„Aufklärung ist ein zentraler Punkt“Eine Antisemitismusforscherin über fehlende Sensibilisierung in Schulen, Israel-Kritik, muslimische Zuwanderer und die FPÖ.
Die Historikerin Helga Embacher forscht an der Universität Salzburg zu Antisemitismus. Bei einer Konferenz zum Thema kommende Woche in Wien ist sie Gastrednerin. SN: In Österreich steigt die Zahl antisemitischer Übergriffe. Wie sieht es in Europa aus? Helga Embacher: Es ist schwierig zu sagen, ob eine Gesellschaft an sich antisemitischer wird. Um eine Entwicklung zu sehen, bräuchte man regelmäßige repräsentative Studien, die es leider nicht gibt. SN: Warum steigen die Fälle laut dem Bericht? Viele Menschen sind zum Glück doch sensibler und melden mehr. Zum Zweiten nimmt Antisemitismus zu, wenn sich weltpolitisch etwas ändert. Etwa beim Nahost-Konflikt. Oder: Mit der Wirtschaftskrise lebten Verschwörungstheorien um eine angebliche jüdische Weltherrschaft auf. SN: Was kann die Gesellschaft gegen das Problem tun? Aufklärung ist ein zentraler Punkt, aber wir haben zu wenige Erkenntnisse über die unterschiedlichen Motive, die hinter Antisemitismus stehen. Da gibt es massive Unterschiede. Mit einem Afghanen, der wenig bis nichts über den Holocaust weiß und Hitler verehrt, muss ich anders über Antisemitismus sprechen als mit einem Österreicher, der vielleicht sogar studiert hat. SN: Die Regierung will allen Schülern den Besuch in Mauthausen ermöglichen. Ist es damit getan? Das ist natürlich gut. Aber ein Besuch in Mauthausen allein ist zu wenig, um Antisemitismus zu verhindern. Viele Schulklassen kommen unvorbereitet und auch viele Lehrer haben wenige Kenntnisse über den Holocaust. Vor allem über die Hintergründe und die Entwicklungen, wie es dazu gekommen ist. SN: Wie beeinflussen Migranten aus muslimischen Ländern den Antisemitismus hierzulande? Die Menschen kommen aus Ländern, in denen die Politik meist sehr antisemitisch geprägt ist. Aber man muss vorsichtig sein, es ist keine homogene Gruppe. Syrer kommen aus einem Land, das im Kriegszustand mit Israel ist. Die haben andere Vorstellungen als Flüchtlinge aus Afghanistan, die oft nur eine vage Idee vom Judentum haben. Gefährlich finde ich die Vorstellung, dass der Antisemitismus nur importiert wird. Als hätten wir das Problem bereits bewältigt. SN: Wo hört Israel-Kritik auf, wo fängt Antisemitismus an? In der Wissenschaft gibt dazu nach wie vor keine allgemein anerkannte Definition und es kommt auch auf den Kontext an. Grob könnte man sagen, wenn in die Israel-Kritik antisemitische Vorurteile einfließen. SN: Wie wirkt sich die FPÖRegierungsbeteiligung auf die Debatte aus? Die Gefahr ist, dass Politiker, die auch eine Vorbildwirkung haben, unsensibel mit dem Thema umgehen, wie es zum Teil bei der Liederbuchaffäre geschehen ist. Andererseits führt der Fall auch zu einer notwendigen Debatte. Viele konnten sich vor der Liederbuchaffäre nichts unter Antisemitismus bei Burschenschaften vorstellen, jetzt hat man ein Beweisstück. Antisemitismus ist kein Thema der Vergangenheit, sondern ein sehr aktuelles.