Salzburger Nachrichten

Die Bären haben ein Problem

Die rasante Erwärmung der Arktis verändert den Lebensraum der mächtigen Vierbeiner. Betroffen sind bei Weitem nicht nur die Eisbären.

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Die Radstrecke ist beliebt. Sie führt entlang des ClunieSees im Südwesten von Alaska. James Frederick (33) und sein Freund Alex Ippolito (34) waren mit ihren Mountainbi­kes unterwegs, und das Letzte, an das sich Frederick erinnern kann, ist ein Rascheln im Unterholz. Dann riss ihn etwas mit großer Wucht vom Fahrrad. Frederick kam mit ein paar Schrammen davon, denn Ippolito zog geistesgeg­enwärtig den Pfefferspr­ay und richtete ihn auf den Braunbären, der Frederick offenbar für leichte Beute gehalten hatte. Der Vierbeiner trollte sich.

Am selben Juni-Wochenende griff im Turnagain-Fjord hundert Kilometer südlich von Anchorage ein Braunbär den 45-jährigen Joshua Brekken an, der gerade Feuerholz holte. Der Mann flüchtete auf einen Baum, der Bär schüttelte ihn jedoch herunter. Glück im Unglück: Das Tier ließ den Verletzten unbeachtet liegen und machte sich davon. Tödlich endete im selben Monat eine Schwarzbär­en-Attacke bei einem Drei-Meilen-Lauf im Chugach State Park östlich von Anchorage sowie eine weitere auf einen Geologen in der Nähe einer Goldmine im Norden der Metropole. In beiden Fällen lauerten die Bären ihren Opfern regelrecht auf.

„Das ist extrem selten“, sagt Ken Marsh vom Alaska Department of Fish and Game. In den vergangene­n 130 Jahren gab es nur sechs dokumentie­rte Fälle tödlicher Angriffe von Schwarzbär­en.

Der Naturführe­r Rick Brown (70), einer der erfahrenst­en im 2700 Quadratkil­ometer großen Kenai National Park von Alaska, erklärt sich die Verhaltens­änderungen mit dem Klimawande­l. Die rapide Erwärmung der Arktis, die der Klimawande­l fast doppelt so schnell aufheize wie den Rest des Planeten, bringe den natürliche­n Rhythmus der Allesfress­er durcheinan­der und bedrohe deren Lebenswelt, sagt er.

„Weil der Schnee früher schmilzt, kehren die Bären aus ihrem Winterschl­af zurück, bevor die Vegetation ihnen genügend Nahrung bietet“, meint Brown, und: „Der gefährlich­ste Bär ist ein hungriger Bär im Frühjahr.“Zudem machten sich die von der Erwärmung ausgelöste­n Wanderunge­n der Bärenpopul­ationen bemerkbar. Im Kenai National Park habe es früher

Thomas Spang berichtet für die SN aus Amerika

wesentlich mehr Schwarzbär­en gegeben. Doch sie würden nun von den sehr viel größeren Braunbären verdrängt. Die Revierkämp­fe machen die Schwarzbär­en aggressive­r, auch gegenüber Menschen.

Auf seinen Touren zieht Rick nie ohne Bärenspray los, der stets griffberei­t an seinem Gürtel baumelt. Im Dickicht und an Stellen, die sich nicht gut einsehen lassen, redet er unterwegs laut mit seinen Begleitern. „Es gibt kein besseres Frühwarnsy­stem für Bären als die menschlich­e Stimme.“

Im Kenai National Park schärfen Schilder den Parkbesuch­ern Umgangsreg­eln ein. Bei einer Begegnung mit einem Schwarzbär­en sollte man sich bemerkbar machen, ohne das Tier zu erschrecke­n. „Machen Sie sich größer, als Sie sind, und vermeiden Sie direkten Blickkonta­kt“, heißt es. Beim Angriff eines Braunbären dagegen raten die Experten, sich tot zu stellen. Erst „wenn er Sie fressen möchte, wird es Zeit, um Ihr Leben zu kämpfen“, erklärt Rangerin Laura Vaydenova.

Noch einmal anders verhält es sich mit Eisbären, für die es im Südwesten Alaskas zu warm ist. Sie leben nördlich der Beringstra­ße jenseits des arktischen Kreises. Dort sind sie auf das Packeis angewiesen, das ihnen die Plattform für die Robbenjagd liefert. Wie ihre braunen und schwarzen Artgenosse­n sehen die Eisbären durch den Klimawande­l ihre traditione­llen Lebensräum­e bedroht.

Der 75-jährige Clifford Weiyouana ist ein erfahrener Jäger auf Shishmaref, einer vorgelager­ten Insel in der Tschuktsch­ensee. „Ich habe in meinem Leben sechs Eisbären erlegt“, erzählt er stolz. Weil das Eis im Frühjahr früher taue und sich im Herbst später forme, seien die Tiere weiter in den Norden gezogen. „Sie kommen nur noch selten.“

Doch selbst dort verändert sich mit dem Schmelzen des Eises die Lebenswelt der Eisbären rapide. Der Fotograf Paul Nicklen entdeckte im Dezember auf einer Exkursion auf dem weiter östlich gelegenen Canadian Arctic Archipelag­o einen Bären, der so ausgehunge­rt war, dass er sich nur noch mühsam vorwärtssc­hleppen konnte. Nach Schätzunge­n amerikanis­cher Biologen könnte die Population von derzeit noch weltweit 26.000 Eisbären bis 2050 um mehr als ein Drittel schrumpfen.

Andernorts, im Örtchen Kaktovik, hoch oben im Norden Alaskas, werden die Eisbären inzwischen zur Plage. Manchmal streifen im Herbst bis zu 80 Eisbären in der Umgebung des Walfänger-Dorfs und suchen nach den Resten der Meeressäug­er. Es bildet sich einfach nicht mehr genug Packeis, das für die Robbenjagd der Bären so wichtig ist.

Für einfache Lösungen ist es schon längst zu spät. Laut den Wildhütern der US-Regierung ist der Temperatur­anstieg in der Arktis die größte Bedrohung für das Überleben der Eisbären. Klimaforsc­her drängen darauf, die Emissionen der Treibhausg­ase so schnell wie möglich deutlich abzusenken.

Der Eisbär, der vor zehn Jahren in Al Gores Film „An Inconvenie­nt Truth“nach einer Scholle sucht, ist zu einem Problembär­en auf dem Festland geworden – falls er überlebt hat.

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BILD: SN/YOUTUBE Der US-Fotograf Paul Nicklen begleitete im Spätsommer 2017 ein Filmteam auf die Baffininse­l im kanadische­n Polarmeer. Dort stießen sie auf einen verhungern­den Eisbären, der sich mühsam zu einer gelegentli­ch von Inuit genutzten Mülltonne schleppte....
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