15 Minutes of Shame
Wie landet man einen Hit? Im Aufnahmestudio des Salzburger Produzenten Ray Watts entstehen regelmäßig Chart-Platzierungen. Zwei SN-Redakteure sind von ihrem eigenen Talent so überzeugt, dass sie selbst zur Popkarriere ansetzen.
Groß mit einem Popsong rauskommen? Das kann kein Problem sein. Zumindest nicht, wenn man die richtigen Leute kennt. So einen wie Ray Watts.
So denken wir, ich und mein ebenso ehrgeiziger Journalistenkollege, der zu seinem eigenen Schutz hier nur als R. bezeichnet werden soll.
Ray Watts, unser Mann der Stunde, schüttelt Hits quasi aus dem Ärmel. Seit 2001 gibt es fast jährlich eine Prise Ray in der europäischen Charts-Suppe. Meistens landen seine Ohrwürmer im vorderen Mittelfeld. So um die Plätze 8 bis 18. Mit komplizierten Titeln hält sich der Pop-Express von Ray nicht auf. Sein Zeug ist zum Tanzen und Wohlfühlen da. Basta. Deshalb gingen Hits wie „Strada della musica“, „Fiesta Amigos“, „Rock The Indians“oder „Murder (Boom, Boom)“auch ab wie Schmidts Katze. Noch mehr Erfolg hat Ray als Produzent.
Für Sänger ist Ray wie Persil – da weiß man, was man hat: In diesem Fall Nummer1-Hits und Schotter ohne Ende. Helene Fischer, DJ Ötzi, Nik P., Die Paldauer – denken Sie sich einen Gute-Laune-Star aus. Ray hatte sie alle. Aktuell ist er mit Carmen Geiss, Johnny Orlando und Daniele Negroni beschäftigt. Negroni war vor sechs Jahren Zweiter bei „Deutschland sucht den Superstar“– denselben Platz erreichte er im RTL„Dschungelcamp“. Negroni mag Ray. Weil man mit Ray Pferde stehlen – äh – Pferde kaufen kann. Sehr viele sogar. Vor Rays Villa in Salzburg-Aigen stehen sogar mehr als tausend Pferdestärken herum. Der Trend in der Welt geschmeidiger Popsongs dürfte zum Dritt-Porsche gehen. Als Rays Mitarbeiterin Astrid unsere großen Augen sieht, merkt sie relativierend an: „Er fährt aber fast nur Elektro-Scooter.“R. raunt, dass man es wohl erst dann geschafft habe, wenn man es sich leisten könne, mit seinen drei Porsches nicht zu fahren. Wir sind beeindruckt.
Ray empfängt uns endlich in einem gediegenen Besprechungsraum. Ich flüstere R. ins Ohr: „So müssen sich Pink und Floyd gefühlt haben, als sie erstmals vor ihrem Producer saßen. R. versteht den Scherz leider nicht und prescht mutig vor. „Wir würden bitte gern Superstars werden.“Wir hätten zu diesem Behufe bereits einen Bandnamen ersonnen, welcher „Spallerhof Cowboy featuring Innviertler Herzbub“laute. Ray sagt dazu – erst einmal gar nichts.
Zunächst geht es nämlich an die Theorie: Drei Dinge seien notwendig, die einen Schlager- oder Popstar ausmachen – jedoch seien diese Faktoren ungleich stark gewichtet. Da ist zunächst einmal das Aussehen. Eine kurze Reflexion der musiksoziologischen Wirklichkeit ergibt, dass keineswegs alle Hitparadenstürmer gut aussehen müssen. Zumindest Männer nicht. Bei Frauen scheint Hübschheit schon wichtig zu sein. Alle sind sich einig, dass es von Vorteil ist, dass R. und ich keine Frauen sind.
Der zweite Aspekt betrifft das Singen. Dieses sollte man zwar in gewissem Maß beherrschen, gibt Ray zu bedenken. Wobei: „Man kann fast jeden Mensch so trainieren, dass er passabel singt. Und ein großer Teil – das ist die technische Nachbearbeitung.“Uns dräut in diesem Moment, dass Ray in unserem Fall sehr viel technisch wird nachbearbeiten müssen.
Das Allerwichtigste aber, erklärt der Fachmann, sei „das gewisse Etwas, das Charisma, eine Anziehungskraft, die wirkliche Stars entwickeln müssen.“Und diese Qualität sei am schwersten künstlich herzustellen – wenngleich Ray versichert, dass er diesbezüglich im Hinblick auf uns beide absolut keine Bedenken habe.
Ob das ernst gemeint ist?
Uns fällt nämlich auf, dass Ray bei seinen Antworten sehr oft lachen muss. Das irritiert uns aber nicht. Stolz legen wir ihm Texte vor, die wir akribisch vorbereitet haben. Ray überfliegt die gedruckten Wörter, dann lobt er ausdrücklich unser Engagement. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, rückt er uns thematisch in die Nähe von Tom Waits, Leonard Cohen und dem frühen Peter Gabriel. Tatsächlich ist die Komplexität von R.s Liebeslied „Traumfrauerl“verblüffend. Er betont, dass er es als Kapitalismuskritik verstanden haben will und dass er sogar einen Schal besäße, den er sich beim Singen gern um den Hals binden könne. Es beginnt so: „Erst hob i di gseng beim Après-Ski. Hob ma glei docht, zu der muass i hi. Die muass i ma schnappen, die muass im ma kroin. Mit der mecht i ewig mein Bauspora zoin.“Ray nickt und lobt den lebensbejahenden Ansatz.
Ich dagegen setze auf Ehrlichkeit und steige mit folgender Strophe ein: „I mog kane Menschen, die san olle zum Trenzen. I kann sie net leiden, drum tua i sie meiden.“Ray schaut. Und fragt: „Ähm, und wie geht der Refrain?“„Des, wos i mog – des sog i nur dir: Liaba ois jeda Mensch – is mia a Tier. Denn oans, des bleibt oiwei gwiss. Du konnst di entscheiden: Stirb – oder friss.“Ray klebt wortlos kopfschüttelnd R.s Text ins Studio.
Nun wollen wir wissen, wie viele CDs wir verkaufen müssen, um rechtschaffen Millionäre zu werden. Da stellt sich heraus: Heute ist alles anders als früher. „Es ist für mich nicht mehr wirklich wichtig, wie die Verkaufszahlen sind. Die sind in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen.“Kaum jemand kaufe noch eine Single im Einzelhandel, heute werde gestreamt, downgeloadet und so weiter – und da seien die Margen gering. Rays Porsche-Trio finanziert sich anders: Er bekommt seinen Anteil für alles, wirklich alles, was ein Künstler tut. Wenn er auf der Bühne steht. Wenn er im Fernsehen singt, sich in TV-Shows blamiert und bei Werbeverträgen sowieso. „Es ist die Marke, die Prominenz eines Künstlers, die sich als Gesamtpaket monetarisieren lässt“, sagt Ray. Wir notieren: 3-M-Prinzip: Macht, Mampfen und Moneten.
Geschafft. Wir stehen im Tonstudio. Ray spielt erst mal die Begleitmusik ein. R.s Strophen passen vorzüglich auf den aktuellen Ohrwurm „Too far“von Daniel Negroni. Jedoch: Als R. zu singen versucht, sind hinter dem Mischpult sonderbare Geräusche zu vernehmen. Wir tragen Kopfhörer und sind uns daher nicht sicher, ob Ray lacht oder weint. Während ich mich für meinen künstlerischen Part fertig mache, fragt R. erhobenen Hauptes: „Wie war ich?“Es kommt keine Antwort. Dann bin ich selbst dran, und gefühlsmäßig wäre zu sagen, dass jeder Ton perfekt saß. Auch wenn Ray dies selbst auf mehrfache Nachfrage nicht explizit bestätigt.
Er verzichtet auch darauf, uns zu einem zweiten oder dritten Aufnahmeversuch zu bewegen. Offensichtlich sind wir so talentiert, dass der präsumtive Hit sofort ideal im digitalen Kasten gelandet ist. Nun wollen wir schnell hören, wie gut wir waren. Ray atmet tief ein und drückt auf „Play“.
Über die folgenden Minuten wäre zu sagen, dass der SN-Fotograf in hektischer Bewegung sämtliche sorgsam aufgestellte CDCover von einer Vitrine warf. Niemand im Raum wagte zu atmen und Ray presste sogar seine Kiefer fest, sehr fest aufeinander. Wir nötigen ihn zu einer Manöverkritik. Weise und erfahren, wie er ist, sagt Ray etwas Orakelhaftes: „So schaut’s aus, im Schneckenhaus.“Auf Nachfrage wird er konkreter: Er würde uns, bevor er uns unter Vertrag nimmt, ganz allgemein formuliert, noch etwas Perfektionierung unseres Selbst ans Herz legen. Ansonsten sei zumindest ein Auftritt in der nächsten Nervenklinik im Bereich des Möglichen.