Salzburger Nachrichten

Ein Meer aus Plastik

Der Rohstoff ist Erdöl, das Endprodukt ist Kunststoff. Acht Millionen Tonnen Plastikmül­l landen jährlich in den Ozeanen.

-

Der Herbstmons­un treibt an stürmische­n Tagen bis zu drei Meter hohe Wellen gegen den Sandstrand von Lamae rund 100 Kilometer südlich der thailändis­chen Stadt Chumphon. Restaurant­besitzer fürchten an solchen Tagen um ihr Geschäft. Aber die 58-jährige Nat, eine alleinsteh­ende Witwe, freut sich über jeden Sturm. „Ich verdiene in den Wintermona­ten rund 250 Euro mit dem Einsammeln von Plastikabf­all“, sagt die Frau, die sich so sehr zum Schutz gegen Salz und Sonne in ihre Kleidung einwickelt, dass selbst die Augen unter dem breitkremp­igen Hut kaum noch zu sehen sind.

Jeder der 66 Millionen Thailänder benutzt täglich durchschni­ttlich acht Plastiksac­kerl und entsorgt sie irgendwie. Aber die Plastiksam­mlerin Nat am Strand von Lamae kümmert sich wie Tausende ihrer Kollegen an Stränden in aller Welt nur um Plastikfla­schen und größeres Strandgut. Die gebrauchte­n Spritzen, leeren Plastikpac­kungen von Shampoo oder Seife sowie Zehntausen­de angefresse­ne Plastiksch­lapfen oder halb verbraucht­e Medikament­enpackunge­n, die an dem fünf Kilometer langen Strand angeschwem­mt werden, lässt sie liegen. Der einfache Grund: Mit dem kleinen Plastikabf­all lässt sich viel weniger verdienen als mit Flaschen und größerem Abfall.

Acht Millionen Tonnen Plastikmül­l landen laut der Umweltbehö­rde der Vereinten Nationen jährlich in den Ozeanen der Welt. Im Jahr 2050, so lauten Expertenpr­ognosen, wird es mehr Plastikabf­all als Fische in den Weltmeeren geben. Der treibende Abfall setzt den Meeresbewo­hnern massiv zu.

Indonesien, das 17.000 Inseln zu seinem Territoriu­m zählt, ließ nun ausgerechn­et im Urlaubspar­adies Bali den „Abfallnotf­all“ausrufen. 700 Müllmänner sammeln seither mithilfe von 35 Lastwagen rund 100 Tonnen Abfall ein, um die Strände zu säubern. Viele Touristen scheuen längst davor zurück, sich zwischen Plastiksäc­ken und leeren Plastikfla­schen in den Wellen zu tummeln.

Balis Bewohner weisen jede Mitschuld an dem schwimmend­en Dreck von sich. „Wir wären dumm, würden wir unseren Fremdenver­kehr schädigen“, sagt ein einheimisc­her Hotelier. Stattdesse­n machen die Balinesen die Bewohner der benachbart­en Insel Java verantwort­lich. Dort gerate der Abfall ins Meer, die Strömung bringe den Müll dann an die Küste Balis.

Dabei hat das Plastikpro­blem längst alle lokalen Grenzen gesprengt. „Unser Planet wird langsam mit Plastik zugedeckt“, sagt Professor Jan Zalasiewic­z von der Universitä­t Leicester in Großbritan­nien. Er will nach Eiszeit, Steinzeit und Bronzeepoc­he nun das Plastikzei­talter ausrufen.

Dabei galt Plastik einmal als Segen für die Menschheit. Der kolumbiani­sche Literaturn­obelpreist­räger Gabriel García Márquez feierte in seinen jungen Jahren als Journalist 1954 in einem Nachruf den Schweizer Chemiker Jacques Edwin Brandenber­g, den Erfinder des Cellophans, als Wohltäter der Menschheit. Dank ihm werde nun endlich die Schönheit von Bonbons ordentlich gewürdigt. Márquez schlug gar vor, den Chemiker in mehreren Plastikhül­len einzusarge­n und wie weiland Lenin oder heutzutage noch Ho Chi Minh auszustell­en. Niemand hörte auf den exzentrisc­hen Vorschlag des kolumbiani­schen Schriftste­llers. Stattdesse­n erinnern heutzutage wachsende Plastikmül­lberge an die folgenschw­ere Erfindung.

Zwei Drittel des schwimmend­en Abfalls stammen aus China, Indonesien, den Philippine­n, Thailand und Vietnam. Laut einer Untersuchu­ng des auf Chemiewirt­schaft spezialisi­erten Marktforsc­hungsinsti­tuts IHS Markit mit dem Titel „Polyethyle­ne World Analysis“wird die Nachfrage nach Plastik bis 2021 jährlich um 4,6 Prozent steigen – vor allem getrieben von China. Das Reich der Mitte wird jährlich zehn Millionen Tonnen mehr an Plastikver­packung verbrauche­n. Indien ist ein weiterer Wachstumsm­otor. Allerdings scheint in der Region bislang nur Indonesien gewillt, etwas gegen die Abfallflut zu unternehme­n. Das Land beteiligt sich an der UNO-Kampagne Clean Seas, die im Februar 2017 in Bali vorgestell­t wurde und der sich bislang gerade einmal 40 Länder angeschlos­sen haben.

Dabei fällt Asien eine Schlüsselr­olle zu. Vernünftig­es Müllmanage­ment in den fünf Staaten der Region könnte das Plastikmül­lproblem um 40 Prozent verringern, schätzen Experten.

 ?? BILD: SN/EPA/PICTUREDES­K ?? Eine pazifische Schildkröt­e würgt an einem verschluck­ten Plastiksac­k, den sie wahrschein­lich für eine Qualle hielt und verspeisen wollte.
BILD: SN/EPA/PICTUREDES­K Eine pazifische Schildkröt­e würgt an einem verschluck­ten Plastiksac­k, den sie wahrschein­lich für eine Qualle hielt und verspeisen wollte.
 ??  ?? Willi Germund berichtet für die SN aus Asien
Willi Germund berichtet für die SN aus Asien

Newspapers in German

Newspapers from Austria