Das glorreiche Eden
Lissabon. Schön und begehrt. Doch auch rund um die weiße Stadt am Tejo lassen sich mehr Natur und Kultur entdecken, als man glauben möchte.
Das Klima in Lissabon ist subtropisch mit maritimen und semiariden Einflüssen. Durch die Lage am Meer sind die jährlichen Temperaturschwankungen nicht sehr ausgeprägt, das heißt, die Sommer sind nicht sehr heiß und die Winter angenehm mild. Von Oktober bis März fällt der meiste Regen.
Lang ist’s her, aber Portugal war einst eine richtige Großmacht und nicht bloß Fußball-Europameister. Das Padrão dos Descobrimentos (Denkmal der Entdeckungen) in Belém, einem Stadtteil Lissabons, lässt ahnen, wohin die Reisen gingen. Wie ein gewaltiger Schiffsbug ragt das siebenstöckige Bauwerk mit seinen steingemeißelten Entdeckern in den Fluss Tejo, der hier immer breiter wird. Ab dem 15. Jahrhundert arbeiteten sich portugiesische Flottenverbände an den Küsten Afrikas vor, fanden schließlich den Seeweg nach Indien und machten das kleine Königreich zu einer globalen Handelsmacht: 240 Millionen Menschen sprechen heute noch Portugiesisch, auch wenn nur zehn davon in Portugal leben, in Lissabon selbst gerade 500.000.
Vasco da Gama, Bartolomeu Dias, Pedro Cabral und all die anderen Abenteurer legten den Grundstein für den Reichtum des Landes an der Südwestecke Europas, der Königen und Kirchenfürsten ein Leben in Saus und Braus ermöglichte. Die manuelinische Architektur der Übergangszeit zwischen Gotik und Renaissance, benannt nach der Blütezeit der Entdeckungsfahrten unter Manuel dem Glücklichen aus dem Hause Avis, brachte indische und orientalische Elemente mit stilisierten Steintauen, Korallen und tropischen Früchten. Nicht wenige davon finden sich in den Fassaden der Prunkbauten von Belém, Cascais und Sintra, wo Adelige und Exzentriker aus ganz Europa kuriose Schlösschen in die waldige Serra de Sintra stellen ließen und der britische Dichter Lord Byron „das glorreiche Eden“ortete.
Das gemeine Volk, das wie üblich wenig mit all dem Protz anfangen konnte, hat mit einigen überdimensionalen Palästen leben gelernt. Mafra etwa, eine Autostunde nördlich, ist eigentlich eine beschauliche Kleinstadt. Doch der königliche Klosterpalast (Palácio Nacional) im Zentrum ist der größte der Iberischen Halbinsel: 40.000 Quadratmeter, 250 Meter Länge, 1200 Säle mit 4500 Türen und Fenstern, teils ein wenig windschief, staubig und morbid. Errichtet von 45.000 Arbeitern für João V. und seine Gemahlin Maria Anna von Österreich, die sich dort jedoch nur ein paar Tage aufhielten, ist der weiße Klotz heute teilweise ein Riesenmuseum, wo sich die Besucher rasch aus den Augen verlieren können.
Das kann in Fátima kaum passieren: Der Pilgerort, eine Autostunde nördlich von Lissabon, wo Mitte Mai das 100-Jahr-Jubiläum der Marienerscheinung gefeiert wurde, wird heuer noch Hunderttausende anziehen und kaum mehr zur Ruhe kommen. Die findet man anderswo: Im Naturpark Cascais-Sintra, eine halbe Stunde westlich der Hauptstadt, liegt der westlichste Punkt von Festland-Europa. Am Cabo da Roca, an der Steilküste zum Atlantik, können Abenteurer gar ein Zertifikat erstehen, dass man dort war, was keines allzu großen Entdeckergeistes mehr bedarf, wie Herr Magellan bestätigen würde.
Den braucht es eher, um in die „Boca do Inferno“abzusteigen, einen schaumumtosten Klippenabbruch am Ortsrand der königlichen Sommerresidenz Cascais, das heute ein mondänes Seebad für wohlhabende Lissabonner geworden ist. Oder man streift doch lieber über Küstenwanderwege rundum, in duftenden Blumenmeeren, und staunt über die chromblitzenden PorscheCabrios und Range Rover auf Überlandpartie, deren Fahrer Staubbrille und Lederhandschuhe bisweilen ablegen müssen, um die Kostümchen der adretten Beifahrerinnen zurechtzuzupfen.
Azenhas do Mar und andere Fischerdörfer rund um Lissabon sind längst zu edlen Künstlerdomizilen geworden, wo Bacalhau à Brás (Stockfisch) und Ginjinha (Kirschlikör) gereicht werden. Fish & Chips interessieren hier niemanden, die finden sich eher an den Surf-Hotspots bei Nazaré, die mittlerweile Eingang in das Guinnessbuch der Rekorde gefunden haben: 2011 gelang es dem Amerikaner Garrett McNamara, eine über 23 Meter hohe Welle zu surfen, die höchste bis dahin. Seither locken die BigWave-Contests Tausende Schaulustige – die warten oft vergeblich, denn nicht selten ist der Atlantik dort so friedlich harmlos, wie es sich die alten Seefahrer immer gewünscht hätten, als Entdeckungsreisen noch Jahre gedauert haben und das Pökelfleisch an Bord bald ranzig war.
Ob der Fado, Portugals melancholischer Singsang um Liebe und Leid, die Crews aufgeheitert hat, ist nicht überliefert. Entdecken lässt sich immer etwas, das wusste schon Heinrich der Seefahrer, der Sponsor zahlreicher Fahrten in unbekannte Welten. Gosto disto Lisboa, schön war’s, auch rundherum.