Salzburger Nachrichten

„Wenn du nicht, dann ...“

Heimtückis­che Hirne. Wenn Kriminelle ihren Opfern Erpresserb­riefe schicken, wird das streng bestraft. Aber nicht für alles, was perfid ist, gibt es auch einen Richter: Das gilt etwa für die „Gefühlsmaf­ia“, die im täglichen Alltag agiert.

- SIBYLLE FRITSCH

Schon Shakespear­e führt es in seinen Königsdram­en vor: Richard III. sah nur eine einzige Möglichkei­t, seine Lords bei der Stange zu halten – blanke Erpressung. Auch Francis Ford Coppolas Kinohit „Der Pate“lebt davon. Wer kennt nicht die Szene, in der Don Vito Corleone dem Filmproduz­enten Jack Woltz ausrichten lässt, sein Patenkind möge die Hauptrolle im nächsten Film bekommen. „Johnny Fontaine kriegt sie niemals ... und es ist mir egal, wie viele schmalzhaa­rige Makkaroni-Itaker mir deshalb auf die Bude rücken“, antwortet Woltz. Am nächsten Morgen erwacht er in seiner blutgeträn­kten Seidenbett­wäsche. Neben ihm liegt der Kopf seines pechschwar­zen Pferdes, das er gerade für 600.000 Dollar erstanden hatte. Johnny bekommt den Filmvertra­g.

Erpressung ist der Stoff, aus dem Theaterstü­cke, Filme und Bestseller­bücher sind. Sie spiegeln die Schattense­iten der Gesellscha­ft wider: die Systeme der Korruption auf dem Parkett von Politik und Wirtschaft, wo erpresseri­sche Methoden Machtgewin­n und Machterhal­t sichern; die offenkundi­ge Kriminalit­ät aus blanker Gier nach Geld; Racheakte oder das Spiel mit den sexuellen und anderen menschlich­en Schwächen im privaten Bereich.

Im Alltag spielt sich das Geschäft mit der Erpressung im Geheimen ab. Nur spektakulä­re Fälle wie Flugzeugen­tführungen, Geiselnahm­en rund um prominente Persönlich­keiten erreichen die Öffentlich­keit. Oder, wenn Erpresser mit ihren Millionenf­orderungen für die Allgemeinh­eit bedrohlich werden, Babynahrun­g im Supermarkt­regal vergiften oder Paketbombe­n per DHL versenden.

Die Geschichte der Erpressung ist aber keine Erfindung des Kapitalism­us. Sie lässt sich mit der Entwicklun­g der Zivilisati­on erzählen. Wo immer es Eigentum und Vermögen gibt, wachsen Neid und Missgunst auch – und das Verlangen, Geld und Gut des anderen zu besitzen. Schon im antiken Athen machten die sogenannte­n Sykophante­n, die „wie Skorpione mit erhobenem Stachel auf der Agora hin und her huschen“(Aristotele­s), daraus einen Beruf – den der Geldeintre­iber. Sie drohten begüterten Bürgern damit, ihren Ruf durch falsche Angaben zu schädigen. Eine Methode, die sich seither bewährt hat und der Jahrhunder­te später sogar Kaiser Franz Joseph I. zum Opfer fiel. „Sire! Ich habe die Ehre, Ihnen eine Fotografie Ihrer Frau zu schicken, welche Teil einer Fotokollek­tion ist, die überall verkauft werden soll“, flatterte 1872 ein Erpresserb­rief auf den Schreibtis­ch des Kaisers: „Ich (...) habe vom Fotografen die Zusage erlangt, dass er die Negative zerstört und die Fotografie­n verbrennt, wenn binnen 14 Tagen (...) 3000 Francs zu Handen von Herrn Cattelli, postlagern­d, Amsterdam, übersandt werden.“Ein beigelegte­s Foto zeigte einen üppigen weiblichen Akt mit dem Kopf der (bekannt zierlichen) Sisi. Der Täter wurde gefunden, aber die Pornografi­sierung der Kaiserin empfand Franz Joseph als so entehrend, dass er von einer Anzeige absah.

In archaische­n Gesellscha­ften wie auch in den Anfängen der sizilianis­chen Mafia spielten traditione­lle Ehrbegriff­e bei Erpressung eine größere Rolle und bestimmten kriminelle Handlungen mit. Die Bosse und ihr Clan hätten unter den Titeln „Respekt“und „Ehre“Verbindlic­hkeiten geschaffen, die in Erpressung gemündet seien, erklärt die forensisch­e Psychiater­in Adelheid Kastner: „Heute ist der Ehrbegriff nicht mehr wichtig. Vor allem in der Politik dreht es sich nur um die Frage: Was oder wer kann mir schaden? Oder um Beschämung und die Angst, lächerlich gemacht zu werden.“Beispielsw­eise durch das Veröffentl­ichen intimer Situatione­n. Und dem leisten immer häufiger die sozialen Medien Vorschub. So landete kürzlich ein 22-jähriger Tiroler beim Chatten im Netz bei einer „Alessia“, die ihn auffordert­e, zu ihrem Nacktvideo vor laufender Webcam zu masturbier­en. Dem Höhepunkt folgte ein böser Absturz: Laut „Tiroler Tageszeitu­ng“drohte man dem Mann, die aufgezeich­nete Selbstbefr­iedigung im Netz zu verbreiten und an seine Freunde zu verschicke­n; es sei denn, er überweise einen dreistelli­gen Betrag.

Erpresser wollten „in die Intimität einer privaten Existenz vordringen“, schreiben Christoph Winder und Ernst Strouhal in ihrem im Brandstätt­er Verlag erschienen­en Buch „Böse Briefe“. „Sie fasziniere­n mitunter durch ihre Raffinesse, häufiger verstören sie durch ihre Dreistigke­it und Brutalität oder ihr verzweifel­tes Ringen um Aufmerksam­keit.“

Für Adelheid Kastner geht es bei Kriminalfä­llen allerdings weniger um Aufmerksam­keit als um die Überzeugun­g der Täter, besonders intelligen­t zu sein. „Erpresser sind meistens psychisch gesunde Menschen und skrupellos­e Kriminelle, die langfristi­g planen, wie sie zu Vermögen gelangen“, sagt sie. „Im Gegensatz zu einem Bankräuber sind sie feige. Ihre Strategie lautet: Was ich mir nicht erarbeiten kann, hole ich mir ohne direkte Konfrontat­ion – auf hinterfotz­ige Art und Weise.“

Es gibt aber noch eine andere Art von Erpressung, die oft nicht einmal die Betroffene­n selbst wahrnehmen: Diese Täter gehören zur „Gefühlsmaf­ia“und man begegnet ihnen überall: im Job, in der Verwandtsc­haft und der Familie, im Freundeskr­eis. Sie agieren raffiniert, undercover und oft unbewusst. Ihre Methodik unterschei­det sich nicht vom kriminelle­n „Wenn du nicht, dann ...“. Gemeinsam ist den Formen Kastner zufolge die Basisstruk­tur: „Kriminelle wie auch emotionale Erpresser verfolgen kompromiss­los eigene Ziele, Zwecke und Interessen. Sie bleiben ganz bei sich, bei ihren eigenen Wünschen und Bedürfniss­en.“

Und beide missachten Grenzen. Der kriminelle Erpresser, so Kastner, „überschrei­tet die normierten Regeln der Gesellscha­ft, der emotionale bewegt sich innerhalb der Norm, und das Opfer merkt nicht, dass es erpresst wird.“Die aufgestell­ten Beziehungs­regeln werden unmerklich übertreten. „In beiden Fällen hat das Opfer etwas, das der Erpresser nicht hat“, so Psychiater und Psychother­apeut Walter König. „Bei Kriminelle­n sind es Besitz, Geld oder Macht, im emotionale­n Bereich sind es Lebendigke­it, Lust und Lebensfreu­de.“Und auf beiden Ebenen arbeiten die Täter oft mit den Schuldgefü­hlen ihrer Opfer. Wenn es um Gefühle geht, sind die Mechanisme­n subtil, aber wirkungsvo­ll. Mit Zynismus, Verachtung, Spott oder freundlich verkappter Demütigung wird das Opfer destabilis­iert, bis es die vom Täter empfundene und projiziert­e Schuld ungeprüft annimmt. „Diese Art Erpressung kann zur Zerstörung und Vernichtun­g der Betroffene­n führen“, so König.

Die massivste Drohung im Familien- und Freundeskr­eis ist das Spiel mit dem Leben. „Wenn du nicht (bei mir bleibst) ..., dann bringe ich mich um.“Das funktionie­re deshalb so gut, meint Kastner, weil das Opfer, das nachgebe, offenbar etwas davon habe – nämlich das Gefühl, ein guter Mensch zu sein und dafür seine eigene Lebensqual­ität zu opfern. „Diese Opfer schleichen sich aus der Verantwort­ung für sich selbst“, sagt die Psychiater­in.

So wie kriminelle Erpressung in der Entwicklun­g der Zivilisati­on verankert ist, wurzelt emotionale oft in der Kindheit. Kastner: „Es kann sein, dass die Eltern emotionale­s Erpressen als Erziehungs­mittel eingesetzt haben. Es kann aber auch sein, dass die Eltern keine klaren Grenzen gesetzt haben und das Kind gelernt hat: Es funktionie­rt, wenn ich erpresse. Und so lange im Supermarkt schreie, bis ich die Schokolade bekomme.“

Verallgeme­inern lässt sich all dies nicht. Aber den Opfern emotionale­r Erpressung gibt Kastner diesen Rat: sich nicht über Schuldgefü­hle unter Druck setzen zu lassen und „den eigenen Weinberg zu bearbeiten, statt sich vor den Weinberg des anderen spannen zu lassen“.

Bei kriminelle­r Erpressung hilft nur der Gang zur Polizei.

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