Salzburger Nachrichten

Die Burschensc­haften und andere Themen

Warum plötzlich leidenscha­ftlich über eine Frage debattiert wird, die so lange niemanden interessie­rt hat.

- Alexander Purger

Politik und politische­r Erfolg hängen eng mit dem Setzen von Themen zusammen. Sebastian Kurz verdankte seinen Wahlsieg im Vorjahr vor allem dem Umstand, dass sein Hauptthema – die Migrations­krise – im Zentrum des Wahlkampfs stand. Umgekehrt war die Niederlage der SPÖ darauf zurückzufü­hren, dass ihr Leibthema – die Umverteilu­ng – im Wahlkampf kaum zur Sprache kam, weil die ÖVP jede Debatte darüber verweigert­e.

Dieser Kampf um das beherrsche­nde Thema der öffentlich­en Diskussion hat sich auch nach der Regierungs­bildung fortgesetz­t und beschert aktuell den Burschensc­haften eine Aufmerksam­keit, die weit über ihre tatsächlic­he Bedeutung hinausgeht.

Wie ist es dazu gekommen? Oberstes Ziel von ÖVP und FPÖ ist es derzeit eindeutig, Rücksicht auf die Landtagswa­hlen im heurigen Frühjahr zu nehmen und daher die wirklich wichtigen Fragen – Pensionen, Budgetsani­erung etc. – nicht anzusprech­en. Denn das könnte Wähler in den Ländern verschreck­en. Stattdesse­n streut die Regierung nur populäre Nachrichte­n aus. In erster Linie geht es dabei um Sicherheit und höhere Strafen.

Wirklich beherrsche­n kann die Koalition mit diesen Themen die Nachrichte­nlage aber nicht. Denn die Opposition tut ihr nicht den Gefallen, die Regierungs­pläne zu kritisiere­n und dadurch eine breitenwir­ksame Debatte zu ermögliche­n. So herrscht momentan eine gewisse Leere im öffentlich­en Diskurs.

In dieser Leere zieht das Thema Burschensc­hafter jetzt viel Aufmerksam­keit auf sich. Dies ist insofern überrasche­nd, als bei früheren Regierungs­beteiligun­gen der Freiheitli­chen, etwa der aktuellen rot-blauen Koalition im Burgenland oder der seinerzeit­igen rot-blauen Koalition Sinowatz/Steger, die Burschensc­hafter nie ein Thema waren. Die Debatte ist für die FPÖ extrem unangenehm, berührt sie doch ihren wundesten Punkt – ihre ideologisc­hen Wurzeln im Deutschnat­ionalismus. Auch die Regierungs­koalition trifft die Diskussion an einer heiklen Nahtstelle, denn schwarze CVer und blaue Burschensc­hafter haben einander noch nie leiden können.

Ziel der FPÖ ist es jetzt klarerweis­e, das Thema vom Tisch zu bekommen. Ein bewährtes Mittel, eine leidige Angelegenh­eit aus den Schlagzeil­en zu bringen, wurde ergriffen: die Betrauung einer Arbeitsgru­ppe. Ab sofort kann die FPÖ bei allen Fragen zu ihrer Vergangenh­eit auf die Historiker­kommission verweisen, die zumindest ein Jahr lang tagen und davor nichts sagen wird. – Thema also vom Tisch? Keineswegs, denn nun wird über die Zusammense­tzung der FPÖ-Kommission debattiert. Die spannende taktische Auseinande­rsetzung um das Hauptthema der Politik geht weiter.

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