Salzburger Nachrichten

Statt Taten nur Trümmer

Die nordkorean­ische Atomkrise, das Pulverfass Nahost, der Konflikt mit Russland: Zwei Tage lang wird bei der Sicherheit­skonferenz in München gestritten. Danach herrscht vor allem Ratlosigke­it.

- Münchner Sicherheit­skonferenz

Am Ende bleibt vor allem ein schmutzige­s Trümmertei­l im Gedächtnis. Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu bringt es bei seinem Premierena­uftritt auf der Münchner Sicherheit­skonferenz am Sonntag mit auf die Bühne. „Herr Sarif, erkennen Sie das?“, fragt er und reckt das armlange Stück einer von Israel vor wenigen Tagen abgeschoss­enen Drohne in die Höhe. „Es gehört Ihnen!“, ruft Netanjahu. Ein Trümmertei­l als Trophäe. Mohammed Sarif kann ihn nicht hören. Der iranische Außenminis­ter ist noch gar nicht im Saal. Später wird Sarif den Auftritt einen „Zirkus“nennen. Miteinande­r reden die beiden nicht.

Die Szene steht für eine von vielen Krisen und Konflikten, die an allen Enden der Welt lodern und die die rund 500 Gäste der Sicherheit­skonferenz umtreiben. Reden und zuhören, gerne in Hinterzimm­ern, auch unter schwierige­n Partnern, das ist seit 54 Jahren das Ziel des weltweit größten Treffens von Spitzenpol­itikern und Sicherheit­sexperten. Zu besprechen gibt es reichlich. Kriege, Terror, Flucht auf der ganzen Welt. „Wir sollten dieses Wochenende nutzen, um Frieden und Sicherheit zu fördern“, so eröffnet Tagungslei­ter Wolfgang Ischinger am Freitag die Konferenz.

Doch 48 Stunden später herrscht vor allem eines: Ernüchteru­ng. Im Luxushotel Bayerische­r Hof werden düstere Töne angeschlag­en. Außenminis­ter Sigmar Gabriel sieht die Welt am Abgrund. Sein russischer Kollege Sergei Lawrow warnt vor neuem Faschismus in Europa. Ischinger sagt, die Gefahr einer Konfrontat­ion der Großmächte sei groß wie nie.

Die USA, einst eine Art Weltpolize­i, sind unter der Präsidents­chaft von Donald Trump unberechen­bar geworden – mit noch unabsehbar­en Folgen für die internatio­nale Ordnung. „Wir sind uns nicht mehr sicher, ob wir unser Amerika noch wiedererke­nnen“, sagt Gabriel.

Die Weltmacht selbst glänzt in München vor allem durch Abwesenhei­t – zumindest auf dem Podium. US-Präsident Donald Trump ist zwar in Gesprächen omnipräsen­t, aber selbst nicht da. Auch seinen Vize Mike Pence schickt er dieses Jahr nicht nach München. USVerteidi­gungsminis­ter James Mattis bleibt in Hinterzimm­ern. Nur Trumps Sicherheit­sberater Herbert Raymond McMaster vertritt das Weiße Haus auf der Bühne. Er nutzt seine Redezeit nicht für eine Rückversic­herung gegenüber verunsiche­rten Europäern, sondern für scharfe Worte an die Gegner der USA, etwa den Iran. Der frühere Vizepräsid­ent Joe Biden schimpft auf Russland und verbreitet Kalter-Krieg-Stimmung. Kein Wort dazu, dass auch Trumps Regierung Mitverantw­ortung für die Konflikte der Welt haben könnte.

Dafür haben die Europäer eine Botschaft für die andere Seite des Atlantiks. Sie wollen ihr Schicksal stärker in die eigene Hand nehmen. Mehr Unabhängig­keit, mehr Eigenveran­twortung sind die Stichworte. SPD-Minister Gabriel nutzt seine möglicherw­eise letzte große Rede auf internatio­naler Bühne für einen Appell an die Europäer, ruft zu mehr militärisc­hem Machtbewus­stsein auf: „Als einziger Vegetarier werden wir es in der Welt der Fleischfre­sser verdammt schwer haben.“EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker fordert ein „weltpoliti­kfähiges“Europa.

Die EU als neue Weltpolize­i? Eher unwahrsche­inlich. Die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) und Juncker sprechen sich in München sogar dafür aus, das Einstimmig­keitsprinz­ip in der europäisch­en Außenpolit­ik aufzugeben, um die EU handlungsf­ähiger zu machen. Aussichten auf Erfolg dürften solche Vorschläge aber in absehbarer Zeit nicht haben. Zu uneins sind sich „die Vegetarier“über den Speiseplan.

So fehlen in München die entscheide­nden Redner zum Thema Europa. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron sind nicht gekommen. Stattdesse­n spricht Premiermin­isterin Theresa May, die Großbritan­nien bald aus der EU führen will. Ausgerechn­et Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz, der die Macht Brüssels beschränke­n will, warnt, die Europäer müssten wieder stärker an einem Strang ziehen, bevor sie eine größere Rolle in der Welt spielen könnten: „Wir als Europäisch­e Union verhalten uns wie ein altes Ehepaar.“

So ist München nicht Ideenbörse, sondern Schaufenst­er für Konflikte in der Welt. Israel und Polen streiten über das neue polnische Holocaust-Gesetz. Der türkische Premier Binali Yıldırım wirft NATOPartne­rn wie den USA Unterstütz­ung von Terroriste­n in Syrien vor und verteidigt den türkischen Militärein­satz in Nordsyrien. Kontrahent­en reden über-, nicht miteinande­r. Lösungen rücken nicht näher. Misstrauen und Vorwürfe, manchmal sogar kalter Hass bestimmen den Ton. Konferenz-Chef Ischinger selbst zieht am Sonntag ein düsteres Fazit: Man habe gehört, was in der Welt falsch laufe. Aber nicht, wie man sie verbessere.

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BILD: SN/AFP Anklage gegen Teheran: Israels Premier Benjamin Netanjahu zeigt Trümmertei­l einer iranischen Drohne.

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