Salzburger Nachrichten

Das Leid beim Denken lässt sich malen

Nur auf Verstand, Wissenscha­ft und Technik reduziert, wird der Mensch verstümmel­t. Paul Klee hat das Fehlende gemalt.

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MÜNCHEN. Der Versuch, exakt denkend die Welt zu erfassen, endet so schlimm wie der Glaube ans bloße Funktionie­ren des Menschen. Es bleibt ein verkrümmte­s, verstümmel­tes Wesen – zwar mit Sehnsucht im Blick, doch der Kopf ist übergroß und unförmig geworden, der Habitus ist schablonen­haft. Das Bemühen um Genauigkei­t bewirkt sonderbare Steife. In der Anstrengun­g um Ordnung bleibt Unförmigke­it.

„Gespenst eines Genies“hat Paul Klee dieses Bild genannt. Er brachte damit zum Ausdruck, wie es dem Genie des Künstlers und seiner Intuition ergeht, wenn er sich den Maßstäben von Technik, Logik und Funktion zu beugen hat. Das Denken erzeugt Leid – weil das Erkennen so oft nur im Ansatz und in der Skizze verharrt oder weil das ausschließ­liche Streben nach Wissenscha­ft einen essenziell­en Teil des Menschen verkümmern lässt.

Das „Gespenst eines Genies“ist deshalb ein Schlüsselw­erk in der ab heute, Donnerstag, zugänglich­en Münchner Ausstellun­g über Paul Klee, weil sie dieses Wechselspi­el von Konstrukti­on und Intuition, Verstand und Gefühl, Geometrie und Gekritzel sowie Fliegen und Erdenschwe­re abtastet. Dabei wird sichtbar: Was wir sprachlich nur in Dichotomie­n ausdrücken könnten, hat Paul Klee in einheitlic­he, homogene Bilder komponiert. Das Geometrisc­he versieht er mit betörend flirrenden Farben; der perfekten Form verleiht er Skizzenhaf­tes; das scheinbar Hingekritz­elte hat Ebenmaß in Form und Rhythmus. So vereint er malend und zeichnend, was der Geist trennt. Dazu fügt sich der Titel der Ausstellun­g: „Konstrukti­on des Geheimniss­es“. Auch dies ist sprachlogi­sch widersinni­g, doch Paul Klee hat es malerisch ein Leben lang symbiotisc­h umgesetzt.

Erstmals seit rund zehn Jahren mit Max Beckmann widme die Pinakothek der Moderne nun mit Paul Klee wieder einem Künstler der klassische­n Moderne eine große monografis­che Ausstellun­g, erläutert Bernhard Maaz, Generaldir­ektor der Pinakothek­en. In dreijährig­er Vorbereitu­ng seien ausgehend von den zwanzig Bildern im Münchner Bestand – davon sind jetzt sechzehn ausgestell­t – von drei Kontinente­n 130 Leihgaben besorgt worden, sei es New York, Paris, Bern, Berlin, Wien oder Tokio. Die Präsentati­on in der neuen Pinakothek wird in Kochel am See von einer Ausstellun­g von Paul Klees Landschaft­en begleitet.

In München steht sein Schaffen am Bauhaus in Weimar im Mittelpunk­t, somit das von ihm wunderbar verrätselt­e Zusammenwi­rken von Kunst und Technik. Da dies um Früh- und Spätwerk erweitert wird, ergeben die rund 150 Bilder einen beträchtli­chen Überblick, wenngleich Kurator Oliver Kase versichert: Eine einigermaß­en vollständi­ge Retrospekt­ive sei das längst nicht. Dafür seien vermutlich an die 2000 Bilder erforderli­ch – so riesig in Anzahl und Inhalt ist das Werk.

Paul Klee sei „ein denkender Künstler“in der Forscher-Tradition von Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer, sagt der Kurator Oliver Kase. Er habe die Grenzen der bildnerisc­hen Mittel „unter dem Druck des Bauhauses“erforscht. Dorthin, nach Weimar, hatte ihn 1921 Walter Gropius berufen. Dessen Diktum, Kunst und Technik seien die neue Einheit, forderte Paul Klee heraus. Während am Bauhaus, dieser „großen Experiment­ierstation für Utopien“(Oliver Kase), neue Medien wie Film sowie Architektu­r forciert werden, bleibt Paul Klee klassische­r Tafelbildm­aler, wenngleich mit offensicht­licher Lust an neuen Materialko­mpositione­n, wie „Aquarell auf Gipsgrund auf Papier“oder „Öl, Asphaltgru­nd, geritzt und gemalt“oder „Öl und Bleistift auf Nesseltuch auf Papier“.

Während mittels Fotografie schnell und genau abzubilden ist, ergründet Paul Klee das, was nur Zeichner und Maler vermögen. Anders gesagt: Im Grenzgang zu dem, was dezidierte Nicht-Kunst ist, lotet er das Eigentlich­e von Kunst aus. „Ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler“, schreibt er einmal ins Tagebuch. Er malt Seiltänzer, Clown und Artist, doch bringt er auch Blitze, Kristalle, Geometrie und Architektu­r ins Bild. Nachdem er sich vom Bauhaus zurückgezo­gen hat und 1933 in die Schweiz hat auswandern müssen, werden auch seine Titel poetischer: „Weg ins Blaue“, „Gedanken in Gelb“, „Blick in die Stille“oder „Bei vergehende­r Zeit“.

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„Gespenst eines Genies“aus 1922 kommt aus Schottland nach München.

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