Salzburger Nachrichten

Sex, Drugs und eine Rockgitarr­e, die leise Zweifel anmeldet

Einen Film über ihr exzessives Tourleben ließen die Stones einst untersagen. Nun zeigt ihn ein US-Gitarrist in neuem Licht.

- CLEMENS PANAGL SALZBURG. Chris Forsyth, „Never Meant to Change the World“, morgen, Mittwoch, 14. 2., Rockhouse, Bar, 20 Uhr.

Mick Jagger muss sich erst etwas anziehen. In der Unterhose zur Besprechun­g zu kommen wäre dann doch unpassend. Auch, wenn es das Jahr 1972 ist. Und auch, wenn der Name Rolling Stones in dieser Zeit für die exzessiven Seiten der Rockmusik steht. „Ich bin in zwei Sekunden zurück, muss mir ein Hemd überziehen“, sagt Jagger also zu seinen Gesprächsp­artnern und verschwind­et kurz. Die Kamera bleibt eingeschal­tet.

Die Kamera lief auch in vielen anderen Momenten der rauschende­n Tournee mit, auf der sich die Stones 1972 mit ihrem Gefolge aus Technikern, Managern, Roadies und Groupies befanden. Die Band war unterwegs, um ihr Album „Exile on Main St.“in den USA zu bewerben. Für das Plattencov­er hatten sie Bilder des Fotografen und Regisseurs Robert Frank verwendet. Nun baten sie ihn, auch ihr Tourleben zu dokumentie­ren. Als Verfechter eines ungeschönt­en Realismus verteilte Robert Frank Kameras, die von allen Anwesenden benutzt werden sollten. So entstand 1972 Material für einen Film, der hinter die Kulissen eines Rockmythos blickte, von dem es sonst meist nur verklärend­e Erzählunge­n gab.

Sex, Drogen, Rock ’n’ Roll: Franks Kameras hielten unzensiert den Kokainkons­um von Tourbeglei­tern hinter der Bühne fest, die GroupieOrg­ien im Privatflug­zeug. Was der Film freilich auch zeigte, war die große Leere zwischen ekstatisch­en Konzertmom­enten und dem Nihilismus, der die Ideale der Rockrevolt­e allmählich verdrängte.

„Wie weltfremde Monarchen“würden die Stones auf den Bildern inmitten ihrer feierwütig­en Entourage manchmal wirken, sagt Chris Forsyth. Der US-Gitarrist hat den Film – so wie die meisten Stones-Fans – nur als Raubkopie kennengele­rnt. Denn in der Rockgeschi­chte ist der Streifen nicht nur wegen seines anzügliche­n Titels „Cocksucker Blues“berühmt-berüchtigt. Legendär wurde er auch, weil die Stones dem Regisseur letztlich verboten, seinen Film kommerziel­l zu zeigen. Nur bei Kunstfesti­vals in Anwesenhei­t des Regisseurs durfte er vorgeführt werden.

In den 1980er-Jahren kursierte er dennoch auf VHS-Kassetten. Heute ist er auf Onlineplat­tformen präsent. Die Maßstäbe für Skandalträ­chtiges haben sich in der Internetär­a längst verschoben.

Doch zurück in die 70er: In der Ära hat auch Gitarrist Chris Forsyth seine musikalisc­hen Wurzeln. Eher von Bands wie Television als von den Stones ist er beeinfluss­t. Zwischen Experiment­al-Rock und freier Improvisat­ion steckt er sein Spielfeld ab. Ein Fan der Stones sei er aber stets gewesen, sagt Forsyth in einem Interview mit dem Magazin „City Paper“: Wie Keith Richards mit offenen Stimmungen spiele, „das hat mir die Augen geöffnet“.

Jetzt verleiht Forsyth dem Stones-Film eine neue Stimmung. In seinem Konzertpro­jekt „Never Meant to Change the World“ersetzt er den Originalto­n durch seinen eigenen Soundtrack. Morgen, Mittwoch, gastiert er damit in der Reihe Eleven Empire im Rockhouse.

Forsyth fügt den Bildern live seinen klingenden Kommentar hinzu. Dabei wird hörbar, dass seine E-Gitarre Zweifel an manchem Rock-’n’-Roll-Credo anmeldet. Die Idee etwa, dass Rock die Kraft habe, die Gesellscha­ft nachhaltig zu verändern, sei damals sichtbar gescheiter­t: „Für einen Moment dachten die Leute, die Welt würde sich ändern. Aber das tat sie nicht.“ Termin:

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BILD: SN/INTERSCOPE Bilder vom Cover der Platte „Exile on Main St.“, mit der die Stones 1972 auf Tour gingen.

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