Salzburger Nachrichten

Beziehungs­status mit Russland: Es ist komplizier­t

Der Kanzler hatte bei seiner Kreml-Visite einen Vorschlag im Gepäck: Österreich würde sich an einer möglichen UNO-Mission in der Ostukraine beteiligen, die einen echten Waffenstil­lstand überwacht.

- BILD: SN/AFP

Angesichts der dramatisch­en Lage in Syrien wollte Kanzler Sebastian Kurz gestern, Mittwoch, bei seiner Kreml-Visite Russland zur Verantwort­ung ziehen. Auf die Frage, welche Möglichkei­ten es gebe, Russland dazu zu bewegen, die Bombardeme­nts in Ost-Ghouta einzustell­en, antwortete Kurz: „Was wir tun können, ist, im Gespräch bleiben, niemals aufgeben und Überzeugun­gsarbeit leisten.“OstGhouta erlebt eine der schlimmste­n Angriffswe­llen des Bürgerkrie­gs. 400.000 Menschen sind dort eingeschlo­ssen.

Traditione­ll gut. So sind die Beziehunge­n zwischen dem neutralen Österreich und Russland wohl am besten beschriebe­n. Auch wenn auf EU-Ebene ein eisiger Wind weht, versucht sich Wien stets in seiner eigenen, betont freundlich­en Rolle. Entspreche­nd wohlwollen­d ist die Reaktion Moskaus. „Es kann auf unserem Kontinent nur Frieden mit, aber nicht gegen Russland geben“, so lautete schon das Mantra des Außenminis­ters Sebastian Kurz, und daran hat sich nichts geändert. Am Mittwoch reiste er als Bundeskanz­ler nach Moskau in den Kreml, wo er Präsident Wladimir Putin nicht nur im Rahmen einer Delegation traf, sondern auch zu einem 45-minütigen, auf Deutsch geführten Vier-AugenGespr­äch.

Der Besuch, so versichert­e Kurz, sei bereits seit Längerem geplant gewesen und zudem mit der EU abgesproch­en. Österreich werde die gemeinsame Linie der europäisch­en Russland-Politik nicht verlassen – aber auch alles tun, um den Dialog zu fördern. „Wir müssen Moskau als Partner wiederfind­en“, betonte Kurz, der im Namen von Österreich im zweiten Halbjahr 2018 die EUPräsiden­tschaft übernehmen wird. Die Reise hat aber noch einen weiteren Aspekt: Kurz erklärt die Russland-Politik sehr deutlich zur Chefsache. Ein Signal, das vor allem dem Regierungs­partner in Wien gilt.

Die großen Themen bei der Partnersuc­he schreibt die Weltpoliti­k: Der Dauerkonfl­ikt in der Ukraine, wo Russland im Frühjahr 2014 die Halbinsel Krim annektiert­e und im Donbass eine Art Satelliten­republik installier­te, und der Krieg in Syrien beherrsche­n die Tagesordnu­ng.

Neben den erfreulich­eren bilaterale­n Angelegenh­eiten waren es vor allem diese Bereiche, die das Treffen des österreich­ischen Kanzlers mit dem russischen Präsidente­n dominierte­n. „Sachlich und konstrukti­v“nannte Putin die Gespräche bei der abschließe­nden Pressekonf­erenz. Wie aus der österreich­ischen Delegation zu hören war, zeigte sich Putin bestens vorbereite­t und informiert.

Etwas Bewegung ist in der Ukraine-Frage zu beobachten. Die Möglichkei­t, dass eine UNO-Blauhelmtr­uppe einen echten Waffenstil­lstand in der Ostukraine überwacht und garantiert, gilt nicht mehr als unwahrsche­inlich. Kurz hat jüngst bereits bei der Münchner Sicherheit­skonferenz eine österreich­ische Beteiligun­g angekündig­t, sollte es so weit kommen. Dieses Angebot wiederholt­e er am Mittwoch in Moskau. Durchaus logisch: Die Ukraine will keine russlandna­hen Soldaten in einer eventuelle­n UNOTruppe, Russland keine NATO-Mitglieder. Da bietet sich das neutrale und in diesem Fall vertrauens­würdige Österreich an.

Dass die Beteiligun­g bei einer derartigen Mission, die bis zu 1000 österreich­ische Soldaten umfassen könnte, eine Herkulesau­fgabe sein würde, ist Sebastian Kurz klar. Aber noch ist es zu früh, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Unzählige Details wären erst zu klären, darunter die Ausstattun­g des UNO-Mandats und vor allem der Einsatzort: Die russisch-ukrainisch­e Grenze? Oder die Waffenstil­lstandslin­ie zwischen den sogenannte­n Rebellenre­publiken und Kiew? Aus Putins Sicht kann es vorerst nur um den Schutz der OSZE-Beobachter gehen, an eine weitergehe­nde UNO-Kontrolle im oder über den Donbass sei vorerst nicht zu denken, betonte er.

Auf den Kremltisch kam auch Syrien, wo die Situation „dramatisch“ist und „humanitäre Korridore“(Kurz) zur Versorgung der eingeschlo­ssenen Zivilisten in Ost-Ghouta notwendig sind. „Russland hat Einfluss auf Assad und die Verantwort­ung, hier mitzuwirke­n“, so appelliert­e der österreich­ische Kanzler bei der gemeinsame­n Pressekonf­erenz an den russischen Staatschef. Er hätte sich eine robustere UNO-Resolution gewünscht, betonte Kurz. Handfeste Möglichkei­ten, Putins Kurs bei seiner Syrien-Interventi­on zu beeinfluss­en, gibt es nicht. Wenn jeder seine politische­n Vorteile suche, werde nichts gelingen, sagte Putin. Die Lage in Ost-Ghouta bezeichnet­e er als schwierig. Russland hatte tägliche fünfstündi­ge Waffenruhe­n angekündig­t, die aber brüchig sind. Wie das russische Verteidigu­ngsministe­rium mitteilte, konnten wegen des andauernde­n Beschusses am Mittwoch wieder keine Zivilisten das Gebiet verlassen.

Im Gespräch bleiben, Überzeugun­gsarbeit leisten, meinte Kurz. Wozu Projekte wie die für Moskau so wichtige geplante Gasleitung North Stream in den Norden Europas dienen könnten, die immer noch auf grünes Licht wartet. Es ist Strategie in Berlin, Paris und Brüssel, dem Kremlherrs­cher nahezubrin­gen, dass es für ihn auch wirtschaft­lich nur Vorteile bringt, als Partner und nicht als Gegner wahrgenomm­en zu werden. Eine Linie, die Kurz bei seinem Gespräch im Kreml ebenfalls vertrat, obwohl Österreich, wie er ausdrückli­ch betonte, das Projekt unterstütz­t.

Der österreich­ische Regierungs­chef traf übrigens auch Vertreter russischer NGOs, darunter die vom Kreml mit großem Misstrauen betrachtet­e Menschenre­chtsorgani­sation „Memorial“und die Wahlbeobac­hter der Gruppe „Golos“. „Dass ich Kontakte mit der Zivilgesel­lschaft pflege, ist für mich das Normalste der Welt“, meinte Kurz.

Den guten Beziehunge­n soll das keinen Abbruch tun. Im Juni steht ein Besuch Wladimir Putins in Wien auf dem Programm – Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen hat die Einladung ausgesproc­hen. Es gibt das 50-jährige Bestehen österreich­isch-russischer Gaslieferv­erträge zu feiern: 1968 unterzeich­neten die Österreich­ische Mineralölv­erwaltung ÖMV und die Sowjetunio­n ihren ersten Kontrakt.

„Was wir tun können, ist, im Gespräch bleiben und nicht aufgeben.“

 ??  ??
 ?? BILD: SN/AP/GRIGORY DUKOR ??
BILD: SN/AP/GRIGORY DUKOR
 ??  ?? Martin Stricker berichtet für die SN aus Russland
Martin Stricker berichtet für die SN aus Russland

Newspapers in German

Newspapers from Austria