„Es fehlt an Toleranz gegenüber dem Islam“
Burkaverbot, Kreuz in der Schule, staatlich bezahlter Religionsunterricht: Wie neutral ist der österreichische Staat gegenüber den Religionen?
Der Politikwissenschafter Anton Pelinka über das rechtliche und faktische Verhältnis von Staat und Religionen in Österreich.
SN: In Österreich ist das Verhältnis des Staates insbesondere zu den christlichen Kirchen eher eng. Ist es zu eng? Pelinka: Es gibt auf der einen Seite die vom Staatsgrundgesetz vorgegebene Form der Neutralität des Staates in religiösen Fragen. Diese drückt sich aus in der grundsätzlichen Gleichbehandlung staatlich anerkannter Religionsgesellschaften, von der römisch-katholischen Kirche bis zum Islam. Auf der anderen Seite haben wir eine De-factoVorrangstellung der römisch-katholischen Kirche. Das ist kein Widerspruch, aber ein Spannungsverhältnis. Es drückt sich zum Beispiel darin aus, dass niemand auf die Idee käme, den Bau von Kirchtürmen zu verbieten, aber dass viele auf die Idee kommen, den Bau von Minaretten verbieten zu wollen.
SN: Die Schweiz hat demokratisch beschlossen, es werden keine Minarette gebaut. Das wäre in Österreich vermutlich gegen das Staatsgrundgesetz und damit gegen die Verfassung. Man kann nicht eine Religionsgesellschaft herausgreifen und ihr verbieten, was anderen erlaubt ist. Das Gleiche gilt, wenn man Menschen untersagen will, sich an religiöse Kleidungsvorschriften zu halten, Stichwort Kopftuchverbot.
SN: Oder Burkaverbot. Ja, da frage ich, wie verhält man sich dann zur Kippa des orthodoxen Juden? Soll man diese auch verbieten? Oder die Insignien, die katholische Priester oder Nonnen, wenn auch abnehmend, in der Öffentlichkeit tragen. Das ist das Spannungsverhältnis, dass die römisch-katholische Kirche eine Religionsgesellschaft ist wie die anderen auch, dass es aber faktisch eine Hierarchie gibt. Diese richtet sich im Moment vor allem gegen den Islam. Sie hat sich früher auch gegen das Judentum gerichtet, was jetzt nicht der Fall zu sein scheint. Aber denken wir nur an das Verbot von Schlachtungsvorschriften, die sowohl im Judentum wie im Islam üblich sind.
Im Prinzip ist also die Struktur staatlich anerkannter Religionsgesellschaften, die die gleichen Rechte haben – etwa den staatlich finanzierten Religionsunterricht im öffentlichen Schulsystem –, eine gute. Es gibt islamische, jüdische, protestantische, katholische Religionslehrerinnen und Religionslehrer. In der Praxis müssen wir aber mit einer gewissen Ambivalenz leben.
SN: Wie wären die Erfolgschancen, wenn jemand gegen das derzeitige Burkaverbot vor Gericht ziehen würde? Wenn das Verbot begründet wird mit der Wahrnehmung des Gesichtes im öffentlichen Raum, könnte es halten. Das wäre vergleichbar mit dem Vermummungsverbot bei Demonstrationen, das keine Ungleichbehandlung darstellt. Wenn das Burkaverbot religiös begründet wird, ist es meiner Ansicht nach von der Verfassung her nicht haltbar. Ein Kopftuchverbot hielte ich für absolut unhaltbar, weil wir damit in einen heillosen Begründungsnotstand kämen, warum Nonnen ein Kopftuch tragen dürfen und muslimische Frauen nicht.
SN: Ist das Kreuz in der Schule ein christliches Privileg? Ich halte das für eine Grauzone. Wir dürfen nicht vergessen, dass in vielen Wiener Schulen die Mehrzahl der Kinder nicht christlich ist. Dazu kommt, dass das Kreuz für das Judentum und den Islam auch ein Zeichen historischer Unterdrückung ist. Die Kreuzfahrer haben im Zeichen des Kreuzes Muslime und Juden ermordet. Daher ist das Kreuz für die einen das eine und für die anderen das andere. Aber man kann damit pragmatisch umgehen. Es ist nicht sinnvoll, es hochzuspielen, solange es kein größeres Ärgernis einer relevanten Zahl hervorruft.
SN: Warum war das Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien ein Flop? Als Politologe sehe ich im Verhältnis von Kirchen und Staat einen sinnvollen Kompromiss, den die Zweite Republik gefunden hat. Wir haben einen Ständestaat erlebt, dessen Verfassung sich auf Gott den Allmächtigen berufen hat. Und wir haben – aus dieser Erfahrung heraus – erlebt, dass die Christlichsoziale Partei sich ganz bewusst nicht mehr christlich genannt hat, sondern Österreichische Volkspartei. Und wir haben erlebt, dass katholische Bischöfe, die noch nach 1945 kaum verschleierte Wahlempfehlungen abgegeben haben, sich in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend von parteipolitischer Positionierung zurückgehalten haben.
Diese Entwicklung sollte man nicht gefährden, indem man ohnehin sinnentleerte Symbole angreift. Unser Modus Vivendi von Staat und Religionsgesellschaften ist vernünftig und entwickelt sich in der Praxis ohnehin weiter. Daher habe ich für das Volksbegehren von 2013 keine Sympathien gehabt.
„Rechtlich ein guter Kompromiss.“
SN: Was bedeutet, wie Sie sagen, die heikle Frage Islam? Die staatliche Anerkennung des Islam ist ein Fortschritt, um den uns viele in Europa beneiden. Die Republik kann durch ein Regierungsmitglied mit den Vertretern des Islam verhandeln. Da gibt es einen Gesprächspartner, wenn Probleme auftauchen – Stichwort islamische Kindergärten –, und das ist gut so.
Das Prinzip ist, dass der Islam eine staatlich anerkannte Religionsgesellschaft mit Rechten und mit Pflichten ist wie andere auch. Aber im gesellschaftlichen Alltag ist das nicht so einfach. Da gibt es kulturelle Konflikte, aber auch sich kulturell gebende Fremdenfeindlichkeit.
Man muss darauf bestehen, dass Österreicher muslimischen Glaubens sich an die österreichische Rechtsordnung halten, etwa was die Gleichheit von Frauen und Männern betrifft. Da kann man keine Konzessionen machen. Aber im Alltag geht es eher darum, dass die Toleranz der Nichtmuslime gegenüber den Muslimen stärker in die Pflicht genommen werden muss. Das ist auch eine Aufgabe des Staates und des staatlich geformten und kontrollierten Bildungssystems.