Briten kämpfen gegen Plastikmüll
Eine mehrteilige Dokumentation über die Natur auf der Erde hat die Bevölkerung und die Politik wachgerüttelt. Kleine Gemeinden werden zu Pionieren.
LONDON. Jeden Sonntagabend versammelte sich die britische Nation vor dem Bildschirm, um abzutauchen. Es ging vom Sofa aus in die leuchtende Tiefsee, durch farbenfrohe Korallenriffe, in den dichten Unterwasserdschungel und in die dunkle, unbekannte Wasserwüste der Hochsee. In der Woche darauf diskutierte das Land aufgeregt über Teufelsrochen und Laternenfische, über Dickkopf-Stachelmakrelen, die sich aus dem Wasser katapultieren, um Vögel im Flug zu fangen.
Die sechsteilige BBC-Dokumentation „Der Blaue Planet“(„Blue Planet II“) war ab Herbst vergangenen Jahres umwerfendes Erlebnisfernsehen. Ab heute, Montagabend, wird die Naturserie wie bereits in den SN von Samstag gemeldet, auch im deutschen Fernsehen ausgestrahlt. Vier Jahre lang waren verschiedene Teams auf 125 Expeditionen unterwegs, besuchten 39 Länder und filmten auf jedem Kontinent sowie in jedem Ozean mit neuer Technologie, Drohnen, MiniU-Booten und Endoskopkameras. Es kamen mehr als 6000 Stunden auf Tauchgängen zusammen. Und atemberaubende Bilder, die es so noch nie zuvor gab. Verantwortlicher Produzent des MammutProjekts war James Honeyborne, selbst Biologe und passionierter Taucher. Am meisten freut ihn, dass die junge Generation genauso fasziniert ist wie die Alten, sagt er. Das gebe ihm Hoffnung für die Zukunft.
In Großbritannien hat die BBCSerie, die im Schnitt mehr als elf Millionen Zuschauer sahen, aufgerüttelt und den grünen Trend auf der Insel in alle Winkel des Königreichs verbreitet. Bilder von einem Baby-Pottwal mit Plastikeimer im Maul oder von Albatrossen, die ihre Jungen mit Plastik füttern, sorgten für einen Sturm der Entrüstung. Der 91-jährige Sir David Attenborough, der Erzähler der britischen Ausgabe der Naturserie, mahnte eindringlich: „Die Zukunft allen Lebens hängt jetzt von uns ab.“Und Politiker wie Unternehmen, Privatleute wie Supermarktketten scheinen seinem Aufruf, den Kampf gegen Plastik zu intensivieren, folgen zu wollen. „Ich werde nie wieder einen Plastiksack benutzen“, schrieb eine Engländerin auf Twitter.
Es herrscht Aufbruchstimmung in einem Land, in dem Umweltstandards in der Vergangenheit vor allem wegen EU-Richtlinien erreicht wurden und die britische Politik sich vornehmlich zurückhielt. Doch in der Gesellschaft hat ein Umdenken eingesetzt. So feiern etwa Milchmänner im Königreich eine Renaissance, die es auch auf die TV-Doku zurückführen, dass immer mehr Menschen morgens ihre Milch lieber in der Glasflasche vor der Tür wünschen als sie im Plastikbehälter zu kaufen. Die Regierung will eine Abgabe auf Wegwerfverpackungen, vor allem auf nicht wiederverwertbare Plastikflaschen, erheben und Supermärkte davon überzeugen, „plastikfreie Regale“einzurichten. Säcke kosten bereits seit drei Jahren fünf Pence pro Stück. Seit Anfang Jänner 2018 ist die Herstellung, ab Juli 2018 auch der Verkauf von Mikroplastik in Kosmetika verboten.
Viel weiter sind sie in Cornwall im Südwesten Englands: Die Kleinstadt Penzance darf als erste im Königreich den offiziellen Status „plastikfrei“tragen. Der Titel wurde von der Umweltorganisation Surfers against Sewage (Surfer gegen Müll) verliehen, die regelmäßig die Bewohner der Gemeinden dazu aufruft, die Strände und Küstenstreifen von Plastikmüll, der entweder dort entsorgt oder vom Meer angespült wurde, zu befreien. In Penzance verzichten aber auch Einzelhändler auf Einmalplastik, Restaurants und Cafés ersetzen Plastikbesteck durch Holzversionen, Touristen trinken Kaffee aus kompostierbaren Bechern. Mittlerweile folgen mehr als 100 andere Gemeinden dem Engagement und bemühen sich um ein Plastikfrei-Zertifikat. Die Briten haben ihre Liebe für den Umweltschutz neu entdeckt – auch dank „Der Blaue Planet“.