So extrem ist Österreich
Die Burschenschaften sind nicht die Einzigen mit radikalen Vorstellungen. Das Spektrum reicht von Anarchisten, Islamisten bis zu Staatsverweigerern.
In Graz bestätigte das Oberlandesgericht am Freitag die Strafhöhe für den Islamistenprediger Mirsad O. Das Delikt: die Teilnahme an einer terroristischen Vereinigung, Anstiftung zum Mord und schwere Nötigung.
Am Donnerstag wurde bekannt, dass bei der Staatsanwaltschaft Wien ein Ermittlungsverfahren gegen den heimischen Ableger der neonazistischen „Europäischen Aktion“anhängig ist. Mit Hans B., dem „Landesleiter für Österreich“, sitzt der mutmaßliche Kopf der rechtsextremen Gruppierung seit über 13 Monaten in U-Haft. B. soll gemeinsam mit mehreren Mitstreitern die Beseitigung der Bundesregierung, das Installieren einer neuen „Reichsregierung“und in weiterer Folge den Anschluss an ein „Großdeutsches Reich“angestrebt haben. Ermittlungen laufen wegen des Verdachts der nationalsozialistischen Wiederbetätigung.
Die Ermittlungsbehörden sind zudem immer noch auf der Suche nach jenem linksextremen Gewalttäter, der bei einer Demonstration der rechtsextremen Identitären von einem Dach aus einen Teilnehmer mit einem Stein bewarf und schwer verletzte.
Politischer Extremismus, so scheint es, hat in Österreich in den vergangenen Jahren zugenommen. Wobei es eine eindeutige Definition, was Extremismus ist und was er bedeutet, nicht gibt.
Die stellvertretende Leiterin der Beratungsstelle Extremismus, Myassa Kraitt, definiert ihn als „Position, die sich am Rand der politischen und gesellschaftlichen Realität bewegt“, unabhängig von den Inhalten. Und selbstverständlich verletzt nicht jeder, der extrem denkt, auch das Gesetz.
„Extreme Denkweisen oder extreme Gesinnungen sind nicht per se verboten“, erklärt ein Staatsschützer. Für die Sicherheitsbehörden wird Extremismus dann interessant, wenn er zu einer Straftat führt oder geführt hat.
Extremistisches Gedankengut ist nicht per se strafbar
„Extremismus ist das Gegenteil von Demokratie“, so formuliert es die Extremismusforscherin Daniela Pisoiu vom Österreichischen Institut für Internationale Politik. „Keine alternativen Meinungen zu akzeptieren ist ein wesentliches Merkmal. In weiterer Form werden vereinfachte, teilweise auch mit Gewalt verbundene Lösungen für Probleme definiert. Als Schuldigen sucht man sich ein klares Feindbild. Das kann etwa der Staat sein, die Wirtschaft oder eine andere Religion“, erklärt Pisoiu.
Ein Blick in den aktuellen Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 2016 zeigt, dass es in Österreich unterschiedlichste extremistische Strömungen gibt. Da wären auf der linksextremen Seite etwa Marxisten, Leninisten sowie Trotzkisten und autonome-anarchistische Gruppen. „Die Szene ist stark zerstritten, gemeinsame Feindbilder wie der Burschenschafterball können aber vereinen“, erklärt ein Staatsschützer. Die Mobilisierungskraft sei überschaubar. Zur Demo gegen den Opernball, zu der linke und antikapitalistische Gruppen aufgerufen hatten, erschienen laut Polizei 90 Menschen.
Zuletzt sind die Anzeigen wegen linksextrem motivierter Taten gestiegen. Die aktuellsten Zahlen stammen aus dem Jahr 2016, damals kam es zu 383 Taten mit linksextremem Hintergrund. Im Jahr davor waren es 186.
Am rechtsextremen Rand beobachten die Staatsschützer vor allem das Erstarken der identitären Bewegung. Diese extrem nationalistische Bewegung ging von Frankreich aus. Die Identitären treten vor allem gegen den Islam und Flüchtlinge auf und sprechen von der „Rückeroberung Europas“. Die meist jungen Mitglieder fallen vor allem durch ihren Aktionismus auf, ganz nach dem Vorbild der Linken. Auch äußerlich sind die Rechtsextremen nicht mehr so eindeutig erkennbar wie früher. Springerstiefel und Glatzen sind längst Vergangenheit. Verbindungen gibt es zu Burschenschaften und der Hooligan-Szene sowie zu kleineren rechtsextremen Gruppierungen.
Auch einen importierten Rechtsextremismus und Antisemitismus gibt es hierzulande. Letzterer ist bei
Die Geschichte der radikalen Gruppen ist lang
Migranten aus dem arabischen Raum zu finden. Auch den Gruß der türkisch-neofaschistischen „Grauen Wölfe“sieht man immer wieder bei Demonstrationen. Gerade wenn es um den Konflikt mit den Kurden geht, die eher mit linksextremen Gruppierungen sympathisieren, treten die „Grauen Wölfe“auf.
Im Vorjahr gab es 1313 Tathandlungen mit rechtsextremem Hintergrund. 2015 waren es 1156.
Teilweise überschneidet sich die rechtsextreme Szene mit der Szene der sogenannten Staatsverweigerer. Gruppen wie die „Souveränen Bürger“haben sich in den vergangenen Jahren etabliert und unterhalten Kontakte zur radikalen Esoterikszene. Die Staatsverweigerer leugnen, dass Österreich ein Staat ist, und lehnen somit die Behörden und die Gesetze ab.
Die Sicherheitsbehörden haben gewaltbereite Islamisten in den vergangenen Jahren als größte Bedrohung für die öffentliche Sicherheit ausgemacht. Durch die militärischen Niederlagen des „Islamischen Staats“im Nahen Osten konnten die Staatsschützer auch in Österreich einen Rückgang in der Anhängerschaft ausmachen. Sorge bereiten den Behörden jene 90 Rückkehrer, die in Kampfgebieten waren, und die 51 Extremisten, die man an der Ausreise in den Dschihad gehindert hatte. Auch bei den Islamisten gibt es verschiedene Gruppierungen, die sich teilweise überschneiden. Man findet Salafisten genauso wie Regimegegner aus Tschetschenien und erzkonservative türkische Vereine.
„Ich würde nicht sagen, dass in Österreich Extremisten auf dem Vormarsch sind. Gerade wenn man sich Deutschland ansieht, merkt man, dass wirklich extreme Strömungen hierzulande zahlenmäßig in der Minderheit sind“, sagt die Extremismusforscherin Pisoiu. In Österreich spiele sich vieles im Graubereich zwischen den politischen Rändern und der Mitte ab.
Das passiert nicht erst jetzt. Bereits in den 60er- und 70er-Jahren radikalisierten sich Teile der Linken. Die Entführung des Industriellen Palmers durch ein Terrorkommando der Bewegung 2. Juni war einer der traurigen Höhepunkte. Die Mühl-Kommune, bei der es zu Kindesmissbrauch kam, ein anderer. Viele Mitglieder der grün-alternativen Bewegung entdeckten wiederum ihre Liebe zum libyschen Diktator Gadafi. Sein „Grünes Buch“, in dem er versuchte, Islam und Marxismus zu vereinen, war damals schon fast Pflichtlektüre in diesen Kreisen. Dass Gadafi in Interviews sogar Verständnis für Adolf Hitler äußerte, interessierte niemanden.
Der Briefbomber Franz Fuchs und seine „Bajuwarische Befreiungsarmee“versetzten Österreich in den 90ern in Angst und Schrecken. Dazu kamen der Neonazi Gottfried Küssel und seine „Volkstreue außerparlamentarische Opposition“, die Kundgebungen und Wehrsportübungen organisierte und wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung aufgelöst wurde.
Myassa Kraitt sieht Extremismus aber noch aus einer anderen Perspektive: aus der des Betroffenen. Oft möchten sich Menschen, die in die Beratungsstelle kämen, mit ihrer Radikalisierung ihren persönlichen Handlungsspielraum zurückerobern. Als Beispiel nennt sie eine junge Frau, die plötzlich einen Ganzkörperschleier trug. Es stellte sich nach mehreren Gesprächen heraus, dass die Frau von ihrem Vater geschlagen worden war, der wiederum in seiner Heimat von den Taliban verfolgt wurde. Als sie den Schleier anlegte, bekam er es mit der Angst zu tun und hat sie in Ruhe gelassen. Und Kraitt verweist auf einen weiteren Aspekt: Von Radikalisierung können Familien aus allen Gesellschaftsschichten betroffen sein, von reich und gebildet bis arm und bildungsfern.