1933 Dollfuß führt Österreich aus der Demokratie
Der Ständestaat, den der christlichsoziale Bundeskanzler ab 1933 umgesetzt hat, ist noch heute eine strittige Epoche.
War es Diktatur? War es Faschismus? Jedenfalls war der Ständestaat, für den 1933 die Fundamente gelegt wurden, keine Demokratie. Als diese in Etappen ausgeschaltet wurde, waren die Umstände bedrohlich.
Einerseits war Adolf Hitler seit 30. Jänner 1933 deutscher Reichskanzler. Am 27. Mai verhängte er die Tausend-Mark-Sperre: Jeder Deutsche musste vor jeder Reise nach Österreich 1000 Mark Gebühr entrichten. Diese wirtschaftliche Aggression wurde von Terroranschlägen in Österreich begleitet. Andererseits war in Italien Benito Mussolini als faschistischer Diktator am Zenit seiner Macht und forderte von Österreich für seinen Beistand innenpolitische Konzessionen.
In Österreich erreichte die Arbeitslosigkeit erschreckende Rekorde (siehe unten). Die Sozialdemokratische Deutsche Arbeiterpartei (SDAP) unter Otto Bauer lehnte wiederholt Koalitionsangebote der Christlichsozialen ab und blieb, wie der Historiker Ernst Hanisch schrieb, „beharrlich in Opposition“.
Im Linzer Programm von 1926 hatte sich die SDAP vorgenommen, „den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen“. Zwar war dies nur als letztes Mittel genannt, tatsächlich bekannte sich die SDAP explizit zur „demokratischen Republik“. Doch dieses durch die Möglichkeit der Diktatur verwackelte Demokratieverständnis, auch „Austro-Marxismus“bezeichnet, nährte bei allen nicht überzeugten Sozialisten die Angst vor kommunistischer Diktatur.
Was später „Austro-Faschismus“genannt werden sollte, hatte Bundeskanzler Engelbert Dollfuß im Oktober 1932 begonnen, als er wegen der CA-Krise per Notverordnung aufgrund des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von 1917 das Parlament umgangen hatte. Mit dieser provisorischen Regierungsmöglichkeit konnte er am 4. März 1933 die „Selbstausschaltung“– Rücktritte von Präsident und Vizepräsidenten – des Nationalrats hinnehmen. Der ebenfalls christlichsoziale Bundespräsident Wilhelm Miklas duldete, dass die Koalition aus Christlichsozialen und Heimatblock ab dann ohne Parlament regierte. Diese „Selbstausschaltung“bezeichnet Monika Sommer, Direktorin des Hauses der Geschichte Österreich, als „Auftakt für den schleichenden Staatsstreich“.
So ging es weiter: Um den Beschluss für Neuwahlen hintanzuhalten, die vermutlich den Nationalsozialisten (NSDAP) gefährlich hohe Gewinne beschert hätten, ließ Dollfuß am 15. März eine Parlamentssitzung mit Polizeieinsatz verhindern. Am 31. März wurde der Schutzbund aufgelöst, jene paramilitärische Flanke der Sozialdemokraten, die zehn Jahre zuvor als rotes Pendant zur Heimwehr gegründet worden war; der SDAP sollte dann nach dem bewaffneten Aufstand vom Februar 1934 der Garaus gemacht werden.
Am 20. Mai 1933 wird die Vaterländische Front als künftige Einheitspartei gegründet. Am 23. Mai wird der Verfassungsgerichtshof blockiert. Am 26. Mai wird die Kommunistische Partei Österreichs aufgelöst; am 19. Juni werden die Großdeutsche Volkspartei und die NSDAP verboten. Am 10. November 1933 führt die Regierung Dollfuß das standrechtliche Verfahren mit der Todesstrafe ein.
War Österreich ab 1933 eine Diktatur? „In der zeitgeschichtlichen Literatur herrscht heute Einigkeit über den autoritären, diktatorischen Charakter des Ständestaates“, erläutert Monika Sommer. Das von ihr geleitete Haus der Geschichte Österreich werde in seiner ersten Ausstellung zu „100 Jahre Republik“ab Mitte November 2018 Entwicklungen und Brüche der Demokratie aufzeigen. Darin würden „Ständestaat-Diktatur“und das „nationalsozialistische Terrorregime“jedenfalls Schwerpunktthemen, „denn gerade die Jahre ohne Demokratie führen uns die demokratischen Werte eindringlich vor Augen“.
Streng genommen erfordert eine Diktatur einen Diktator, wie es Adolf Hitler oder Benito Mussolini gewesen sind. Für den Ständestaat hat sich der Begriff der „Kanzlerdiktatur“ herausgebildet. Monika Sommer bestätigt dies und verweist auf die Historiker Oliver Rathkolb und Helmut Wohnout. Für diesen Begriff ausschlaggebend sei „die Machtfülle, die dem Bundeskanzler in der Verfassung 1934 eingeräumt wird“. Unter Kurt Schuschnigg als Dollfuß’ Nachfolger, „der die radikalfaschistischen Heimwehrgruppen marginalisiert und 1936 ausschaltet“, sollte der Ständestaat dann „zu einer bürokratischen Regierungsdiktatur“werden.
War der Ständestaat, wie manchmal behauptet, totalitär? Da sei deutlich zwischen „der Diktatur der Jahre 1933/34 bis 1938 und dem menschenverachtenden, kriegstreiberischen, totalitären Terrorregime des Nationalsozialismus 1938 bis 1945“zu unterscheiden, erwidert Monika Sommer. Erst mit dem „Anschluss“im März 1938 habe ein Terror eingesetzt, den es bis dahin nicht gegeben habe: „Die politische und rassistische Verfolgung, die Entrechtung, Beraubung, Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung.“
Inwiefern war der Ständestaat faschistisch? Da werde in der Wissenschaft noch diskutiert, was für und was gegen eine solche Zuschreibung spreche, stellt Monika Sommer fest. „Insbesondere die Heimwehr hat versucht, eine schlagkräftige faschistische Organisation nach italienischem Vorbild aufzubauen.“Allerdings: Beim Versuch, eine berufsständische Gesellschaftsordnung ideologisch und organisatorisch effizient über die Einheitspartei der Vaterländischen Front aufzubauen, „ist der Ständestaat jedenfalls gescheitert“. Und: „Ein weiterer wesentlicher Unterschied zum italienischen und zum deutschen Faschismus liegt darin, dass es dem Ständestaat nie gelang, eine Massenbasis aufzubauen, die am Beginn des Aufstiegs Mussolinis und Hitlers standen.“
„Es war ein schleichender Staatsstreich.“Monika Sommer, Direktorin Haus der Geschichte Österreich