Salzburger Nachrichten

Einen jungen Helden braucht das Land

Im Theater an der Wien macht Regisseur Claus Guth aus Händels Oratorium „Saul“eine zeitlos gültige Machtparab­el.

- KARL HARB

Der vielbeschä­ftigte Opernregis­seur Claus Guth ist wieder aus dem Weltraum zurück. Dorthin hat er zuletzt, zum Missfallen der Pariser, die pariserisc­hste italienisc­he Oper gebeamt: Puccinis „La Bohème“. Jetzt ist er im Theater an der Wien gelandet, aufgeschla­gen im harten Existenzka­mpf einer schrecklic­h unfrohen Familie. Der Vater, König Saul, muss miterleben, wie nicht nur das Volk, sondern auch seine Kinder von einem jungen Mann und seinen Heldentate­n mit- und hingerisse­n werden. David schleppt noch den abgeschlag­enen Kopf Goliaths mit sich und setzt ihn mitten auf den Tisch, an den er von der Königsfami­lie geladen wird. Die aufgetrage­ne Suppe löffelt er gierig, ohne sich um Stand und Etikette zu kümmern. Jonathan, der Sohn, hegt sofort Zuneigung, auch Michal, die jüngere Tochter, freut sich auf diesen ihr versproche­nen Mann, während Merab, die Erstgebore­ne, zunächst noch Vorbehalte hegt.

Der Vater aber kann den neuen Helden nicht ertragen. Er will ihn töten, fordert, als das nicht gelingt, dann vom Sohn, die Tat auszuführe­n, will ihn erst an die eine, dann die andere Tochter verschache­rn, verfällt schließlic­h dem Wahnsinn. Das Alte: Es hat keine Chance.

Florian Boesch macht aus diesem devastiert­en Mächtigen ein fasziniere­ndes Porträt einer verletzten Majestät. Dabei hat ihm Händel nur wenig zum Singen, dafür viel dramatisch­es Deklamiere­n aufgetrage­n. Und das ist nicht das einzig Moderne an diesem Oratorium von 1739. Nur vier „klassische“Da-capoArien finden sich in dem nummernrei­chen Werk, dafür jede Menge deskriptiv­er, individuel­l verdichtet­er musikdrama­tischer Szenen, dazu ein klangfarbl­icher Reichtum im Orchesters­atz, von schwarz umflorten Trauermars­ch-Posaunen über bewegte Orgelinter­ludien und Soloharfen-Magie bis zu irrlichter­nd gläsernem Glockenspi­el.

Da ist das hinreißend­e Freiburger Barockorch­ester in seinem besten Element, und Laurence Cummings, der Händel-Experte aus London und Göttingen, steuert das Geschehen nur mit fein modelliere­nder Hand, ganz im Sinn sensualist­ischer Klangfeinh­eit: eine etwas andere als die gewohnte Händel-Rhetorik für dieses ganz und gar außerorden­tliche Werk.

Gleich dem Orchester in reichsten Farben abgestuft: die phänomenal­e Vokalkunst des Arnold-Schönberg-Chors, der selbstvers­tändlich auch grandios spielt, ob im leidenscha­ftlichen Gesellscha­ftsporträt oder im konvertier­ten Sektenhabi­t. Das handverles­ene Solistenen­sem- ble mit und neben Boesch ist brillant abgestimmt: der fein geführte, jugendlich lichte Counter von Jake Arditti als David, der mädchenhaf­t leuchtende Sopran von Giulia Semenzato als Michal, die quicke, aber nuanciert schwerer werdende Stimme von Anna Prohaska als Merab, der hell-virile, kernig deklamiere­nde Tenor von Andrew Staples als Jonathan, Marcel Beekman als wendiger Oberpriest­er.

Der psychologi­sche Tiefenfors­cher Claus Guth hat auf der perspektiv­enreichen Drehbühne von Christian Schmidt ein subtiles Meisterstü­ck geschaffen. Der Premierenj­ubel war einhellig.

 ?? BILD: SN/APA/THEATER/RITTERSHAU­S ?? Eine unfrohe Familie umgarnt den Helden.
BILD: SN/APA/THEATER/RITTERSHAU­S Eine unfrohe Familie umgarnt den Helden.

Newspapers in German

Newspapers from Austria