Alles klar, aber verraten wird
Bis Dienstag hatte die österreichische Filmemacherin Jessica Hausner Zeit, über die Oscars zu entscheiden. Verraten kann sie nur, wie sie das macht.
SALZBURG, WIEN. Leider. Hier kann kein Wort darüber erzählt werden, wen es am Sonntagabend bei der Oscar-Gala vom Satz „And the Oscar goes to …“aus dem Sessel im Dolby Theatre in Los Angeles reißen wird. Die österreichische Filmemacherin Jessica Hausner weiß es auch nicht. Aber sie hat mitgestimmt. Seit 2017 ist Hausner Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, deren rund 7000 Mitglieder über die Oscars entscheiden. Was ist da – außer in den letzten Tagen vor der Gala eisern zu schweigen – zu tun? SN: Frau Hausner, wie wird man denn Mitglied in der Academy of Motion Picture Arts and Sciences? Hausner: Man wird von der Academy eingeladen, Mitglied zu werden. Wer eingeladen wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ich denke, die Academy hat sich im letzten Jahr der „Diversity“verschrieben und den Fokus auf erfolgreiche, filmschaffende Frauen und „non-whites“gelegt. SN: Haben Sie überlegt, ob Sie das vielleicht nicht machen wollen oder anders: Was spricht dafür, dabei zu sein? Dafür spricht die Vernetzung. Als Mitglied der Academy werde ich zu diversen Veranstaltungen eingeladen, bei denen ich wieder andere Mitglieder kennenlernen kann. Das ist für mich wichtig, da ich somit internationale Kontakte zu Schauspielern, Verleihern und sonstigen Leuten aus der Branche knüpfen kann. SN: Wie sehen Sie die Entwicklung in der Academy? Lange wurde kritisiert, sie sei ein Verein alter, weißer Männer. Ändert sich das? Ja, anscheinend wird mehr Wert auf „Diversity“gelegt. Das finde ich deshalb wichtig, weil die Mitglieder der Academy durch die Oscar-Abstimmung wesentlich dazu beitragen, wessen Stimme in der Welt des Films gehört wird. Und da man immer am ehesten das wählt, was ei- nem selbst nahe ist, fallen die Wahlergebnisse bei den Oscars natürlich entsprechend aus. SN: Wie groß ist die Wirkung des Oscars in gesellschaftspolitischer Hinsicht – oder ist dieser Preis ohnehin nur ein Turbo an den Kinokassen? Die Oscars sind Symptom einer Gesellschaft, haben aber auch eine Wirkung auf diese. Wenn etwa meistens weiße Männer die Hauptpreise gewinnen, sagt das etwas über deren Vormachtstellung in unserer Gesellschaft aus. Würde eine „non-white woman“den Preis für den besten Film gewinnen, wäre das ein äußerst ungewöhnliches, aber auch wegweisendes Ereignis. Je mehr Mitglieder aber also „nonwhite women“sind, desto eher wird dieser Fall eintreten. SN: Entscheiden Sie in allen Kategorien mit? Ja. SN: Wie läuft beim Oscar der Prozess von den Nominierungen bis zur Entscheidung ab? Zuerst bekomme ich von den verschiedenen Produzenten deren Filme auf DVD zugeschickt. Dann habe ich zwei bis drei Monate Zeit, die Filme anzusehen. Irgendwann im Jänner wird dann online für die Nominierungen gewählt. Bis vergangenen Dienstag konnte ich unter den Nominierten dann die Preisträger wählen. SN: Sie schauen das alles daheim? Ich könnte die Filme auch in Kinos sehen, allerdings finden diese Vorführungen nur in einigen US-Städten und in London statt. SN: Wie tauschen Sie sich denn über diese Filme aus? Gehen Sie auch ins Kino, um etwa die Reaktion des Publikums auf den Film zu erleben? Gibt es Vertraute, die Sie in Ihre Entscheidungsfindung einbinden – oder müssen Sie das ganz allein und einsam machen? Ich schaue mir Filme grundsätzlich lieber allein an. Mich stören meistens die Geräusche und Kommentare der anderen. Aber ich berate mich mit meinem Partner Markus Binder. Bei den Animationsfilmen schaue ich gemeinsam mit meinem Sohn, dessen Urteil oft sehr kritisch ausfällt. SN: Unter den besten Filmen gibt es heuer bei den Nominierungen unter anderem einen Kriegsfilm, eine Mediengeschichte, eine Art Politikerporträt oder auch eine Mutter-TochterGeschichte. Gibt es bestimmte Kriterien, die man als Juror für jeden Film heranziehen kann? Originalität, Relevanz und handwerkliches Können sind Kriterien, die immer genannt werden. Für mich persönlich stehen künstlerische Originalität und politische Relevanz an erster Stelle. SN: Was zeichnet denn etwa einen „besten Film“für Sie aus? Ich denke, ebendiese genannten Kriterien sind entscheidend. Ein und bekam den Preis der Internationalen Filmkritik. Hausners bisher letzter Film „Amour Fou“wurde 2014 – wie schon zuvor ihre Werke „Hotel“und „Lovely Rita“– in „Un Certain Regard“in Cannes gezeigt.
1999 gründete Hausner zusammen mit Barbara Albert, Antonin Svoboda und Martin Gschlacht die Produktionsfirma coop99. Seit 2017 ist sie Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences. Film muss auch unterhaltsam sein, um zu gewinnen. Aber vielleicht gehört das auch einfach zu handwerklichem Können. SN: Und was müssen Schauspielerinnen und Schauspieler bieten, um Sie zu beeindrucken? Das lässt sich nicht verallgemeinern. Es sind spezielle Glücksfälle, wenn eine Schauspielerin oder ein Schauspieler, eine Rolle und eine Geschichte optimal aufeinandertreffen. Dann entsteht etwas Gutes. SN: Was dürfen Sie über Ihre heurigen Entscheidungen denn schon verraten? Nichts. SN: Hauptsächlich steht die Academy im Mittelpunkt, wenn es um die Oscars geht. Welche anderen Aufgaben bringt eine Mitgliedschaft noch mit sich? Welche Funktionen erfüllt die Academy sonst? Alle Aufgaben sind freiwillig. Es gibt abgesehen von der Wahl der Oscars diverse Aktivitäten, für die man sich engagieren kann, etwa die Mitgliederrekrutierung oder bestimmte Seminare, Veranstaltungen, oder in der Organisation selbst. Grundsätzlich geht es bei der Academy wie auch bei anderen Akademien – etwa der Europäischen Filmakademie – um Lobbying für die Filmbranche, Förderung, Kommunikation. SN: Wie wirkt sich die Mitgliedschaft von Österreicherinnen und Österreichern denn auch auf den Filmstandort Österreich aus? Na ja, zum Beispiel, wenn man durch die Academy Kontakte knüpft, die sich dann in einem Filmprojekt niederschlagen, dann kann das mitunter ein positiver Effekt für den Filmstandort Österreich sein. SN: Werden Sie denn zur Oscar-Gala nach Los Angeles reisen? Nein. Leider keine Zeit. SN: Woran arbeiten Sie denn gerade selbst? An einem neuen Film, der dieses Jahr gedreht wird: „Little Joe“handelt von einer Frau, die zwischen ihrer Arbeit und ihrem Sohn hin und her gerissen ist und sich schließlich für ihre Arbeit entscheidet.