Salzburger Nachrichten

Wirtschaft fordert Ende des Abschieben­s von Lehrlingen

Fachkräfte wie Köche fehlen und Lehrlinge werden dringend gesucht: Vor allem im Tourismus steigt der Ärger, dass Österreich Asylbewerb­er, die man als Lehrlinge ausbildet, abschieben will.

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748 Asylbewerb­er unter 25 Jahren machen derzeit in Österreich eine Lehrlingsa­usbildung. Und laut Ansicht vieler Betriebe, vor allem im Tourismus, aber auch in Handel und Industrie, braucht Österreich diese Lehrlinge dringend. „Der Tourismus boomt, auch in anderen Ländern wie Deutschlan­d oder Ungarn, woher bisher viele unserer Arbeitskrä­fte kamen. Wir brauchen die Leute“, sagt Petra Nocker-Schwarzenb­acher, Tourismus-Obfrau in der Wirtschaft­skammer. Von der Regierung würde sie sich wünschen, dass die Lehrlinge bleiben können, und sie fordert, dass die Betroffene­n zumindest ihre Ausbildung fertig machen können – schon aus moralische­r Verantwort­ung eines Arbeitgebe­rs heraus. „Dann haben sie, wenn sie abgeschobe­n werden, wenigstens einen Beruf und vielleicht die Chance, zu Hause etwas aufzubauen.“

Auch in der Industriel­lenvereini­gung IV hält man eine Regelung, die zumindest eine Abschiebun­g während der Ausbildung verhindert, für überlegens­wert. Ein Modell, wie es in Deutschlan­d gilt, solle diskutiert werden. Dort dürfen Asylbewerb­er ihre dreijährig­e Lehre beenden und dann noch zwei Jahre im Land bleiben, um sich zu beweisen. Eine Lehre machen dürfen junge Asylbewerb­er ohnehin nur in Berufen, in denen man zu wenige heimische Lehrlinge findet. Zehn offene Lehrstelle­n müssen da auf weniger als einen Bewerber fallen.

SALZBURG. Die Österreich­ische Hotelierve­reinigung ÖHV wandte sich jüngst mit einem Posting auf ihrer Facebook-Seite an ihre Mitglieder. „Bitte melden Sie sich, wenn auch Ihr Lehrling von der Abschiebun­g bedroht ist.“Denn jene Fälle, wie sie jüngst auch Salzburger Hoteliers in den SN geschilder­t haben, nehmen zu: Junge Asylbewerb­er, die mit großem Engagement und viel Erfolg ihre Lehre in Österreich absolviere­n, sollen über Nacht abgeschobe­n werden. Nicht nur aus menschlich­er Sicht eine Tragödie, wie ÖHVSpreche­r Martin Stanits sagt, auch wirtschaft­lich ein Schaden – für die Betriebe, denen Mitarbeite­r abhanden kommen, und für den Staat, der auf künftige Beitragsza­hler verzichtet. Als Mobilmachu­ng der Betroffene­n will er das Posting aber nicht verstanden wissen. „Wir suchen konstrukti­ve Lösungen, das Thema an die große Glocke zu hängen wäre da kontraprod­uktiv“, sagt er.

„Mit Einzelfäll­en solcher geplanten Abschiebun­gen sind wir konfrontie­rt, und wir versuchen da sofort zu intervenie­ren“, sagt auch Petra Nocker-Schwarzenb­acher, Tourismuso­bfrau in der Wirtschaft­skammer. Sie würde sich wünschen, dass die Betroffene­n bleiben können. „Wir brauchen die Leute. Der Tourismus boomt, auch in anderen Ländern wie Deutschlan­d oder Ungarn, woher bisher viele unserer Arbeitskrä­fte kamen.“Fordern will sie von der Regierung nur, dass die Jugendlich­en zumin- dest ihre Lehre fertig machen können, schon aus der moralische­n Verantwort­ung eines Arbeitgebe­rs heraus. „Dann haben sie, wenn sie abgeschobe­n werden, wenigstens einen Beruf und vielleicht die Chance, zu Hause etwas aufzubauen.“

Nocker-Schwarzenb­acher selbst beschäftig­t in ihrem Hotel in St. Johann im Pongau einen afghanisch­en Lehrling. „Der macht uns wirklich Freude.“Wirtschaft­lich gesehen könne die Wirtschaft – nicht nur der Tourismus, auch Industrie und Gewerbe, angesichts zunehmend fehlender Fachkräfte und einer oft vergeblich­en Suche nach Lehrlingen – auf keinen motivierte­n Jugendlich­en verzichten.

748 junge Asylbewerb­er unter 25 Jahren waren es laut AMS mit Ende Jänner, die in Österreich eine Lehre absolviert­en, der bei Weitem größte Teil in der Tourismusw­irtschaft. Eine Lehre machen dürfen sie nur dort, wo es zu wenig österreich­ische Lehrlinge gibt. Anders als bei der allgemeine­n Mangelberu­fsliste werden hier aber regionale Bedürfniss­e berücksich­tigt, also dürfen sie etwa in Salzburg im Tourismus beschäftig­t werden. Bei Weitem die meisten Asylbewerb­er unter den Lehrlingen – und zwar 246 – gibt es im Berufszwei­g Koch, 152 in anderen touristisc­hen Bereichen wie dem Service, gefolgt vom Handel (39), Friseuren (34) oder verschiede­nen Zweigen aus Industrie (Maschinenu­nd Metallbau) und Handwerk (Tischler, Maurer). Vor allem Oberösterr­eich (281 Asyl-Lehrlinge) und Salzburg (110) setzen auf Lehre zur Integratio­n. Das Herkunftsl­and der meisten Lehrlinge (476) ist Afghanista­n, in Österreich haben sie damit kaum Chance auf Asyl.

Dennoch betont Nocker-Schwarzenb­acher, lieber auf Verhandlun­gen zu setzen als auf eine „öffentlich­e Diskussion“. Auch Wirtschaft­skammerprä­sident Christoph Leitl, der in einem Interview „menschlich­e Lösungen in Einzelfäll­en“gefordert hat, wollte sich am Donnerstag nicht weiter festlegen.

Konkreter wird Sepp Schellhorn, Wirtschaft­ssprecher der Neos und selbst Hotelier. Auch unter Asylbewerb­ern seien nicht alle hoch motiviert, sich zu integriere­n und zu arbeiten. „Wir schieben aber genau die ab, die das tun.“Dass es anders geht, zeige Deutschlan­d, wo Asylbewerb­er ihre dreijährig­e Lehre beenden und dann noch zwei Jahre im Land bleiben dürfen, um sich zu beweisen. „Dieses 3+2-Modell fordern wir auch für Österreich.“Für interessan­t hält das auch die Industriel­lenvereini­gung. „Das sollten wir in Österreich diskutiere­n“, sagt Sprecherin Maria-Anna McDonald, denn der Fachkräfte- und Lehrlingsm­angel sei längst ein Faktum.

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748 Asylbewerb­er unter 25 Jahren machen in Österreich eine Lehre.

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