Die unsichtbare Korruption
Aus Demokratien dringen mehr Fälle politischen Unterschleifs nach außen als aus Diktaturen. Das kann zu Fehleinschätzungen führen.
In Südafrika wurde Präsident Jacob Zuma, ein Großmeister in der üblen Kunst der Korruption, soeben wegen fortgesetzten Wirtschaftens in seine eigene Tasche aus dem Amt gefegt.
In Israel droht dem Premierminister Benjamin Netanjahu eine Anklage wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Machtmissbrauchs.
Der Schluss liegt nahe, dass es sich bei diesen beiden Ländern um zwei besonders korrupte Länder handelt.
Dieser Schluss wäre freilich ein Fehlschluss. Im Korruptionsindex der weltweit tätigen Sauberkeitshüter von Transparency International liegt Israel auf dem gar nicht üblen 28. Platz. Und damit weit vor Ländern wie Spanien, Tschechien, Kroatien und Ungarn. Auch Südafrika, das schwer an seinen raffgierigen Eliten leidet, ist keine Bananenrepublik. Das Land am Kap der Guten Hoffnung liegt auf dem soliden 64. Platz des insgesamt 176 Länder umfassenden Rankings.
Die hinteren Ränge der Korruptionsliste werden von Ländern eingenommen, aus denen nicht allzu viele Korruptionsfälle an die Weltöffentlichkeit dringen: Libyen und Syrien, Irak und Somalia. Und Nordkorea. Es handelt sich um Länder, die (Ausnahme: Nordkorea) durch Kriege, Bürgerkriege und sonstiges Chaos zerrissen sind. Es handelt sich, inklusive Nordkorea, um autoritäre bis totalitäre Regime.
Man kann also unschwer erkennen, dass es
Verzerrte Korruptionswahrnehmung
einen Zusammenhang gibt zwischen Demokratie und Korruption. In Demokratien füllen Korruptionsfälle die Schlagzeilen. In finsteren Diktaturen hingegen hört man wenig von Korruption. Nicht, weil es sie nicht gibt, im Gegenteil, es gibt sie gerade dort im Übermaß. Es gibt aber niemanden, der sie aufdecken dürfte.
Dort hingegen, wo eine freie (oder auch nur annähernd freie) Presse und eine annähernd freie Justiz agieren, erblickt die Korruption das Licht der Öffentlichkeit und der Schlagzeilen. Dieses Phänomen der verzerrten Wahrnehmung führt dazu, dass ein vergleichsweise kleiner Korruptionsfall in Israel (es geht unter anderem um Schmuck, Champagner und die Protektion eines Zeitungsherausgebers durch den Ministerpräsidenten) mehr weltweite Schlagzeilen macht als der Umstand, dass in etlichen Staaten dieser Welt die Herrscherfamilien Milliarden in ihre Taschen umlenken, während ihre Völker hungern. Selbst Südafrika, wo keineswegs alles zum Besten steht, darf sich immerhin rühmen, einen regierenden Kleptokraten auf unblutige Weise losgeworden zu sein. Denn es gibt hier eine Justiz, die ermitteln, und eine Medienszene, die darüber berichten darf. Ganz ähnlich wie in Israel. Das ist weit mehr als in vielen anderen Ländern der Welt. Und führt dennoch bei manchem Beobachter zur unrichtigen Annahme, dass diese Länder korrupter seien als eine beliebige mittelafrikanische Diktatur. Oder Nordkorea. Oder sonst ein mit eiserner Faust unterdrücktes Staatsgefängnis, aus dem so gut wie nie Korruptionsmeldungen dringen.
Das Phänomen der verzerrten Wahrnehmung gilt übrigens auch für Österreich, das in den vergangenen Jahren hinsichtlich fetter Korruptionsfälle einiges zu verdauen hatte. Etwa einen ÖVP-Landesparteichef, der ebenso ins Gefängnis musste wie ein ehemaliger Innenminister. Einen roten Landeshauptmann, über dem derzeit das Damoklesschwert einer Anklage schwebt. Eine halbe blau-orange Kärntner Ex-Landesregierung, die mehrfach mit der Strafjustiz Bekanntschaft machte. Und einen ehemaligen Finanzminister nebst umfangreichem Ex-Hofstaat, der sich seit Wochen wegen mutmaßlicher Korruption vor Gericht verantworten muss. Schlimm genug – doch noch lange kein betrübliches Anzeichen dafür, dass unser Land besonders korrupt wäre. Sondern erfreuliches Anzeichen dafür, dass bei uns politische Korruptionsfälle seit einigen Jahren konsequent verfolgt werden. Erfreuliches Anzeichen dafür, dass es in unserem Land eine unabhängige Justiz gibt, die sich vor Machthaberern nicht fürchtet, und freie Medien, die darüber berichten dürfen und können. In diesem Lichte ist es ratsam für unsere Zivilgesellschaft, die medienpolitischen Aktivitäten der neuen Regierung genau zu verfolgen. Und es nicht hinzunehmen, sollte etwa der ORF in gleichem Maße umgefärbt werden wie der Aufsichtsrat der ÖBB.
Übrigens: Österreich liegt im eingangs erwähnten Ranking der saubersten Staaten auf Platz 17. Das ist nicht so schlecht, wie manche glauben. Und nicht so gut, wie unser Land eigentlich sein sollte.