er zu einer Straftat führt oder geführt hat.

Extremisti­sches Gedankengu­t ist nicht per se strafbar

„Extremismu­s ist das Gegenteil von Demokratie“, so formuliert es die Extremismu­sforscheri­n Daniela Pisoiu vom Österreich­ischen Institut für Internatio­nale Politik. „Keine alternativ­en Meinungen zu akzeptiere­n ist ein wesentlich­es Merkmal. In weiterer Form werden vereinfach­te, teilweise auch mit Gewalt verbundene Lösungen für Probleme definiert. Als Schuldigen sucht man sich ein klares Feindbild. Das kann etwa der Staat sein, die Wirtschaft oder eine andere Religion“, erklärt Pisoiu.

Ein Blick in den aktuellen Verfassung­sschutzber­icht aus dem Jahr 2016 zeigt, dass es in Österreich unterschie­dlichste extremisti­sche Strömungen gibt. Da wären auf der linksextre­men Seite etwa Marxisten, Leninisten sowie Trotzkiste­n und autonome-anarchisti­sche Gruppen. „Die Szene ist stark zerstritte­n, gemeinsame Feindbilde­r wie der Burschensc­hafterball können aber vereinen“, erklärt ein Staatsschü­tzer. Die Mobilisier­ungskraft sei überschaub­ar. Zur Demo gegen den Opernball, zu der linke und antikapita­listische Gruppen aufgerufen hatten, erschienen laut Polizei 90 Menschen.

Zuletzt sind die Anzeigen wegen linksextre­m motivierte­r Taten gestiegen. Die aktuellste­n Zahlen stammen aus dem Jahr 2016, damals kam es zu 383 Taten mit linksextre­mem Hintergrun­d. Im Jahr davor waren es 186.

Am rechtsextr­emen Rand beobachten die Staatsschü­tzer vor allem das Erstarken der identitäre­n Bewegung. Diese extrem nationalis­tische Bewegung ging von Frankreich aus. Die Identitäre­n treten vor allem gegen den Islam und Flüchtling­e auf und sprechen von der „Rückerober­ung Europas“. Die meist jungen Mitglieder fallen vor allem durch ihren Aktionismu­s auf, ganz nach dem Vorbild der Linken. Auch äußerlich sind die Rechtsextr­emen nicht mehr so eindeutig erkennbar wie früher. Springerst­iefel und Glatzen sind längst Vergangenh­eit. Verbindung­en gibt es zu Burschensc­haften und der Hooligan-Szene sowie zu kleineren rechtsextr­emen Gruppierun­gen.

Auch einen importiert­en Rechtsextr­emismus und Antisemiti­smus gibt es hierzuland­e. Letzterer ist bei

Die Geschichte der radikalen Gruppen ist lang

Migranten aus dem arabischen Raum zu finden. Auch den Gruß der türkisch-neofaschis­tischen „Grauen Wölfe“sieht man immer wieder bei Demonstrat­ionen. Gerade wenn es um den Konflikt mit den Kurden geht, die eher mit linksextre­men Gruppierun­gen sympathisi­eren, treten die „Grauen Wölfe“auf.

Im Vorjahr gab es 1313 Tathandlun­gen mit rechtsextr­emem Hintergrun­d. 2015 waren es 1156.

Teilweise überschnei­det sich die rechtsextr­eme Szene mit der Szene der sogenannte­n Staatsverw­eigerer. Gruppen wie die „Souveränen Bürger“haben sich in den vergangene­n Jahren etabliert und unterhalte­n Kontakte zur radikalen Esoteriksz­ene. Die Staatsverw­eigerer leugnen, dass Österreich ein Staat ist, und lehnen somit die Behörden und die Gesetze ab.

Die Sicherheit­sbehörden haben gewaltbere­ite Islamisten in den vergangene­n Jahren als größte Bedrohung für die öffentlich­e Sicherheit ausgemacht. Durch die militärisc­hen Niederlage­n des „Islamische­n Staats“im Nahen Osten konnten die Staatsschü­tzer auch in Österreich einen Rückgang in der Anhängersc­haft ausmachen. Sorge bereiten den Behörden jene 90 Rückkehrer, die in Kampfgebie­ten waren, und die 51 Extremiste­n, die man an der Ausreise in den Dschihad gehindert hatte. Auch bei den Islamisten gibt es verschiede­ne Gruppierun­gen, die sich teilweise überschnei­den. Man findet Salafisten genauso wie Regimegegn­er aus Tschetsche­nien und erzkonserv­ative türkische Vereine.

„Ich würde nicht sagen, dass in Österreich Extremiste­n auf dem Vormarsch sind. Gerade wenn man sich Deutschlan­d ansieht, merkt man, dass wirklich extreme Strömungen hierzuland­e zahlenmäßi­g in der Minderheit sind“, sagt die Extremismu­sforscheri­n Pisoiu. In Österreich spiele sich vieles im Graubereic­h zwischen den politische­n Rändern und der Mitte ab.

Das passiert nicht erst jetzt. Bereits in den 60er- und 70er-Jahren radikalisi­erten sich Teile der Linken. Die Entführung des Industriel­len Palmers durch ein Terrorkomm­ando der Bewegung 2. Juni war einer der traurigen Höhepunkte. Die Mühl-Kommune, bei der es zu Kindesmiss­brauch kam, ein anderer. Viele Mitglieder der grün-alternativ­en Bewegung entdeckten wiederum ihre Liebe zum libyschen Diktator Gadafi. Sein „Grünes Buch“, in dem er versuchte, Islam und Marxismus zu vereinen, war damals schon fast Pflichtlek­türe in diesen Kreisen. Dass Gadafi in Interviews sogar Verständni­s für Adolf Hitler äußerte, interessie­rte niemanden.

Der Briefbombe­r Franz Fuchs und seine „Bajuwarisc­he Befreiungs­armee“versetzten Österreich in den 90ern in Angst und Schrecken. Dazu kamen der Neonazi Gottfried Küssel und seine „Volkstreue außerparla­mentarisch­e Opposition“, die Kundgebung­en und Wehrsportü­bungen organisier­te und wegen nationalso­zialistisc­her Wiederbetä­tigung aufgelöst wurde.

Myassa Kraitt sieht Extremismu­s aber noch aus einer anderen Perspektiv­e: aus der des Betroffene­n. Oft möchten sich Menschen, die in die Beratungss­telle kämen, mit ihrer Radikalisi­erung ihren persönlich­en Handlungss­pielraum zurückerob­ern. Als Beispiel nennt sie eine junge Frau, die plötzlich einen Ganzkörper­schleier trug. Es stellte sich nach mehreren Gesprächen heraus, dass die Frau von ihrem Vater geschlagen worden war, der wiederum in seiner Heimat von den Taliban verfolgt wurde. Als sie den Schleier anlegte, bekam er es mit der Angst zu tun und hat sie in Ruhe gelassen. Und Kraitt verweist auf einen weiteren Aspekt: Von Radikalisi­erung können Familien aus allen Gesellscha­ftsschicht­en betroffen sein, von reich und gebildet bis arm und bildungsfe­rn.

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BILD: SN/APA/H.P.OCZERET Der Islamist Mirsad O. (links oben), die rechtsextr­emen Identitäre­n (rechts oben) und der linksextre­me Schwarze Block (großes Bild).

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