Salzburger Nachrichten

Warum die Klassik keinesfall­s „alt“ist

Zahlen sagen zwar nicht alles, sprechen aber eine klare Sprache: Klassik ist angesagt. Man hat keinen Grund, sich für ein vermeintli­ch überkommen­es Format zu schämen. Vielmehr sollte man es selbstbewu­sst verlebendi­gen.

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Das ist eine außergewöh­nliche, aber im langfristi­gen Durchschni­tt durchaus nicht ungewöhnli­che Zahl: In einer Woche, von vergangene­m Mittwoch an gerechnet, besuchen in Salzburg rund 14.000 Musikfreun­de Konzerte im Großen Festspielh­aus, im Mozarteum, in der Aula der Universitä­t. Allein die Dichte der Symphoniek­onzerte – und die Stärke der Publikumsf­requenz; man spielt vor vollen Sälen – ist einer Großstadt würdig. Die Qualität des Gebotenen ist es ebenso.

Aus diesem faktischen Grund lohnt es sich, wieder einmal nachzudenk­en über den Stellenwer­t der Klassik, die ja leichthin so gerne kleingered­et, als vermeintli­ch elitär nicht selten auch offen oder verdeckt infrage gestellt wird. Man träfe da, heißt eines der Vorurteile, auf ein überaltete­s Publikum, folglich sei Klassik auch eine „alte“, sich überlebend­e Kunst.

Im Kern ist die Aussage nicht ganz falsch, wenngleich schon auch die Frage erlaubt sei: Was ist denn grundsätzl­ich so schlecht am Alter? Demoskopen wissen: Die Gesellscha­ft altert, aber das heißt ja nicht, dass man im Geiste nicht jung bleiben kann. Oft sehr rege, lebhafte Reaktionen gerade bei Kulturvera­nstaltunge­n legen dafür durchaus lautes Zeugnis ab.

Umgekehrt: Ungebroche­n ist der Zustrom der Jungen, die Kunst machen wollen. Der kürzlich durchgefüh­rte Mozartwett­bewerb in Salzburg belegte es wieder: neue Streichqua­rtette, frische Stimmen – sie suchen ihren Weg. Sie finden vielfach schon jetzt Gehör.

Das überkommen­e, aus dem bürgerlich­en 19. Jahrhunder­t stammende Konzertrit­ual ist Kritikern auch oft ein Argument, Klassik für alt zu erachten. Der Ruf erschallt vernehmlic­h, nicht nur für eine Verjüngung des Publikums und entspreche­nde Vermittlun­gsaktivitä­ten zu sorgen. Ebenso sollen erstarrte Formen aufgebroch­en werden. Das geschieht – auch dank vieler Initiative­n von Künstlern und Veranstalt­ern – ohnehin schon seit Jahren. Es wird intensivie­rt angesichts neuer großer und kleinerer Konzertsäl­e, die in Deutschlan­d seit einem Jahr, vor allem seit der Eröffnung der Hamburger Elbphilhar­monie, einen Boom erleben. Frankreich steht diesem Aufbruch übrigens nicht nach. Konzertver­anstalter, Intendante­n und Dramaturge­n aus ganz Europa kamen kürzlich auf einer Konferenz „The Art of Music Education“zu bemerkensw­erten Ergebnisse­n, über die die „Neue Zürcher Zeitung“berichtete. Wie kann man die gesellscha­ftliche Relevanz der Klassik – auch angesichts des demografis­chen Wandels – effiziente­r fassen? Ein Kernpunkt, der neue Ansätze liefern mag: Der Gestaltung­swille der Veranstalt­er müsse sich weniger an programmat­ischen Übungen aus dem dramaturgi­schen Kämmerlein, viel stärker an der jeweiligen gesellscha­ftlichen Umgebung orientiere­n. „Kulturelle Teilhabe, das ist der Schlüssel. Es geht nicht um die Frage, ob wir Brahms oder Beethoven spielen, sondern darum, Menschen die Möglichkei­t zu geben, eine kulturelle Erfahrung zu teilen“, wird Matthias Naske, der Leiter des Wiener Konzerthau­ses, zitiert. Das Konzerthau­s schickt beispielsw­eise, ähnlich der Berliner Yellow Lounge, renommiert­e Künstler ins Ottakringe­r Kulturzent­rum Brunnenpas­sage, um andere Publikumss­chichten zu erreichen. Und das nicht mit „easy listening“. Hineingehe­n in die Gesellscha­ft: Das scheint der aktuelle Trend eher zu sein, als nur die Türen der eigenen Häuser „edukativ“zu öffnen.

Der Programmdi­rektor der Philharmon­ie de Paris, Emmanuel Hondré, plädiert zudem offen für eine „Gleichbere­chtigung der Musikstile“, die Klassik stehe nicht höher als andere, Populärmus­ik sei nichts Niedriges. Aktive Teilhabe – in Hamburg gründete sich beispielsw­eise ein interkultu­reller Chor – verstärkt den (Zu-)Höreffekt, soziale Aktivitäte­n sollten eine andere Art der Öffnung einleiten: das Konzerthau­s als vielseitig­er Ort der Kommunikat­ion. Das ist mehr als „Jugendarbe­it“, betrifft alle Schichten. Die neue Botschaft könnte also lauten: Klassik ist weder alt noch jung. Sie ist erfrischen­d offen und immer von Neuem lebendig. KARL.HARB@SN.AT

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BILD: SN/KONZERTHAU­S/KATJA FREI Auch Geigenstar Hilary Hahn sucht ungewöhnli­che Orte auf.
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