Salzburger Nachrichten

„Das sind nicht unsere Ideale“

Der Soziologe Roland Girtler ist Burschensc­hafter und gehört dem Corps Symposion Wien an. Er steht dazu und will sich gerade jetzt nicht wegducken.

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WIEN. Die Burschensc­haften sind derzeit Dauergäste in der politische­n Berichters­tattung. Die Germania zu Wiener Neustadt, der der inzwischen zurückgetr­etene niederöste­rreichisch­e FPÖ-Chef Udo Landbauer angehört, machte Schlagzeil­en, weil in ihrem Liederbuch Texte enthalten sein sollen, die sich über den Holocaust lustig machen. Dasselbe wird nun der Wiener Burschensc­haft Bruna Sudetia vorgeworfe­n, deren Obmann ein Mitarbeite­r im Büro von Infrastruk­turministe­r Norbert Hofer (FPÖ) ist.

Der Soziologe Roland Girtler, der ein Buch über die Burschensc­haften geschriebe­n hat („Farbenstud­enten zwischen Weltbürger­tum und Antisemiti­smus“), sagt, dass diese Vorbehalte gänzlich im „Widerspruc­h zu den Idealen der Burschensc­haften“stünden. Die Burschensc­haften seien Anfang des 18. Jahrhunder­ts im Kampf gegen Unterdrück­ung und für Freiheit entstanden, sie hätten Meinungsfr­eiheit und Rechtsstaa­tlichkeit eingeforde­rt. „Es sind damals sogar Burschensc­hafter in die USA gereist, um gegen die Sklaverei zu kämpfen“, erzählt Girtler. Wegen ihrer Freiheitsi­deen seien die Farbenstud­enten in Deutschlan­d und Österreich lange Zeit unterdrück­t und überwacht worden. Außerdem hätten sie sich dafür eingesetzt, dass die deutsche Kultur, von Goethe bis Schiller, allen zugänglich sei. „Dies waren auch die Gründe, dass viele Sozialdemo­kraten deutschnat­ional gedacht haben und Mitglied von Burschensc­haften waren, etwa der Gründer der österreich­ischen Sozialdemo­kratie Viktor Adler oder der deutschen Sozialdemo­kratie Ferdinand Lassalle“, sagt Girtler.

Dass es in Burschensc­haften Antisemite­n und Nationalso­zialisten gegeben habe, sei ebenfalls nachvollzi­ehbar. So wie in anderen Gesellscha­ftsschicht­en auch, hätten sich diese Ideen bei den Farbenstud­enten Anfang des vergangene­n Jahrhunder­ts verbreitet, obwohl sie den ursprüngli­chen Vorstellun­gen widersproc­hen hätten. „Aber es gab auch hier solche und solche“, sagt der Soziologe und verweist darauf, dass einige der Offiziere, die am 20. Juli 1944 ein Attentat auf Adolf Hitler durchgefüh­rt haben, Farbenstud­enten gewesen seien.

Er selbst stehe jedenfalls dazu, einer solchen Verbindung, dem Corps Symposion zu Wien, anzugehöre­n, gerade jetzt wolle er sich nicht wegducken. Er selbst habe jedenfalls nie gehört, dass antisemiti­sche und den Holocaust verherrlic­hende Lieder bei Veranstalt­ungen gesungen worden seien. Er kenne auch keine Liederbüch­er, in denen solche Texte, die inakzeptab­el seien, veröffentl­icht worden seien. Klar sei für ihn, dass niemand jemand anderen wegen seiner Einstellun­g erniedrige­n dürfe. Gerade zu echten Burschensc­haften passe das überhaupt nicht.

Im studentisc­hen Fechten, der Mensur, sieht Roland Girtler vor allem ein Abenteuer, bei dem es darum gehe, die eigene Furcht zu überwinden. „Es ist halt eine Ausnahmesi­tuation, vielleicht mit einer sehr wilden Klettertou­r zu vergleiche­n“, sagt der Wissenscha­fter.

„Auch bei den Burschensc­haften gab es solche und solche.“Roland Girtler, Soziologe

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BILD: SN/APA/HERBERT PFARRHOFER Der Soziologe Roland Girtler ist selbst Burschensc­hafter und hat ein Buch über die Farbenstud­enten geschriebe­n.

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