„Gewinn wird investiert in Zeit“
Um wettbewerbsfähig zu bleiben, führt ein Unternehmen in Oberösterreich die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich ein. Der Unternehmer Klaus Hochreiter ist vom Erfolg damit überzeugt. Und erklärt, warum.
Zwei Unternehmer im oberösterreichischen Bad Leonfelden führen in ihrer Online-Marketing-Agentur eMagnetix die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich ein. Das Modell sei nicht wettbewerbstauglich, sagen ihre Kritiker. Eigentümer und Gesellschafter Klaus Hochreiter kontert, er mache das gerade aus Wettbewerbsgründen. Denn er stehe im harten Wettbewerb um gute Mitarbeiter. Und die wollten heute anders leben als frühere Generationen. Dass sein Modell Erfolg haben wird, steht für ihn nach einem mehrwöchigen Test außer Zweifel. Die Frage lautet für Hochreiter nur, wie groß der Erfolg sein wird. SN: Ihre Ankündigung, die 30-Stunden-Woche einzuführen, hat viel Wirbel erzeugt. Wie waren die Reaktionen? Hochreiter: Wir werden beglückwünscht, andere wollen Informationen darüber, was wir exakt machen, weil sie Ähnliches planen. Es gibt aber auch Skeptiker aus der Wirtschaft. Ein Kommentar hat gelautet, das könne nicht funktionieren, weil wir nicht mehr wettbewerbsfähig wären und die Kosten auf die Kunden überwälzen müssten, was wir natürlich nicht machen. Unser Modell ist kein allgemein gültiges, da muss sich schon jeder Unternehmer selbst Gedanken machen. Aber im Kern geht es darum, Mitarbeiter zu motivieren. SN: Wie wollen Sie die zusätzlichen Kosten einsparen? Die Digitalisierung bietet uns jede Menge Werkzeuge, die manuelle Arbeit zu reduzieren. Unsere Mitarbeiter waren von Anfang an eingebunden. Jeder hat alles hinterfragt, was man besser oder schneller machen kann, oder welche Tools man zur Zeitersparnis einsetzen kann. Das wurde eine lange Liste von Prozessen. Mit denen sparen wir sieben Prozent an Zeit ein. SN: Wo konnten Sie am meisten Zeit gewinnen? Wir betreuen die Online-Kampagnen der Kunden nun über automatisierte Prozesse und weniger manuell. Die Digitalisierung kostet keine Arbeitsplätze, sondern die gewonnene Zeit wird den Mitarbeitern als Freizeit gegeben. Wir eliminieren aber zum Beispiel auch die Mobiltelefone während der Arbeitszeit, denn die lenken enorm ab, und wir straffen interne Besprechungen beziehungsweise koordinieren sie so, dass sie uns nicht ständig aus der Arbeit rausreißen. SN: Die sieben Prozent Einsparung füllen aber noch nicht die Lücke von 22 Prozent, die bei einer Reduktion von 38,5 Stunden auf 30 Stunden entsteht. Unser Geschäftsmodell ist generell nur zu 50 Prozent ressourcenintensiv, also bleiben bei der 30-Stunden-Woche nach sieben Prozent Einsparung durch Prozessoptimierungen noch vier Prozent übrig, die nicht erwirtschaftet werden. Das ist unser langfristiges Investment, das ist der Gewinnanteil, der in Mitarbeiterzufriedenheit investiert wird. SN: Welche Erfahrungen haben Sie im Testlauf gemacht? Dass die Zusammenarbeit nach wie vor gut funktioniert, sich aber jeder gut organisieren muss und wir Pufferzeiten für Unvorbereitetes brauchen. Kunden haben sich nie beschwert, auch nicht über eine verkürzte telefonische Erreichbarkeit. SN: Welche Resultate erwarten Sie? Versuche in Schweden haben es ja gezeigt, dass Arbeitszeitreduktion höhere Mitarbeitermotivation, höhere Produktivität und weniger Krankenstände bedeutet. Damit rechnen auch wir langfristig. Zudem erwarten wir stärkeres selbstständiges Arbeiten der Mitarbeiter. Wir wollen, dass unsere Mitarbeiter selbst Lösungen finden und nicht immer fragen gehen. Wir fördern mit der geschenkten Zeit die Eigenverantwortung. Geldanreize wirken hingegen nur sehr kurzfristig. SN: Werden Sie durch die Arbeitszeitverkürzung nicht weniger wettbewerbsfähig? Unser wichtigstes Kapital sind die Mitarbeiter. Unsere Zielgruppe, also Mitarbeiter und künftige Mitarbeiter, fordern eine Work-Life-Balance. Wenn ich wettbewerbsfähig sein will, dann muss ich hier etwas tun. 40 Jahre, 40 Stunden, das sind wir gewohnt. Ich war anfänglich selbst auch skeptisch. Aber es geht ja nicht um die Zeit, die jemand in einem Job verbringt, sondern um die Qualität der Arbeit. SN: Was war Ihre Initialzündung für die 30-Stunden-Woche? Vor eineinhalb Jahren habe ich einen Job fürs Projektmanagement ausgeschrieben und eine einzige Bewerbung bekommen, die Dame hat dann abgesagt. Da habe ich mir gedacht, ich muss etwas tun. Nur über Fachkräftemangel zu jammern genügt nicht. Ich habe mich dann eineinhalb Jahre intensiv auf internationaler Ebene mit Employer Branding befasst, unsere 30-Stunden-Woche ist eine Maßnahme aus diesem Prozess. In anderen Ländern, etwa in Deutschland, tut sich hier schon einiges. Worauf warten wir noch? Der Fachkräftemangel wird sich noch zuspitzen. SN: Liegt es vielleicht an der Bezahlung, wenn Sie keine Leute gefunden haben? Wir sind im IT-Kollektivvertrag und zahlen über dem Kollektivvertrag. Das Mindestgehalt für Projektmanagement liegt bei uns zum Beispiel bei 3000 Euro brutto. Da fängt es an. SN: Wie viele Bewerbungen haben Sie seit der Veröffentlichung Ihres Plans vor einer Woche bekommen? Rund 50, normalerweise bekommen wir kaum Bewerbungen. Und die Qualität der Bewerbungen ist in Summe sehr gut. SN: Wie haben die 22 Mitarbeiter reagiert, als Sie sie in Ihren Plan eingeweiht haben? Das reichte von Ungläubigkeit bis Euphorie. Niemand wollte es nicht. SN: Müssen Sie wegen der Arbeitszeitverkürzung Ihre Wachstumspläne kappen? Nein. Wir planen gerade einen neuen Standort in Graz. Unsere Vision ist, bis 2025 die führende OnlineMarketing-Agentur in Österreich und Süddeutschland zu werden, dann machen wir gemeinsam mit den Mitarbeitern eine Kreuzfahrt. SN: Gilt die 30-Stunden-Woche auch für Sie? Derzeit arbeite ich 40 bis 50 Stunden in der Woche. Aber mein Partner und ich sind selbst davon überzeugt, dass die 30-Stunden-Woche richtig ist. Ab Oktober werde ich persönlich die 30-Stunden-Woche noch nicht schaffen. Aber sie soll künftig auch für uns gelten. Klaus Hochreiter