Die Burschenschaften und andere Themen
Warum plötzlich leidenschaftlich über eine Frage debattiert wird, die so lange niemanden interessiert hat.
Politik und politischer Erfolg hängen eng mit dem Setzen von Themen zusammen. Sebastian Kurz verdankte seinen Wahlsieg im Vorjahr vor allem dem Umstand, dass sein Hauptthema – die Migrationskrise – im Zentrum des Wahlkampfs stand. Umgekehrt war die Niederlage der SPÖ darauf zurückzuführen, dass ihr Leibthema – die Umverteilung – im Wahlkampf kaum zur Sprache kam, weil die ÖVP jede Debatte darüber verweigerte.
Dieser Kampf um das beherrschende Thema der öffentlichen Diskussion hat sich auch nach der Regierungsbildung fortgesetzt und beschert aktuell den Burschenschaften eine Aufmerksamkeit, die weit über ihre tatsächliche Bedeutung hinausgeht.
Wie ist es dazu gekommen? Oberstes Ziel von ÖVP und FPÖ ist es derzeit eindeutig, Rücksicht auf die Landtagswahlen im heurigen Frühjahr zu nehmen und daher die wirklich wichtigen Fragen – Pensionen, Budgetsanierung etc. – nicht anzusprechen. Denn das könnte Wähler in den Ländern verschrecken. Stattdessen streut die Regierung nur populäre Nachrichten aus. In erster Linie geht es dabei um Sicherheit und höhere Strafen.
Wirklich beherrschen kann die Koalition mit diesen Themen die Nachrichtenlage aber nicht. Denn die Opposition tut ihr nicht den Gefallen, die Regierungspläne zu kritisieren und dadurch eine breitenwirksame Debatte zu ermöglichen. So herrscht momentan eine gewisse Leere im öffentlichen Diskurs.
In dieser Leere zieht das Thema Burschenschafter jetzt viel Aufmerksamkeit auf sich. Dies ist insofern überraschend, als bei früheren Regierungsbeteiligungen der Freiheitlichen, etwa der aktuellen rot-blauen Koalition im Burgenland oder der seinerzeitigen rot-blauen Koalition Sinowatz/Steger, die Burschenschafter nie ein Thema waren. Die Debatte ist für die FPÖ extrem unangenehm, berührt sie doch ihren wundesten Punkt – ihre ideologischen Wurzeln im Deutschnationalismus. Auch die Regierungskoalition trifft die Diskussion an einer heiklen Nahtstelle, denn schwarze CVer und blaue Burschenschafter haben einander noch nie leiden können.
Ziel der FPÖ ist es jetzt klarerweise, das Thema vom Tisch zu bekommen. Ein bewährtes Mittel, eine leidige Angelegenheit aus den Schlagzeilen zu bringen, wurde ergriffen: die Betrauung einer Arbeitsgruppe. Ab sofort kann die FPÖ bei allen Fragen zu ihrer Vergangenheit auf die Historikerkommission verweisen, die zumindest ein Jahr lang tagen und davor nichts sagen wird. – Thema also vom Tisch? Keineswegs, denn nun wird über die Zusammensetzung der FPÖ-Kommission debattiert. Die spannende taktische Auseinandersetzung um das Hauptthema der Politik geht weiter.