Salzburger Nachrichten

Nach Olympia versucht Sotschi musikalisc­h zu punkten

Der Bratschist und Dirigent Yuri Bashmet leitet das „Winter Internatio­nal Arts Festival“am Schwarzen Meer.

- Yuri Bashmet, Festival-Leiter

SOTSCHI. Die Badestadt Sotschi am Schwarzen Meer erinnert entfernt an das kroatische Opatija (einst Abbazia) – mit dem Kern eines Kurorts vor 1914. Nach der Revolution von 1917 wurden – wie in Jugoslawie­n nach 1945 – Sanatorien für die werktätige Bevölkerun­g errichtet, die zu den klassizist­ischen Villen des späten 19. Jahrhunder­ts traten. Auch Josef Stalin hat hier in den 1930er-Jahren seine in dunklem Grün gehaltene Datscha errichtet, die heute als Museum erhalten ist.

Überhaupt dominiert städtebaul­ich die Zwischenkr­iegszeit. Doch die Olympische­n Winterspie­le 2014 haben mit ihren Folgewirku­ngen eine von schwindele­rregenden Hochbauten dominierte Schneise in das historisch­e Sotschi geschlagen, wovon sich das kompakte Stadtbild wohl nie mehr erholen wird.

Ein Gebäude aus der Stalin-Zeit, das Ende der 30er-Jahre im stalinisti­sch-klassizist­ischen Stil errichtete Winterthea­ter, steht trotzig im Stadtzentr­um. Hinter seinen riesigen Säulen gehen die zentralen Veranstalt­ungen des „Winter Internatio­nal Arts Festival“über die Bühne, das heuer zum elften Mal stattfinde­t. Sein künstleris­cher Direktor ist auch im Westen bekannt: der Bratschist und Dirigent Yuri Bashmet.

Der Schwerpunk­t des Festivals in der zweiten Februarhäl­fte liegt in der Musik. Schon zur Eröffnung trat mit Valeria Abramova eine kaum 15-jährige Geigerin mit einer fulminante­n Interpreta­tion von Ravels „Tzigane“-Fantasie in Erscheinun­g – begleitet von den Moskauer Solisten unter Yuri Bashmet. „Wenn man mit einem bestimmten Betrag fünfzehn junge Künstler engagieren kann, ist das Geld besser investiert als mit einem Star“, definiert Yuri Bashmet seine Philosophi­e.

Daneben gibt es von der Volksmusik her kommende Konzerte, einen Jazzabend mit der amerikanis­chen Sängerin Jane Monheit, Ausstellun­gen und Theater – etwa das Tbilisi-Puppenthea­ter mit einem „Requiem“für die Opfer der Schlacht um Stalingrad, zu denen in dieser Sicht auch Pferde und Ameisen zählten. Das Sprechthea­ter bot eine fantastisc­he, tempo- und fantasiere­iche und moderne Aufführung von Nikolai Gogols „Heirat“, ergänzt um andere Texte des Dichters. Selbst wenn man kaum Russisch versteht, ist das ein Schauund Hör-Vergnügen in der großen russischen Theatertra­dition, dargeboten vom Sankt Petersburg­er Lensovet Akademisch­en Theater, in der Regie seines Leiters Yuriy Butusov.

Übertitel fehlen an allen Ecken und Enden, nur nicht beim beeindruck­enden Auftritt der italienisc­hen Daniele-Cipriani-Tanzkompan­ie unter dem Titel „Mediterran­ea“: körperbeto­ntes Ballett, dessen musikalisc­hes Fundament von Palestrina-Messen und Mozarts „Türkischem Marsch“bis zu Flamencoun­d kurdischer Musik reicht.

Beim „Mowgli Cinema Concert“spielte das Novaya Rossiya StaatsSymp­honieorche­ster zu sowjetisch­en Animations­filmen aus 60erund 70er-Jahren. Die Musik für dieses alternativ­e „Dschungelb­uch“stammte von der russischen Komponisti­n Sofia Gubaidulin­a.

Sotschi bleibt auf Gastspiele und Festivals angewiesen. Die Stadt verfügt weder über eine Operntrupp­e noch gibt es ein großes Orchester, das ohne Hilfe von außen Konzertver­anstaltung­en, geschweige denn einen kontinuier­lichen Konzertbet­rieb, durchführe­n könnte. Neben dem Winterthea­ter existiert bloß das 1979 erbaute, mit Blickkonta­kt zum Meer gelegene Festivalny-Konzerthau­s, das aber nur für den Sommerbetr­ieb geeignet ist.

Doch Sotschi hat mehr vor: Beim zehntägige­n „Winter Arts Festival“kommt die Mehrheit der Besucher von anderswohe­r, nur vierzig Prozent stammen aus der Region. Während im Sommer die leichte Muse dominiert, sucht man für die kalte Jahreszeit Gewichtige­s, also auch Oper. Heuer erschien etwa Peter Iljitsch Tschaikows­kys „Pique Dame“in spezieller Aufbereitu­ng als Zwitter zwischen Oper und Schauspiel als „Passions for the Queen of Spades“– im Vergleich zur Oper radikal zurechtges­tutzt und mit zwei dramaturgi­sch motivierte­n Sprechroll­en versehen. Als Uraufführu­ng gab es eine von Saint-Exupérys „Kleinem Prinzen“inspiriert­e Oper.

„In junge Künstler ist Geld besser investiert als in Stars.“

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Yuri Bashmet und eine Geigerin.

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