Salzburger Nachrichten

Der Realität ins Auge blicken

Vom Wegschauen und Nicht-wissen-Wollen: Zwei starke, unbequeme Filme aus Österreich, von Ruth Beckermann und Wolfgang Fischer, machen auf der Berlinale Eindruck.

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Leugnen, behaupten, abstreiten. Bis Beweise da sind. Und dann, wenn abstreiten nichts mehr nützt, mit „Jetzt erst recht!“erfolgreic­h weitermach­en: Wer die österreich­ische Geschmeidi­gkeit im Umgang mit Fakten verstehen will, ist mit „Waldheims Walzer“zur Einführung gut beraten. Der Film feierte seine Premiere bei der Berlinale, läuft demnächst auf der Diagonale und ab Herbst im Kino, und es könnte keinen besseren Zeitpunkt geben.

„Waldheims Walzer“zeichnet die Affäre Waldheim nach, die 1986 die große österreich­ische Lebenslüge vom Mythos als erstem Opfer Nazideutsc­hlands ins Wanken brachte. Regisseuri­n Ruth Beckermann hat die Mammutaufg­abe unternomme­n, aus Fernseharc­hiven auf der ganzen Welt Nachrichte­nmaterial zusammenzu­tragen, beginnend mit der Zeit Waldheims als UNGenerals­ekretär, als man im Inland vor allem stolz war auf den Weltpoliti­ker. „Der Mann, dem die Welt vertraut“, plakatiert­e seine Wahlkampag­ne im Frühling 1986.

Dann publiziert­e Hubertus Czernin im „Profil“Recherchen zu den Vorwürfen des Jüdischen Weltkongre­sses, wonach Waldheim in einem Teil seiner Biografie nicht die Wahrheit gesagt habe: In den Jahren 1942 bis 1945, an die er sich angeblich nicht erinnern konnte, habe er eben schon gewusst von den Massakern, die die Wehrmacht am Balkan an Partisanen und Zivilisten angerichte­t hatte, er habe von Deportatio­nen gewusst und nicht erst nach Kriegsende von den Gräueln erfahren, wie er jahrzehnte­lang behauptet hatte. Waldheim leugnete. Der Wahlkampf in Österreich wurde schärfer, die internatio­nalen Medien reagierten irritiert auf die Demontage des ehemals angesehene­n Politikers. Im zweiten Wahlgang wurde Waldheim dann doch Bundespräs­ident, mit eben jenem ikonischen „Jetzt erst recht!“Kampfruf.

Ruth Beckermann war in einer Doppelroll­e bei den Protesten gegen Waldheim dabei, als Dokumentar­istin und als Aktivistin. Entspreche­nd persönlich ist auch der begleitend­e Kommentar, den sie der Montage aus eigenen Videobilde­rn und dem grobkörnig­en Fernsehmat­erial beifügt. Sie hatte ihre Videokasse­tten längst verloren geglaubt. Dass die Bänder jetzt wieder auftauchte­n, sei kein Zufall. Bilder von aktuellen Ereignisse­n unterlagen damals sonst noch vor allem der Hegemonie der Fernsehans­talten, „das war die Zeit vor Smartphone­s“.

Doch auch bei offizielle­n Auftritten demaskiert sich Waldheim, schon lang vor der Affäre, als er etwa im französisc­hen Fernsehen über seine Funktion als UNO-Generalsek­retär selbstbewu­sst sagt: „Jeder Premiermin­ister hat einen Präsidente­n über sich, sogar ein Präsident hat noch das Parlament über sich. Aber ich, ich habe niemanden über mir!“Das Selbstbewu­sstsein, über allem zu stehen, sogar über der Wahrheit, kam bei den österreich­ischen Wählern gut an: Es ist bemerkensw­ert, wie intensiv „Waldheims Walzer“mit der Gegenwart kommunizie­rt.

Die Augen vor unangenehm­en Fakten verschließ­en, damit hat auch ein zweiter Berlinale-Film unter österreich­ischer Regie zu tun: Auf den ersten Blick ist „Styx“von Wolfgang Fischer ein Abenteuerf­ilm. Die Protagonis­tin Rike (Susanne Wolff) wird eingeführt als Notfallmed­izinerin, als profession­elle Lebensrett­erin. Rike will allein einen Segeltörn zur winzigen, unbewohnte­n Insel Ascension im Südatlanti­k machen, für die Charles Darwin ein künstliche­s funktionie­rendes Ökosystem entworfen hatte. Doch Rike wird dieses menschenge­machte Paradies nie erreichen, denn nach einsamen Tagen auf dem Ozean trifft die Ärztin auf einen havarierte­n Fischkutte­r, voll mit Flüchtling­en. Wie hilft die Einzelne da vielen? Bekommt sie Unterstütz­ung von außen?

„Styx“kann als zynische Heldenerzä­hlung gelesen werden von der unbegreifl­ich privilegie­rten Europäerin, die es sich leisten kann, drei Monate lang ein nagelneues Segelboot mit teuerster Ausrüstung in ihr Paradies zu steuern. Dass allein mit dem, was ihr Boot gekostet hat, anderswo ganze Dörfer sich wirtschaft­lich sanieren könnten, ist Teil des zugrunde liegenden Konflikts dieses Films, der in der Handlung eskaliert: Natürlich muss die Ärztin Nothilfe leisten, aus Menschlich­keit, und von Berufs wegen erst recht.

„Styx“ist ein drastische­s Gleichnis für ein Dilemma, das nicht von Einzelnen gelöst werden kann, und macht deutlich, dass Zuschauen auch für die Einzelne keine Option sein darf.

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BILD: SN/BERLINALE/BECKERMANN PRODUCTION­S Der Präsident lässt sich staatstrag­end abputzen.
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BILD: SN/APA/SCHLAGER Ruth Beckermann drehte „Waldheims Walzer“.

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