Wer haftet in einer Gruppe von Tourengehern im Unglücksfall?
Die Rechtsprechung kennt den „Führer aus Gefälligkeit“, der im schlimmsten Fall schadenersatzpflichtig wird. Viel schärfer sind die Gesetze jedoch für ausgebildete Bergführer.
ALEXANDER BOSIO Gemeinsames Skitourengehen unter Freunden erfreut sich immer größerer Beliebtheit, vor allem auch im alpinen Gelände, abseits jeder durch Bergbahnen zur Verfügung gestellten Infrastruktur. Besonders im heurigen Winter ist dies aufgrund der ausreichenden Schneemenge ein verlockendes Freizeitvergnügen.
Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass die Mitglieder einer Gruppe von Tourengehern unterschiedliche alpine Kenntnisse, Erfahrung, Ausbildung und technische Fertigkeiten haben. Doch wer haftet im Fall des Falles, wenn beispielsweise die falsche Einschätzung der Lawinengefahr zu einem dramatischen Unfall führt? Wenn zum Beispiel ein besser ausgebildetes Gruppenmitglied allenfalls die Tour geplant und die faktische Führung übernommen hat?
Der Oberste Gerichtshof ist der Ansicht: Bei Bedachtnahme auf die beim Bergsteigen notwendige Eigenverantwortlichkeit ist nie der Geübtere oder Erfahrenere allein deshalb verantwortlich zu machen, weil er die Führung übernommen, das Unternehmen geplant oder die Route ausfindig gemacht hat. Gleiches gilt auch für jene Person, die in einer Gruppe eine deutlich erkennbare Initiative setzt, um ein gefährliches alpines Gelände zu betreten.
In der österreichischen Rechtsprechung wurde allerdings auch die Rechtsfigur des „Führers aus Gefälligkeit“entwickelt. So ist nicht ausgeschlossen, dass ein Bergsteiger, ohne dazu beruflich befähigt zu sein, haften kann, wenn er einen weniger geübten Bergsteiger mitnimmt und die notwendige Aufklärung unterlässt, Gefahren verschweigt, verheimlicht bzw. einen anderen zu einer Tour überredet.
Der Ausbildungsstand und die Erfahrung dürfen aber nur ein Indiz dafür sein, dass jemand als „Tourenführer aus Gefälligkeit“haftet. WAS SIE WISSEN SOLLTEN Das heißt: Ein erfahrenerer Alpinist kann nur dann haften, wenn er nicht die gleiche Sorgfalt walten lässt, die einem vergleichbaren Alpinisten möglich bzw. zumutbar ist. Und wenn jemand zum einen über den Routenverlauf, die verwendeten Materialien und Sicherungstechniken ebenso zu entscheiden hatte wie über das Fortführen und den Abbruch der Tour. Zum anderen muss der „Führer aus Gefälligkeit“das Vertrauen erweckt haben, Führer zu sein, ohne etwa seinen Aufklärungspflichten nachzukommen. Zur unterlassenen Aufklärung gehört auch, dass allenfalls Gefahren bzw. Schwierigkeiten verheimlicht oder verharmlost werden.
Speziell für den Bereich des Skitourengehens würde aus meiner Sicht nur dann eine Haftung eines besser ausgebildeten Skitourenpartners eintreten können, wenn er einen anderen zu einer Tour überredet hat, selbst die Routenplanung wählte und die Lawinenwarnstufe in Relation zur gewählten Tour und dem gewählten Gelände verharmloste. Dazu muss er im Vergleich zu einem durchschnittlichen, vergleichbar ausgebildeten Alpinisten sorgfaltswidrig handeln. Dass er zum Beispiel die Tour fortführt, anstatt sie aufgrund der Lawinengefahr abzubrechen.
Dem „Führer aus Gefälligkeit“muss auch objektiv und subjektiv bekannt sein, dass Tourenpartner nicht über die notwendigen Kenntnisse verfügen, um selbst entscheiden zu können.
Ganz anders schaut die Rechtslage aus, wenn es sich um einen staatlich ausgebildeten Bergführer handelt. Im Gegensatz zu einem „Führer aus Gefälligkeit“kann dieser auch dann haften, wenn ihn ein Gast ausdrücklich von seiner Führerpflicht mit den Worten „Ich entbinde dich von deiner Führerpflicht“entlässt. Dies ist beispielsweise einem Urteil des Landesgerichts Innsbruck zu entnehmen, das einen Bergführer wegen fahrlässiger Tötung verurteilte, der einen Gast allein auf halber Strecke von einem Berg hat absteigen lassen und mit dem zweiten Gast weitergegangen ist.
Der Bergführer haftete, obwohl er dem Kunden zuvor mitgeteilt hat, er dürfe nicht allein absteigen.
Der ließ sich jedoch nicht umstimmen. Er sagte wortstark und vehement dem Bergführer, nachdem er selbst den Karabiner aufgeschraubt und sich von der Seilschaft losgelöst hatte, dass er trotzdem allein absteigen werde. Dabei stürzte er ab und verletzte sich tödlich. Ein umsichtiger Bergführer hätte mit beiden Gästen absteigen müssen.
Zusammengefasst: Eine Tourengemeinschaft soll grundsätzlich nicht darin münden, sich entsprechend Gedanken machen zu müssen, wer aufgrund welcher Entscheidungen und welcher Ausbildung haftet.
Die Rechtsprechung ist so ausgestaltet, dass eine Haftung aus Gefälligkeit nur dann gegeben ist, wenn ein deutliches Überund Unterordnungsverhältnis erkennbar ist und der „Führer aus Gefälligkeit“erkennbar sorgfaltswidriger handelt als ein vergleichbar ausgebildeter Alpinist. Alexander Bosio ist Rechtsanwalt in Zell am See.