Mit der Angst Stimmen fangen
Die politische Rechte Italiens ist auf dem Vormarsch, auch dank einer migrantenfeindlichen Rhetorik. Doch der Block um Ex-Premier Silvio Berlusconi ist tief gespalten über Europa.
ROM. Wer von uns eine Stimme Mehrheit hat, soll den Regierungschef stellen. Das haben sich die Parteien versprochen, die rechts von der Mitte bis ganz rechtsaußen eine Koalition bilden und bei den Wahlen am kommenden Sonntag durchaus die Chance auf eine Regierungsmehrheit haben. Dieses Bündnis aus Silvio Berlusconis Forza Italia (FI), der radikalisierten Lega von Matteo Salvini und den rechtsnationalistischen Fratelli d’Italia (FdI) von Giorgia Meloni sowie aus einem gemäßigten Grüppchen, im Politjargon „Das vierte Bein“genannt, verbindet außer dem Willen zur Macht nicht viel. Aber die Personalentscheidung im Falle eines Sieges hat es in sich: Es ist eine Richtungsentscheidung.
Berlusconi möchte Antonio Tajani, den Präsidenten des Europaparlaments, als künftigen Premier Italiens sehen. Dagegen will der Krawallmacher und Marine-LePen-Freund Salvini, der Europa umkrempeln will, selbst die Führung der Regierung übernehmen. Keine Ansprüche darauf erhebt die von Ungarns Viktor Orbán entzückte Meloni, die „vorzugsweise“mit der Visegrád-Staatengruppe gegen die in Brüssel kommandierende „französisch-deutsche Achse“die Identität Europas verteidigen und dessen Islamisierung verhindern will.
Der 81-jährige Silvio Berlusconi, mit versteinerten Gesichtszügen, kämpft mehr, als es seiner besorgten Familie lieb ist, um eine relative Mehrheit für Forza Italia. Als verurteilter Straftäter könnte er, der noch fünf Prozesse laufen hat, wahrscheinlich erst 2019 wieder selbst kandidieren. Animiert durch einen Wahlkampf mit Versprechungen wie 1994 (weniger Steuern, mehr Sicherheit), denkt er schon an mögliche vorgezogene Neuwahlen: „Ich stehe zur Verfügung, im kommenden Jahr zu kandidieren.“
Vorerst aber soll Antonio Tajani antreten, der jedoch noch mit einer Zusage zögert. „Ich möchte an der Spitze des Europaparlaments bleiben“, sagte er der deutschen Zeitung „Die Welt“– wohl auch aus der Sorge vor einer Beschädigung durch eine riskante heimische Kandidatur und aus der Abwägung zwischen einem ruhigen Platz in Straßburg und einem Schleudersitz im römischen Polittheater. Tajani dient Berlusconi auch dazu, die wegen der italienischen Entwicklung nach rechts alarmierte EU-Führung und Staatskanzleien der Partner zu beruhigen. Berlusconi versucht, die beträchtliche Anti-EU-Stimmung in Italien zu überspielen, und verspricht kühn, er garantiere die proeuropäische Ausrichtung seines Landes. Aber was ist, wenn Salvini die Nummer eins im rechten Lager wird?
„Italien zuerst“, so lautet die Devise des Lega-Chefs, der seine Partei weit nach rechts gerückt hat und nach einem eventuellen Wahlsieg auch mit Casa Pound, den selbst so genannten „Faschisten des dritten Jahrtausends“, verhandeln will. Schon vor drei Jahren haben die beiden Gruppen gemeinsam gegen die Immigration demonstriert. Migration und Flüchtlinge werden nun regelmäßig kurzgeschlossen mit Kriminalität und Unsicherheit – eine diffamierende Paarung, deren durch Fake News verstärkte Propaganda stark verfängt; denn die 40 Prozent sich verängstigt gegenüber den Migranten Fühlenden sind anfällig für Hasspredigten und einfache Radikallösungen, wie Repatriierung aller Migranten.
Berlusconi, der in der Flüchtlingsfrage Salvini an Radikalität übertrifft, sieht keinen Grund, einen Damm gegen sich ausbreitendes faschistisches Denken zu errichten: Faschismus sei „tot und begraben“, es gebe ja keinen Hitler oder Mussolini mehr. Als am 3. Februar ein Lega-Aktivist mit Hakenkreuz-Tattoo in Macerata in den Marken sechs Afrikaner niederschoss und sich mit faschistischem Gruß und dem Ruf „Italien den Italienern“vor einem Kriegerdenkmal aufstellte, erschreckte dieser Terrorakt weithin. Die unsichere Reaktion der Zivilgesellschaft auf die plumpe Gewalttat hat schlummernden Faschisten Auftrieb gegeben, öffentlich, vor allem in sozialen Medien, aus der Deckung zu treten.