Täglich fünf Stunden Ruhe
Kreml-Chef Wladimir Putin ordnete eine Feuerpause in Ost-Ghouta an. Wie schon in Aleppo soll die Zivilbevölkerung zum Abzug bewegt werden.
DAMASKUS, MOSKAU. Es dauerte Tage, bis der UNO-Sicherheitsrat den russischen Widerstand überwinden konnte und sich auf die Forderung nach einer Feuerpause für ganz Syrien einigte. „Ohne Verzögerung“sollten die Kriegsparteien alle Aktionen beenden, hieß es am Samstag – was vom Assad-Regime und dem Kreml ignoriert wurde.
Denn schon vor der Abstimmung war klar, dass dschihadistische Gruppen wie Al Kaida und „Islamischer Staat“von der Feuerpause ausgenommen waren. Auf Drängen Moskaus dürfen zudem auch „andere Individuen, Gruppen sowie Einheiten mit Verbindungen zu Al Kaida und dem IS“bekämpft werden. So gingen die syrischen und russischen Luftangriffe in OstGhouta weiter.
Doch als am Montag Meldungen über einen Chlorgaseinsatz mit 18 Verletzten und einem getöteten Kind die Runde machten und die internationale Politik immer drängender und mit immer schärferen Worten die sofortige Umsetzung der 30-tägigen Waffenruhe forderte, reagierte Russlands Präsident Wladimir Putin. Er ließ seinen Verteidigungsminister Sergej Schoigu eine tägliche Waffenruhe von 9 bis 14 Uhr ankündigen. In der genannten Zeit solle ein Korridor geöffnet werden, damit eingeschlossene Zivilisten die Stadt verlassen können. Ähnliche Feuerpausen hatte es 2016 auch in Aleppo gegeben.
Bleibt die Frage, ob tatsächlich alle Aufständischen in Ost-Ghouta als Terroristen oder Dschihadisten bezeichnet werden können.
Rebellen, auf die das Prädikat „gemäßigt“zutrifft, gibt es in Syrien fast nicht mehr. Durch die kaum fassbare Brutalität des Assad-Regimes wurden fast alle Aufständischen radikalisiert und in die Arme von dschihadistischen Gruppen getrieben, deren Ruchlosigkeit ebenfalls kaum Grenzen kennt. Ihre Verbände sind mittlerweile die kampfkräftigsten in Syrien.
Ziel der Dschihadisten, die militärisch offenbar weiterhin aus dem Vollen schöpfen können, bleibt der Sturz von Machthaber Baschar alAssad. Die „vorgeschobene Position“in Ost-Ghouta, nur elf Kilometer vom syrischen Präsidentenpalast entfernt, soll daher unbedingt gehalten werden, weil nach einer vom Regime erzwungenen Kapitulation und Evakuierung der Kämpfer die verlorenen Positionen wahrscheinlich nie wieder zurückerobert werden könnten. Nach dem Verlust von Aleppo hätte der bewaffnete Widerstand dann auch seine letzte strategische Position in Syrien verloren.
So wie das Assad-Regime und seine russischen und iranischen Verbündeten nimmt auch der dschihadistische Widerstand auf die Zivilbevölkerung keine Rücksicht. In Aleppo hatte die Nusra-Front Zivilisten an der Flucht gehindert, um später mit ihren Leiden internationale Sympathien zu gewinnen. In Ost-Ghouta kontrollieren Islamisten die Schmugglertunnel, durch die Lebensmittel in die Vorstädte gebracht und dann zu horrenden Preisen verkauft werden. Bei den Kämpfen um diese lukrativen Nachschubwege kamen zahlreiche rivalisierende Kämpfer ums Leben.
Das syrische Regime bezeichnet die Lage als „unhaltbar“. Jede Regierung der Welt, argumentiert der Damaszener UNO-Botschafter, würde gegen Terrorbanden vorgehen, die regelmäßig das Zentrum ihrer Hauptstadt beschießen. Mehr als 30 Menschen kamen dort vergangene Woche ums Leben. Der von Aktivisten gemeldete Tod von bis zu 500 toten Zivilisten in OstGhouta wird dagegen einfach bestritten. Die Gegenseite, so der Moskauer UNO-Botschafter Wassili Nebensja voller Zynismus, versuche den Eindruck zu erwecken, als bestünde OstGhouta nur aus Hospitälern, welche gezielt beschossen würden. Dabei würden sich „die Terroristen“hinter Zivilisten verschanzen. Das mag durchaus stimmen, andererseits nehmen das Regime und seine Verbündeten in Moskau und Teheran seit Jahren ganze Städte in Geiselhaft, um den bewaffneten Widerstand gegen die Herrschaft Assads auszuschalten – selbst wenn es Monate oder gar, wie in Ost-Ghouta, Jahre dauern sollte.
Derzeit erlebt das Gebiet eine der schlimmsten Angriffswellen seit Ausbruch des Bürgerkriegs vor fast sieben Jahren. Rund 400.000 Menschen sind fast vollständig eingekesselt. Das russische Präsidialamt nannte die Lage höchst alarmierend, machte dafür aber die Aufständischen verantwortlich.
Es sei eine Schande, wie mit den Menschen umgegangen werde, klagte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn am Montag bei einem Treffen mit seinen europäischen Amtskollegen in Brüssel: „Wir sind wieder im Mittelalter, im tiefen Mittelalter.“
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