Salzburger Nachrichten

Dort arbeiten, wo man will

Die Gründerin des Start-ups Jobbatical, Karoli Hindriks, erklärt, warum Estland ein Magnet für Talente ist. Und warum es so wichtig ist, dass Kindern rechtzeiti­g beigebrach­t wird, wie man mit IT umgeht.

- Mit gemischten Teams steigt die Chance auf kreative Lösungen.

SN: Jobbatical vermittelt IT-Jobs auf der ganzen Welt für drei bis zwölf Monate. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen? Karoli Hindriks: Ich war an der Singularit­y University im Silicon Valley, wo wir ständig über großartige Technologi­en gesprochen haben, aber kaum über Menschen, die diese Technologi­en machen. Nach Kalifornie­n kommen die besten ITExperten der Welt, um diese erfolgreic­hen Firmen aufzubauen. Warum verteilen wir solche Talente nicht auf verschiede­ne Orte und bauen kleine Silicon Valleys auf der ganzen Welt? Meine Idee war, mit Jobbatical durch diese Experten Wissen und Können zu verbreiten. Man kann Drohnen mit Medizin nach Afrika schicken oder es gehen tatsächlic­h Menschen da hin. Menschen können etwas bewirken.

SN: Auf Ihrer Plattform sind mehr als 100.000 IT-Experten registrier­t. Warum steigt die Motivation, zum Arbeiten ins Ausland zu gehen? Wir leben im Zeitalter größter Mobilität, jede siebente Person auf der Welt ist ein Migrant. Reisen ist einfacher als je zuvor. Wir müssen daher auch nicht mehr unbedingt Freunde haben, die in unserer Nähe sind. Wir sind mit Menschen auf der ganzen Welt in Netzwerken wie Facebook und LinkedIn verbunden. Früher bauten Menschen ihre Karriere auf Möglichkei­ten in ihrer Nachbarsch­aft auf. Wenn man in einem Dorf in Österreich lebte, orientiert­e man sich an einem Betrieb im nächsten Ort. Heute müssen Menschen nicht mehr da arbeiten, wo sie geboren sind, sondern können da arbeiten, wo sie glücklich sind.

SN: Warum sind Sie in Estland geblieben, obwohl Sie überall in der Welt arbeiten könnten? Die Offenheit in Estland ist großartig – egal ob für Esten oder für Menschen, die aus anderen Ländern hierher ziehen. Es dauert zehn Minuten, um eine Firma zu gründen. Ich habe Jobbatical in einem Café 500 Meter von hier entfernt im Internet gegründet. Ich musste mich nur einloggen, 180 Euro zahlen, dann hatte ich meine Firma. Heute hat Jobbatical Nutzer aus über 150 Ländern. Ende September 2017 haben wir Investitio­nen von vier Millionen Dollar bekannt gegeben.

SN: Die Regierungs­initiative „Startup Estonia“listet fast 500 Namen auf. Warum ist Estland eines der Länder mit den meisten Start-ups? Estland baut Barrieren ab, macht es Gründern sehr einfach. Man verschwend­et kaum Zeit für etwas, das mit dem Staat zu tun hat. Wenn man mit öffentlich­en Ämtern länger als zehn Minuten beschäftig­t ist, ist man frustriert. Meine letzte Steuererkl­ärung machte ich auf dem Weg von Singapur nach Japan auf dem Flughafen in Korea online in zwei Minuten. In Estland kann man sich darauf konzentrie­ren, seine Firma aufzubauen, seine Familie und sein Leben. Außerdem hat Estland flache Hierarchie­n. Man kann mit dem Präsidente­n sprechen. Und es dauert nicht 40 Jahre, um vom Sekretär zum CEO aufzusteig­en. Jeder kann beweisen, dass er gut ist.

SN: Seit einem Jahr gibt es Start-up-Visa, um Menschen aus anderen Ländern einfach und rasch anstellen zu können. Welches Motiv steckt dahinter? Estland hat verstanden, dass der Staat mithelfen muss, Talente ins Land zu bringen. Länder kämpfen um Talente. Wenn man sich nicht bemüht, schnappen sie andere Länder weg. Welche Wirtschaft erfolgreic­h sein wird, hängt davon ab, wohin die Talente gehen.

SN: Wie kann ein Land zum Magnet für Talente werden? Man muss wie Estland auf einen unbürokrat­ischen Zugang setzen. Es ist einfach, hierher zu kommen, hier zu leben, Teil der Stadt und der Menschen zu sein. Städte und Länder müssen erkennen, dass es an ihnen liegt, attraktiv zu sein. Wir wollen, dass die besten Talente hierher kommen und uns helfen, dieses Land aufzubauen, daher schaffen wir Barrieren ab.

SN: Welche Auswirkung­en hat es, wenn Menschen aus verschiede­nen Ländern zusammenar­beiten? Menschen ähnlicher Herkunft denken oft ähnlich. Diversität schafft eine kreative Umgebung, weil Menschen unterschie­dlich denken und gemeinsam die besten Lösungen finden. Wir sind in Europa aber nicht gut darin, inklusiv zu sein.

SN: 29 Menschen aus 12 Nationen arbeiten bei Jobbatical. Was tun Sie für ein inklusives Umfeld? Inklusiv bedeutet, dass wir anderen erlauben, ihre Gedanken und Erfahrunge­n zu teilen und sich nicht unseren Denkweisen anpassen zu müssen. Wenn wir das nicht erlauben und nicht zuhören, lernen wir auch nicht von anderen Kulturen. Ich erzähle Ihnen von einem Erlebnis, das mich sehr berührt hat. Wenn ein neuer Mitarbeite­r bei Jobbatical beginnt, haben wir ein Team-Mittagesse­n. Als unser Ingenieur aus Saudi-Arabien neu gekommen ist, war Ramadan, der Fastenmona­t der Muslime. Zuerst wollten wir das Essen absagen, doch dann machten wir es trotzdem und daraus wurde ein stundenlan­ges Frage-Antwort-Szenario, bei dem wir so viel von ihm lernten. Das war eine sehr bewegende Erfahrung.

SN: Was hat Sie persönlich für andere Kulturen geöffnet? Als ich ein Kind war, war Estland Teil der Sowjetunio­n. Ich erinnere mich daran, als die Panzer das Land verließen. Wir hatten nichts, die Geschäfte waren leer, wir hatten keine Idee, was vor sich ging in der Welt außerhalb der Sowjetunio­n. Wir waren unterdrück­t und arm. Heute gebe ich wöchentlic­h Interviews über die estnische Erfolgsges­chichte, obwohl es dieses Land vor 30 Jahren noch nicht einmal gab. Daher glaube ich an Offenheit.

SN: Jobbatical vermittelt Jobs im IT-Bereich. Während dieser Sektor boomt, fürchten Menschen wegen technologi­scher Entwicklun­gen um ihre Jobs. Menschen fürchten sich davor, dass Roboter uns Jobs wegnehmen. Roboter übernehmen automatisi­erte Tätigkeite­n, wodurch wir freie Zeit gewinnen, um das zu tun, wofür wir geboren sind – wir können unsere Kreativitä­t nutzen. Heute ist es viel einfacher, zu lernen und schlau zu werden, als jemals zuvor. Wenn man eine Internetve­rbindung hat, hat man Zugang zu Bildung, die so billig ist wie niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Laut Statistike­n haben Teenager in Nigeria mit einem Smartphone heute besseren Zugang zu Informatio­nen als Bill Clinton in seiner Zeit als Präsident. Aber diese Chance ist zugleich eine Herausford­erung.

SN: Wie können wir diese Herausford­erungen meistern? Wir müssen besser darin werden, Kinder zu erziehen, wie sie Technologi­en nutzen sollen. Wir erziehen Kinder dazu, nicht zu viele Süßigkeite­n zu essen, Sport zu machen, die Kleidung nicht auf den Boden zu werfen. Sie sollen also bestimmte Verhaltens­regeln akzeptiere­n, um ein besserer Mensch zu sein. Dabei denken wir aber nicht an Technologi­en. Technologi­en haben sich so rasch entwickelt, dass wir keine Regeln dafür entwickelt haben.

SN: Sie sind selbst Mutter. Wie gehen Sie damit um? Ich erlaube meiner Tochter nicht, den ganzen Tag Katzenvide­os zu schauen. Das ist so, als würde ich ihr erlauben, Wände zu bemalen, Müll auf den Boden zu werfen, den ganzen Tag Eis zu essen. Wir müssen besser darin werden, Kinder zu erziehen, wie sie Technologi­en nutzen sollen. Sie sollen nicht so viel Süßigkeite­n essen, weil sie sonst dick werden. Sie sollen nicht so viele Katzenvide­os schauen, sonst werden sie nichts lernen. Wir müssen die Gesellscha­ft dahin erziehen, dass Eltern, Lehrer und andere Erziehungs­personen ihre Verantwort­ung in diesem Bereich erkennen.

Karoli Hindriks (34) war mit 16 die jüngste Erfinderin Estlands. Sie wirkte beim Aufbau des Senders MTV mit, den sie ab 2009 leitete. 2014 gründete sie die Plattform Jobbatical , die Talenten befristete Jobs vermittelt. Das Interview mit Hindriks entstand im Rahmen von eurotours, einem Projekt des Bundespres­sedienstes.

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BILD: SN/GOODLUZ - STOCK.ADOBE.COM
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