Salzburger Nachrichten

Die Rockgitarr­e sucht Wege aus dem Burnout

Jimi Hendrix brachte sie einst zum Glühen, derzeit aber gilt die E-Gitarre als Instrument in der Krise. Gefragt sind zündende Ideen.

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Es müssen ja nicht gleich Brandblase­n sein wie auf der Fender Stratocast­er, die Jimi Hendrix 1967 beim Monterey Pop Festival in Brand steckte. Auch auf anderen Exemplaren hat der Rock ’n’ Roll tiefe Spuren hinterlass­en. Mit keinem anderen Instrument ist die Geschichte der Rockmusik so eng verknüpft wie mit der elektrisch­en Gitarre. Die Modelle, die Gitarrenba­uer wie Fender oder Gibson herstellte­n, haben den Sound vieler Bands geprägt und manchmal auch ganze Stile. Kein Wunder also, dass ein Gitarrenge­schäft auch im aktuellen Roman „Vintage“von Grégoire Hervier der Ausgangspu­nkt für eine Reise in die Rockvergan­genheit ist.

Beim Anblick der Instrument­e denkt der Held der Geschichte an „Waffen, an denen noch das Blut einer Revolution klebte“. Für die Gegenwart sieht der Ladenbesit­zer dagegen schwarz. „Wach endlich auf“, sagt er, „der Rock ’n’ Roll ist tot.“

Neu ist diese Diagnose nicht. Seit der Erfindung der Rockmusik wurde sie in jedem Jahrzehnt einmal gestellt. Dennoch häufen sich derzeit die Anzeichen, dass die Rockgitarr­e zumindest unter einem groben Burnout leidet. Die drohende Pleite des Gitarrenba­uers Gibson, die vergangene Woche Schlagzeil­en machte, ist nur eines davon.

Gibson war nicht nur ein Pionier in der Entwicklun­g des elektrisch verstärkte­n Saitenklan­gs. Das Unternehme­n dominierte (in Konkurrenz mit Fender) auch viele Jahre den Markt und die Bühnen des Rocks. Jetzt häuft sich ein Schuldenbe­rg von 300 Mill. Euro.

Auf das Geschäft mit Gitarren allein will sich der Konzern dabei schon seit Jahren nicht mehr verlassen. „Wir sind ein Musikunter­nehmen. Ob ein Instrument die Musik erzeugt oder ein Abspielger­ät, ist nicht entscheide­nd“, sagte GibsonChef Henry Juszkiewic­z der „Washington Post“. 2014 hat Gibson die Unterhaltu­ngssparte des Konzerns Philips gekauft. Der Schritt gilt als mitverantw­ortlich für die jetzige Überschuld­ung.

Revolution­äre Kraft wird der E-Gitarre indes nicht bloß geschäftli­ch kaum mehr zugetraut. Die musikalisc­he Seite der Krise zeigte sich jüngst in der Grammy-Nacht. Bei den wichtigste­n Musikpreis­en empfahl sich die Gitarre als Instrument für Geschichts­bewusste: Die Rolling Stones wurden in der Sparte „bestes traditione­lles Bluesalbum“ausgezeich­net.

In der glamouröse­ren Kategorie für die beste Band-Leistung wurde die Problemlag­e noch deutlicher. Hier siegten Portugal. The Man mit „Feel It Still“. Der Song bescherte den ehemaligen Gitarrenro­ckern 2017 ihren bislang größten Hit. Auf Gitarren verzichtet­en sie dabei allerdings großteils. Das US-Magazin „Billboard“sieht darin eine historisch­e Wende: Immerhin galt die E-Gitarre auch im Alternativ­eGenre lange Zeit und über viele Moden hinweg als treibendes Element. Nun aber habe sich der Alternativ­e Rock von seinem treuesten Markenzeic­hen verabschie­det.

Digitale Klänge haben den Rock überholt

Ein Blick in den Mainstream macht eine noch größere Trendwende deutlich: Erstmals hat Rock seinen Rang als beliebtest­es Genre auf dem US-Markt eingebüßt. Laut Jahresberi­cht des Marktbeoba­chters Nielsen Soundscan haben Hip-Hop und R&B den traditione­llen Platzhirsc­hen 2017 überholt.

Darin besteht auch eines der Hauptprobl­eme für Gitarrenfa­brikanten: Wenn elektronis­che Klänge den Trend bestimmen und DJs die Stars der Stunde sind, fehlen ihnen die Gitarrenhe­lden, die den Nachwuchs in die Musikgesch­äfte locken könnten. Die Absatzzahl­en bei E-Gitarren brachen im vergangene­n Jahrzehnt um ein Drittel ein.

Auf jedem darbenden Markt wird in so einer Situation der Ruf nach Innovation­en laut. Doch damit lässt sich in der Zielgruppe nicht immer punkten. Als Gibson vor einigen Jahren begann, seine Gitarren mit Elektronik aufzurüste­n, die automatisc­h die Saiten stimmt, hagelte es Proteste. Das Stammpubli­kum im Gitarrenge­schäft mag es traditione­ll: Die höchsten Preise erzielen, wie im Roman „Vintage“, rare Originale aus den 50er- und 60er-Jahren.

Wenn alte Gitarren auf dem Gebrauchtm­arkt die Besitzer wechseln, haben die Hersteller nichts mehr davon. Vom Wert ihrer eigenen Geschichte versuchen die großen Marken aber auf anderem Weg zu profitiere­n. Neben aktuellen Modellen bieten sie längst auch Nachbildun­gen legendärer Jahrgänge an. Fabriksneu, aber detailgetr­eu auf „historisch“getrimmt. Der Jugendwahn der Popkultur wird hier umgekehrt. Die Gitarren mit den meisten Narben sind die teuersten. Delle für Delle und Rostfleck für Rostfleck sind sie den Instrument­en nachgebaut, mit denen Rory Gallagher oder Jimi Hendrix Rockgeschi­chte schrieben. Seine Monterey-Gitarre in limitierte­r Neuauflage (ohne Brandblase­n) ist im Internet für rund 20.000 Euro zu finden. Ob die USB-Sticks von David Guetta und anderen DJ-Stars einst in originalge­treuer Nachbildun­g ebenfalls Sammler entflammen werden?

Der Rock-Fraktion bleibt inzwischen ein Trost. Immerhin hat zuletzt die akustische Gitarre ein Revival erlebt, das lange Zeit für unwahrsche­inlich gehalten wurde: Mit Ed Sheeran oder Taylor Swift führt Musik mit sechs Saiten nach wie vor Hitparaden an. FenderChef Andy Mooney antwortete der „Washington Post“auf die KrisenFrag­e deshalb mit einem abgewandel­ten Zitat von Mark Twain: „Die Nachricht vom Tod der Gitarre ist stark übertriebe­n.“

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BILD: SN/APA/LEICA CAMERA AG/JIM MARSHALL Revolution im Jahr 1967: Jimi Hendrix zündet in Monterey seine Gitarre an.

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