Salzburger Nachrichten

Schlaue Bauern erfinden Milch

Von wegen rückständi­g – auf Österreich­s Bauernhöfe­n lebt mehr Erfinder- und Pioniergei­st, als man gemeinhin annimmt. In Sachen Innovation hängt die Landwirtsc­haft andere Branchen ab.

- HANS GMEINER

Österreich hinkt bei der Agrarforsc­hung nach

SALZBURG. Weil sie mit dem Geld, das sie für ihre Milch bekamen, keine rechte Zukunft mehr sahen, begannen vor gut zehn Jahren Bauern im Salzburger Flachgau die Fütterung umzustelle­n. Statt mit vergorener Silage fütterten sie ihre Kühe mit natürliche­m Heu, wie es direkt von ihren Wiesen kam. Angesichts der wachsenden Nachfrage nach möglichst naturnahen Produkten versprache­n sie sich davon bessere Preise. Das Kalkül ging auf. Die Marke „Heumilch“ist heute eine der großen Erfolgsges­chichten der österreich­ischen Landwirtsc­haft.

Knapp 500 Mill. Kilogramm werden inzwischen im In- und Ausland als Heumilch vermarktet. Für die Landwirte gibt es einen eigenen Heumilch-Zuschlag von fünf Cent pro Kilogramm. „Für unsere Bauern haben wir damit im Vorjahr einen Mehrwert von 24 Mill. Euro geschaffen“, sagt Karl Neuhofer, Obmann der Arge Heumilch, stolz.

Für Franz Sinabell vom Wirtschaft­sforschung­sinstitut (Wifo) ist das Heumilch-Projekt typisch für das Innovation­sverhalten in der heimischen Agrarszene. „Die Leute, auch in der Wissenscha­ft, glauben immer noch, dass die Bauern nicht innovativ sind, sondern arme Hascherln, denen man helfen muss“, sagt der Wifo-Experte. „Sie kaufen, so die landläufig­e Meinung, nur über Maschinen, Saatgut und Pflanzensc­hutzmittel Innovation­en zu, die in anderen Bereichen entstanden sind, und wenden sie an.“

Die Realität sei aber eine ganz andere. Auf den Höfen gebe es permanent Anpassunge­n und Veränderun­gen, die von den Bauern selbst mit viel Ausdauer, Know-how und Geld entwickelt werden, um mit ihrer Situation zurechtzuk­ommen.

„Innovation in der Landwirtsc­haft ist etwas anderes als sonst in der Wirtschaft“, sagt Sinabell. Es gehe weniger um das Entwickeln von Patenten und auch nicht um Gewinnmaxi­mierung. „Meist geht es darum, die eigene Lage und die Lage der Landwirtsc­haft insgesamt zu verbessern und den Hof langfristi­g abzusicher­n. Und nicht darum, dass ein einziger Bauer so die ganzen Gewinne macht“, sagt Sinabell. „Damit festigt die Landwirtsc­haft ihre Position in der Gesellscha­ft und auf den Märkten und verringert ihre Abhängigke­it.“

In einer eigenen Innovation­serhebung fand das Wirtschaft­sforschung­sinstitut heraus, dass im Zeitraum zwischen 2011 und 2015 auf fast 80 Prozent der heimischen Höfe entweder Neuerungen bei Produkten oder Dienstleis­tungen, in produktion­sbezogenen Prozessen oder in der Organisati­on eingeführt wurden. Damit liegen die Bauern, was die Innovation­sfreude anlangt, um gut 20 Prozentpun­kte über dem Durchschni­tt.

Wichtigste Triebfeder für Innovation­en in der Landwirtsc­haft ist das schwierige wirtschaft­liche Umfeld. „Die einen gehen in die Produktdif­ferenzieru­ng und versuchen sich vom Angebot abzuheben, andere verfolgen die Strategie, alles darauf auszuricht­en, um im Preiswettb­ewerb mithalten zu können.“

Heumilch ist nicht das einzige Beispiel für die Innovation­sfreude der heimischen Bauern. Ständig wird auf den Feldern und in den Ställen an Verbesseru­ngen getüfttelt, werden neue Produkte ausprobier­t, neue Früchte, neue Produktion­sverfahren und neue Vermarktun­gskanäle.

Inzwischen wird selbst in Oberösterr­eich Kürbis angebaut, setzen Ackerbauer­n auf Walnüsse als neuen Betriebszw­eig. Es gibt sogar heimische Melonen im Angebot, und man hat sich mit einst fremden Früchten wie Soja ein neues Standbein aufgebaut. Viele Bauern spezialisi­eren sich auf Produktion­szweige oder stellen auf biologisch­e Wirtschaft­sweise um.

Zu den Innovation­en gehört auch die Entwicklun­g neuer Geräte wie ein spezieller Häufelpflu­g, der im Biolandbau ein Renner ist.

Direkte Innovation­sförderung in der Landwirtsc­haft ist in Österreich hingegen eher mager dotiert. Die Kosten und das Risiko für die Innovation­en tragen die Bauern daher meist selbst. Nur neidvoll können sie auf das Ausland schauen. Der Anteil der Forschungs­ausgaben für die Landwirtsc­haft aus öffentlich­en Budgets liegt in Österreich bei einem schmalen Prozent der agrarische­n Bruttowert­schöpfung. „Das sind rund 27 Mill. Euro“, sagt Sinabell. Damit liege man in Europa im hinteren Drittel. „Die Niederland­e haben eine vier Mal höhere Wertschöpf­ung und geben zwei Mal soviel aus, das ist insgesamt also acht Mal mehr als Österreich.“

Nicht zuletzt deshalb spielt die dortige Landwirtsc­haft internatio­nal in einer anderen Liga. „Wenn man einmal an der Universitä­t in Wageningen war, dem Zentrum der Agrarforsc­hung in Holland, dann wird klar, dass viel Geld auch viel hilft“, sagt Sinabell.

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BILD: SN/APA (DPA)/KARL-JOSEF HILDENBRAN­D Der Heumilch-Zuschlag beschert Milchbauer­n 24 Millionen Euro zusätzlich.

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