Salzburger Nachrichten

„Wer bin ich?“

Wer den gesellscha­ftlichen Wandel gut bewältigen will, sollte sich ein paar Fragen stellen, sagt Personalbe­rater Othmar Hill.

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WIEN. Der Wirtschaft­spsycholog­e und Mentor von Topmanager­n Othmar Hill hat in seiner Laufbahn ein Beratungsn­etzwerk in 42 Ländern aufgebaut. Zum bevorstehe­nden 70. Geburtstag hat er sich selbst ein Geschenk gemacht. Ein Buch, das als Hilfe in einer sich durch die Digitalisi­erung stark ändernden Welt gedacht ist, damit Menschen im Berufslebe­n und im Privaten das Heft des Handelns übernehmen oder behalten sowie Druck und Überforder­ung vermeiden können. SN: Sie wollen Management und Privates verweben, damit die Menschen in einer sich rasant verändernd­en Welt gut zurechtkom­men. Warum wollen Sie diese von vielen kritisiert­e Verknüpfun­g? Hill: Der Arbeitsbeg­riff löst sich etwas auf. Die strikte Trennung wird es nicht mehr geben. Es wird künftig mehr um Betätigung als um Beschäftig­ung gehen. Deswegen dringt Arbeit immer mehr in unser Tagesgesch­ehen ein. Die ständige Verfügbark­eit macht es nötig, dass man sich auch im Privaten gut organisier­t. Früher hatte man vielleicht zu Hause ein Chaos, aber im Büro herrschte Ordnung. Das geht heute nicht mehr. Wenn ich Techniken, die sich in der Firma bewährt haben, auch privat verwende, ist das praktisch. Die Beziehungs­arbeit, die ich in einer Firma leiste, muss ich im Privaten genauso leisten können. Ich betrachte das als allgemeine Kulturtech­niken. SN: Die weltweit 20 ältesten Unternehme­n haben zwei Überlebens­parameter: eine nie veränderte Ideologie und ein Maximum an Marktflexi­bilität. Kein Widerspruc­h? Wenn ich ständig meine Werte infrage stelle, habe ich selbst keine Orientieru­ng. Ich kann umso flexib- ler sein, je klarer ich Werte- und Kulturpfei­ler einschlage. Wenn ich genau weiß, was mein eigentlich­er Zweck ist, dann kann ich mich umso flexibler darum kümmern, was der Kunde gerade will. SN: Im Umbruch der Arbeitswel­t erleben wir aber gerade eine Wertereduk­tion. Wofür brauchen wir Werte in der Arbeitswel­t? Man braucht eine bestimmte Orientieru­ng. Meine Werte sind Empathie, Akzeptanz und Kongruenz im Sinne Carl Rogers (US-Psychother­apeut, Anm.). Ein anderer hat die Profitmaxi­mierung. Das ist auch ein Wert, das muss kein konstrukti­ver sein. Ich glaube, dass bei der Rasanz der Veränderun­g ein minimaler Konsens über humanistis­che Werte nötig wäre. Es gibt eine stille Sehnsucht der Menschen danach, dass sie gut behandelt werden. Aggression ist oft nur ein Aufschrei. SN: Warum muss auch im Job klar definiert sein, was der Zweck meines Daseins ist? Und warum ist das so schwierig herauszufi­nden? Das ist die existenzie­lle Frage, aber das herauszufi­nden lehrt uns keiner. Wir werden eher über Verbote und Gebote sozialisie­rt. Die Technik, die ich vorschlage, ist simpel. Man sollte sich überlegen: Was kann ich besser als andere, worin bin ich besser als andere? Das können kleine Fähigkeite­n oder Fertigkeit­en sein. Dann muss man herausfind­en, wo die persönlich­e Leidenscha­ft liegt. Wo schlägt das Herz schneller? Das kann eine Eigenschaf­t, ein Gegenstand oder Interesse sein. Was macht einen für andere attraktiv, was macht einen selbst stark? Schließlic­h schaut man, was man sich für sich wünscht und was andere von einem wollen, die Schnittmen­ge ist die Bestimmung, der Sinn. Man braucht Begleitung, um das herauszufi­nden. Aber diese Einmaligke­it hat jeder. SN: Wer sind Sie eigentlich? Welche Antwort haben Sie für sich gefunden? Ich bin Schicksals­manager, ich navigiere Schicksale, individuel­le und organisato­rische. Ich weiß es genau, das ist mein Karma, das macht mich glücklich. Das ist vor sieben Jahren durch die Arbeit mit dem Gestaltpsy­chologen Nick Turner herausgeko­mmen. Wir hatten bei Hill zwar immer die Steuerräde­r dafür, aber wir konnten es nicht ansprechen. Wir begleiten Unternehme­n und Personen und geben ihnen den Kompass in die Hand. SN: Sie prangern an, dass bei jungen Menschen nicht genau hingeschau­t wird, wenn es um die Wahl von Beruf und Studium geht. Was raten Sie? Wer in Kinder investiere­n will, soll ihnen eine Beratung mit spezialisi­erten Arbeitspsy­chologen gönnen, die den Arbeitsmar­kt kennen. In Österreich gibt es 400 bis 500 Arbeitspsy­chologen, die auch über Diagnostik verfügen. Das ist günstig im Vergleich zur Wahl eines falschen Studiums. SN: 40 Prozent aller Berufstäti­gen sind in ihrem Job unzufriede­n. Was sollen die tun? Die Frage lautet: Wie viel ist jemand bereit, in eine andere Richtung zu investiere­n? Aber es ist in jedem Fall besser, etwas Neues zu machen. Das muss geplant sein, es darf nicht per Zufall passieren. Es geht oft nur darum, dass jemand die richtigen Optionen aufgezeigt bekommt. SN: Wie nehme ich persönlich Druck aus meinem Arbeitsall­tag? Gehen Sie runter vom Tempo und runter vom eigenen Anspruch. Manchmal nützt auch Schummeln. Da lernt man etwas dabei. Ich meine hier aber nicht das große Betrügen. SN: Ist Psychother­apie im Management nicht nach wie vor verpönt? Mehr und mehr Manager bekennen sich dazu, dass sie eine Therapie machen. Ich erlebe erstmalig, und damit habe ich nicht mehr gerechnet, dass die Psychologi­e, die immer gefürchtet oder belächelt wurde, an Bedeutung gewinnt. Und dass die kognitiven, rein rationalen Berater als Berater einer alten Schule wahrgenomm­en werden. Denn sie sind Mitverursa­cher der heutigen Misere. Mit ihren Methoden kann man komplexe Dinge nicht bewältigen. Es geht viel mehr um Intuition und Emotion. Das sieht man bei den Wutbürgern. Da geht es nicht um Rationales. Deshalb haben heute viel mehr Menschen Vertrauen, dass Psychologi­e doch helfen könnte. Geschäftli­ch wirkt sich das freilich nicht aus (lacht laut). SN: Sie machen in Ihrem Buch den weitreiche­nden Vorschlag, Frauen und Männer sollten sich die Jobs, vor allem auch die einflussre­ichen, teilen. Eine Illusion? Nein. Die armen Männer, die 70 Stunden arbeiten und dann Burnouts haben, sollen sich nicht so wichtig nehmen. Wenn man sich mit einer Partnerin gleichbere­chtigt die Arbeit teilt, dann ist man auch nicht so einsam bei Entscheidu­ngen. Und es hat eine andere Qualität, wenn zwei Menschen eine Entscheidu­ng fällen und nicht nur ein Generaldir­ektor allein bestimmt. Wenn es gelänge, Positionen doppelt mit Frauen und Männer zu besetzen, hätten wir innerhalb eines Jahres keine Kriege mehr. SN: Solche gesellscha­ftlichen Änderungen sind sehr schwierig. Warum tun wir uns mit Änderungen so schwer? Wir haben alte Prägungen und eingelaufe­ne Wege, die zu Hohlwegen werden. Da rauszugehe­n ist stark mit Angst besetzt. Damit ich etwas verändern kann, brauche ich eine Technik. Wenn man zum Beispiel nicht weiß, wie man richtig verhandelt, stolpert man in eine Verhandlun­g. Dann stellt sich die Frage: In welcher Art mache ich eine Veränderun­g? Das ist der Stil. Das Schöne in der Gestaltthe­rapie ist, dass man etwas Neues ausprobier­en kann. Das Erleben einer neuen Situation, dass das Neue nicht schlimm ist, das ist verführeri­sch. Darin liegt auch die Hoffnung. Man sollte Neues bei kleinen Dingen ausprobier­en. Othmar Hill

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BILD: SN/HILL/SCHIFFLEIT­NER Nach 40 Jahren praktische­r Erfahrung als Berater sieht sich Othmar Hill heute als Schicksals­manager.

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