WELT
Die Kämpfe sind wieder aufgeflammt, es wird bombardiert und gestorben. Die Opfer sind wie üblich meist Zivilisten. Doch sie interessieren kaum jemanden.
Die SPD kommt nicht zur Ruhe. Martin Schulz wird, nachdem es Kritik gegeben hat, nicht deutscher Außenminister.
Die vergangene Woche war für Syrien die blutigste seit Langem. Allein in der noch von AssadGegner gehaltenen Region Ostghouta bei Damaskus starben nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle fast 230 Zivilisten, darunter 60 Kinder, bei Luftangriffen durch syrische und russische Kampfflugzeuge. 400.000 Menschen sind dort eingekesselt.
Im Osten Syrien schlug die USLuftwaffe einen Angriff regimetreuer Truppen auf kurdische Stellungen zurück, mehr als 100 Tote sind angeblich zu verzeichnen.
Und im Nordwesten rückt die türkischen Armee mithilfe von Islamisten in die Kurdenenklave Afrin vor.
Der Kampf um die Reste des einstigen Staates Syrien ist in vollem Gang. Neben der Kontrolle der Grenzen rücken die Öl- und Gasfelder sowie geostrategisch bedeutende Straßenverbindungen, wie die Autobahn von Damaskus nach Bagdad, in den Mittelpunkt.
Dieser Highway mit Abzweigungen in den Iran und den Libanon wird seit November von Baschar alAssad und seinen Verbündeten beherrscht. Assads Armee soll einst rund 225.000 Mann gezählt haben. Heute können allenfalls 40.000 Soldaten mobilisiert werden. Das Regime ist auf lokale Milizen sowie massive Hilfe aus Russland und dem Iran angewiesen. Auf einem Stützpunkt bei Latakia sind rund 80 russische Kampfflugzeuge und Helikopter stationiert. Für ihre Wartung sowie andere Aufgaben, zu denen neben der Kampfbeteiligung auch Minenräumung und Ausbildung gehören, hat Moskau rund 7000 Soldaten nach Syrien geschickt. Bis zu 9000 Revolutionsgardisten kommen aus dem Iran. Diese werden von schiitischen Milizen aus dem Irak, Pakistan, Afghanistan und dem Libanon unterstützt. Die mit Abstand kampfkräftigste Gruppe ist die libanesische Hisbollah.
Und die Gegner Assads? Die übrig gebliebenen syrischen Rebellen sind eine ideologisch und politisch höchst heterogene Mischung aus gemäßigten und extremistischen Verbänden, die ihren Kampf nicht aufgeben. Letzte Hochburg ist die Provinz Idlib im Nordwesten Syriens, in die sich auch viele Zivilisten geflüchtet haben. Eine syrischrussische Offensive ist dort in Gang, in der laut Menschenrechtsgruppen erneut gnadenlos Spitäler und Wohngebiete bombardiert werden.
Die sogenannte Freie Syrische Armee (FSA) gilt als die offizielle Widerstandsgruppe gegen Assad. Rund 80 überwiegend radikalislamische Verbände haben sich in ihr gefunden. Politisch gehen sie meist eigene Wege oder werden instrumentalisiert. Bestes Beispiel ist der „Operation Olivenzweig“genannte Angriff der Türkei auf die überwiegend kurdischen Region Afrin, die von der FSA massiv unterstützt wird. Stärkster Verbund innerhalb der FSA sind die nach dem gleichnamigen osmanischen Sultan benannten Sultan-Murat-Brigaden, die Aleppo zurückerobern wollen. Auch Milizionäre der zentralasiatischen „Partei Turkestans“kämpfen an der Seite Ankaras. Es sind Uiguren aus dem chinesischen Xinjiang, aber auch Turkmenen, Usbeken und Tschetschenen. In der syrischen Grenzstadt Dschisr al-Schughur sollen mittlerweile 15.000 Uiguren mit ihren Familien leben.
Proklamiertes Ziel des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist die Zerschlagung der syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), die große Teile der türkisch-syrischen Grenze kontrollieren. Die kampfstarke Miliz ist aus Sicht der Türkei der syrische Arm der heimischen PKK, was auch der Hauptgrund ist, dass die Türkei gegen sie vorgeht.
Allerdings sind die syrischen Kurden die verlässlichsten und bei Weitem siegreichsten Verbündeten des Westens im Kampf gegen den IS. Sie genießen daher auch massive Unterstützung aus den USA. Ohne die Kurden hätte das IS-Terrorkalifat niemals zerschlagen werden können. Dennoch haben sowohl die USA als auch Russland die YPG in Afrin im Stich gelassen. Der von der Türkei angekündigte Vormarsch der Armee entlang der Grenze nach Ostsyrien scheint indes unwahrscheinlich, weil dort Amerika mindestens fünf größere Stützpunkte errichtet hat. Rund 4000 US-Soldaten sind im syrischen Kurdengebiet östlich des Euphrat stationiert. Ihr Hauptaugenmerk richtet sich nicht mehr auf den „Islamischen Staat“, sondern auf die proiranischen Kräfte, die die wichtigsten Landverbindungen in den Irak kontrollieren.
Der Iran und seine Verbündeten in Syrien werden – aus geostrategischen Gründen – auch von Israel als gefährlicher als die Reste des IS eingestuft. Wie viele der einst 25.000 Kämpfer der Terrortruppe untergetaucht sind oder getötet wurden, ist unklar. Die Überlebenden, das gilt als sicher, werden in neuer Uniform rasch eine „Beschäftigung“im Bürgerkriegssyrien finden.