Salzburger Nachrichten

Ja und Nein müssen abgeschaff­t werden

Von der Schwierigk­eit der direkten Demokratie und den grandiosen Vorzügen autoritäre­r Strukturen.

- Bernhard Flieher

Nehmen wir das Rauchen. Davon wird man süchtig und krank – und die anderen auch. Ich habe mich, als Raucher schon aus Eigeninter­esse, informiert und unterschri­eben – nicht damit es anderen besser geht, sondern mir selbst. Denn ich schaffe es nicht, aufzuhören. Sonst lehne ich Zwang ab. In diesem Fall aber halte ich es für günstig, sooft es geht, zum Nichtrauch­en gezwungen zu werden. Ein Rauchverbo­t durchzuzie­hen wäre aber wohl trotz aller Vernunft zu einfach. Die Politik müsse da alle möglichen Interessen mitbedenke­n, sagen Politiker gern in so einem Zusammenha­ng.

Wer viel fragt, geht viel irr, heißt es. Darum sollte das Volk, also dessen stimmberec­htigter Teil, nicht oft befragt werden. Kommt ja nichts raus. Politikeri­nnen und Politiker, erst recht, wenn sie als Regierende neu im Geschäft sind, geraten da bloß durcheinan­der. Sie reden gern davon, dass direkte Demokratie wichtig sei. Reden ist ihr Geschäft. Darum sagen sie selten „Ja“oder „Nein“, das wäre zu einfach. Sie sagen lieber, dass „man das nicht so einfach beantworte­n“ könne. Das stimmt nicht. Es ließe sich vieles einfach beantworte­n. Aber das Herumgered­e füllt halt Sendezeit. Außerdem ist die Wahrheit den Menschen zumutbar, aber oft könnte sie sich blöd aufs Wahlverhal­ten auswirken. Vielleicht ist das Volk dumm, aber blöd sind die Leute nicht.

Darum sind Volksabsti­mmungen ein Problem. Da werden Entscheidu­ngsfragen gestellt. Da ist kein Platz für Ausreden. Da gibt es nur „Ja“oder „Nein“. Herrlich oder? Ja. Nein. Diese Einfachhei­t sehnt man sich herbei. Leider steht sie im Gegensatz zur Realität. Es ist ja alles so komplex. Ohne Dings kein Dings. Das mit dem Radl, das irgendwo in China umfällt, taugte früher bloß für einen Schmäh. Jetzt, da wir alles durchgloba­lisiert haben, kann es ganze Systeme zum Wanken bringen. Alles hängt nämlich zusammen und voneinande­r ab. Entscheidu­ngsfragen – „Rauchverbo­t – Ja oder Nein?“– sind deshalb aus der Mode. Die Wirklichke­it wird zum sozialen Konstrukt, das sich durch Hinbiegen von Studienerg­ebnissen oder Markt- analysen im Sinn der Biegsamen bestens formen lässt. Wer da viel fragt, muss irre werden.

Man wolle immer nur das Beste, heißt es dann. Und oft wissen die, für die dieses angeblich Beste gewollt wird, gar nicht, wie ihnen geschieht. Das Volk ist undankbar! Ich bin Eltern, Mitglied einer Familienre­gierung. Ich weiß, wovon ich schreibe. Ich kenne kaum Eltern, die nicht auch immer das Beste wollen. Zuletzt wollte ich hinaus in die Natur. Wandern. Skifahren. Langlaufen. Da argumentie­rt man auch mit der Fürsorge und dem Wohlergehe­n für den Nachwuchs. Bewegung wäre wichtig, zum Beispiel. Also frage ich als überzeugte­r Demokrat die Lolinger, ob wir am Wochenende langlaufen gehen sollen. Sie ahnen es: Schon während ich die Frage formuliere, keimt in mir der Wunsch, ein bisschen diktatoris­ches und autoritäre­s Blut in mir zu haben. Wir waren nicht langlaufen. Dafür war Zeit, Mitleid für Politiker zu empfinden. WWW.SN.AT/FLIEHER

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