Nur das Snowboard-Training musste wegen Gold warten
Ester Ledecká lieferte mit Gold im Super G eine der größten Sensationen der Olympiageschichte.
PYEONGCHANG. Die Reaktion im Ziel war … keine. Ester Ledecká blickte nur ungläubig. Und wartete. „Ich habe wirklich geglaubt, das ist ein Fehler in der Zeitnehmung, sie haben ein paar Sekunden vergessen.“Ledecká wartete, was passieren würde, sie hörte das Publikum lauter werden. „Und dann habe ich mir gedacht: Okay, das ist jetzt wirklich verrückt!“Dann rief ihr auch der Kameramann im Ziel zu, dass es stimmte – sie war in Führung gegangen. Mit Nummer 26 im olympischen Super G. Eine Führung, nur um eine Hundertstelsekunde schneller als die Zeit von Anna Veith, die hielt. Als erste Tschechin war sie Olympiasiegerin im alpinen Skisport.
Eine Sensation, viele sprechen sogar von der größten, die es jemals bei Olympia gegeben hat. Warum? Weil die 23-Jährige „zweigleisig“unterwegs ist. Sie ist zweimalige Weltmeisterin mit dem Snowboard, auch hier in Pyeongchang die große Favoritin im Parallel-Riesentorlauf, in dem sie fünf von sechs Rennen gewann, an denen sie teilnahm. Wenn sie fehlte, dann war sie auf Ski unterwegs, denn das hat sie vor ein paar Jahren zu ihrer zweiten Passion gemacht.
Ledecká ist ein Bewegungstalent, wie Christian Höflehner, Rennchef ihres Ausrüsters Atomic, erklärt. „Ihr früherer Snowboard-Trainer Richard Pickl hat mich einmal angerufen und gefragt, ob ich nicht Ski für eine Boarderin hätte, weil sie Talent hat. Und ich habe sie mir dann einmal angeschaut und war völlig fertig.“Ledecká hat Talent und keine Angst, auch nicht in der Abfahrt. „Mit zwei Ski und zwei Stöcken kann man ja nicht fallen“, sagte sie, als sie ihre alpine Karriere begonnen hat.
Und Ledecká hat ein sonniges Gemüt und viel Humor. Das bewies sie bei der Pressekonferenz, bei der sie partout ihre Skibrille nicht abnehmen wollte – im Snowboardweltcup ihr Markenzeichen. Hier bei Olympia hatte sie auch noch einen anderen Grund parat: „Ich habe ehrlich nicht damit gerechnet, dass ich nach dem Rennen noch hier sitze und eine Pressekonferenz gebe. Ich bin nicht geschminkt, habe kein Make-up aufgetragen“, sagte sie und erntete Applaus. Kein Wunder, denn eigentlich hatte ihr kleines, aber feines Betreuerteam rund um ihre Familie und die ehemaligen tschechischen Skifahrer Ondřej und Tomáš Bank geplant, 20 Minuten nach Ende des Rennens zum Snowboard-Training zu gehen. Drei Bretter lagen schon bereit. „Das würde ich jetzt auch lieber tun, als hier zu sitzen, ohne unhöflich zu sein“, sagte sie. Ihre Trainer werden froh sein: „Denn meist bettelt sie ihre Trainer nach einem langen Trainingstag noch an, zwei, drei Fahrten machen zu dürfen“, erzählte Ex-Rennläufer und TV-Kommentator Marco Büchel.
Im Erfolg schien sie fast paralysiert. Das sah im Ziel wenig enthusiasmiert aus. „Wir begreifen das alles noch nicht“, sagte Ondřej Bank. „Ester ist unglaublich stark im Kopf. Wer weiß, vielleicht fährt sie jetzt auch noch die Abfahrt.“Doch Ledecká, deren Großvater als Eishockey-Spieler 1964 und 1968 Silber und Bronze mit der CSSR geholt hat, wird sich auf den Parallel-Riesentorlauf konzentrieren.
„Sie braucht das, zwischendurch umzusteigen“, sagt Höflehner, „und als ehemaliger Trainer muss ich sagen: Einige müssen überdenken, ob das sture Einbahnstraßensystem im Sport gut ist, oder ob man nicht was anderes dazu machen sollte.“So wie Ledecká, die auf den Unterschied zwischen Ski und Snowboard nur sagte: „Es gibt keinen. Bei beiden geht es bergab. Und ich will einfach immer schnell bergab fahren.“
Höflehner hat auch mit dem Gerücht aufgeräumt, dass sie mit den Ski von Mikaela Shiffrin gefahren sei. „Ein völliger Blödsinn, das hat Bode Miller auf NBC vermeldet.“Vielmehr hat sie einen Vertrag mit Atomic und einen Servicemann, der selbst ein Allrounder ist. Peter Kouril ist ihr Servicemann für Ski und Snowboard. Und wenn Ledecká 2022 in Peking im Skeleton antreten will? „Dann werden wir ihr das passende Gerät bauen.“