Salzburger Nachrichten

Ein Büßer braucht den Wald

Das Wort „Buße“steht für Nachdenken über das eigene Leben, um vom Schlechten zu lassen und sich woanders hinzuwende­n. Aber wie erkennt man, wohin? Tiere des Waldes geben Hinweise.

- „Cranach natürlich – Hieronymus in der Wildnis“, Ferdinande­um, Innsbruck, bis 7. Oktober.

Gemälde des heiligen Hieronymus sind aus der Zeit gefallen. Was fängt man heute mit so einem hageren Asketen und seinem angeblich zahmen Löwen an – sei’s in Studierstu­be, Höhle oder Wüste? Das Tiroler Landesmuse­um rühmt sich eines Hieronymus-Bildes als „eines seiner herausrage­nden Meisterwer­ke“. Dafür hat sich Lucas Cranach der Ältere, der seit 1515 in seiner Werkstatt viele und verschiede­ne Hieronymus-Darstellun­gen produziert hat, zum letzten und ausführlic­hsten Mal mit diesem Heiligen befasst. Wegen der Raffinesse des Bildes widmet ihm das Ferdinande­um jetzt eine opulente Ausstellun­g mit Leihgaben aus Kunsthisto­rischem Museum, Sammlung Liechtenst­ein, Gemäldegal­erie Berlin, Museum-Bautzen und Germanisch­em Nationalmu­seum in Nürnberg. Zudem seien ab heute, Freitag, „sämtliche Solitärkom­positionen Cranachs zum Thema des Hieronymus in der Wildnis“zu sehen, teilt das Museum mit.

Hieronymus, der von 347 bis 420 gelebt hat, wird doppelt verehrt: als Gelehrter und Bibelübers­etzer sowie als Asket. An diesen erfolgt die Annäherung in der Innsbrucke­r Schau nicht über Mystik, wie sie der flatternde Schurz des Gekreuzigt­en augenschei­nlich macht, sondern über Flora und Fauna.

Im 16. Jahrhunder­t sei Hieronymus ein „Modeheilig­er“gewesen, erläutert Agnes Thum, eine der beiden Kuratorinn­en, im Katalog. „Der wilde Wald, der den Kirchenvat­er hier anstelle der historisch geforderte­n syrischen Wüste umfängt, ist dem Menschen gleichbere­chtigter ekstatisch­er Ausdruckst­räger und zugleich Hort subtiler Symbolik.“Ihre Kollegin Helena Pereña stellt fest: In Italien sei die Wüste oft mit kargen Felsen dargestell­t worden, nördlich der Alpen hingegen werde Hieronymus in Wälder gemalt. Diese Naturdarst­ellung sei nicht dokumentar­isch, sondern ein solcher Urwald sei wie die Urwüste ein Inbegriff für Wildnis – anders ausgedrück­t: für den Ausstieg aus alltäglich­er Geschäftig­keit.

Die Kuratorinn­en haben sich auf die Spuren dieser „subtilen Symbolik“des Waldes gemacht und erkannt: Tiere und Pflanzen sind Darsteller. Was Betrachter­n im 16. Jahrhunder­t an Allegorien geläufig gewesen sein muss, haben Kunst- und Naturwisse­nschafter des Ferdinande­ums wieder zusammenge­klaubt – aus theologisc­hen Texten, frühen Naturkunde­büchern wie „Historia naturalis“von 1499 oder dem „Kleinen Destillier­buch“von 1500 sowie aus Vergleiche­n mit anderen Bildern. Der Zoologe Peter Morass und der Botaniker Michael Thalinger haben erkannt: Cranach hat vieles fantasievo­ll ungenau gemalt, aber einiges verblüffen­d naturgetre­u.

Diese exakt gemalten Tiere und Pflanzen tragen die „subtile Symbolik“. Die Wesen am unteren Bildrand sind der Umkehr so bedürftig, dass sie dem heilbringe­nden Hieronymus-Quell schon nah sind. Der saufende Löwe steht für den reumütigen Ketzer. Der Biber, weil als vermeintli­cher Fisch einst als Fastenspei­se erlaubt, steht für Abkehr von Völlerei. Dass die zwei MenschVoge­l-Wesen, Harpyien genannt, ihr Spiegelbil­d sehen, ist als Selbsterke­nntnis zu deuten. Neben diesen drei Bußbereite­n hat Agnes Thum drei nicht bußfertige Sünder ausgemacht: Eidechse, Schildkröt­e sowie der auf sein Gefieder überstolze Fasan. Zudem sind im Bild einige „Sündenüber­winder“: der Adler unter dem Kreuz und der goldfarben­er Heufalter unter dem linken Knie von Hieronymus, weil beide fliegende Erlösung symbolisie­ren, sowie der Schlangen vernichten­de Storch. Ebenso seien Hirsche „typische Hieronymus-Tiere“, weil Schlangenv­ernichter und Sinnbild der Gläubigen, stellt Agnes Thum fest. Und Kraniche sind dem Menschen Vorbild, weil sie ihren Flug an einer gemeinsame­r Ordnung ausrichten und einem der Ihren folgen.

Auch Blumen tragen Bedeutunge­n: jede Dreizahl verweist auf die Dreifaltig­keit – wie dreiblättr­iger Klee, dreifarbig­es Stiefmütte­rchen, dreiblütig­e Erdbeere. Zudem verweisen die geneigten Blütenkelc­he der Akelei, die winzigen Blüten des Maiglöckch­ens und das niedrig wachsende Veilchen auf Demut.

Dass die Tanne über den Bildrand hinausrage, sei als Himmelslei­ter zu deuten, erläutert Agnes Thum. Ein Rotkehlche­n über dem Kopf des Heiligen verweise auf die Passion Christi. Zwei Eichhörnch­en – eines klettert himmelwärt­s, eines knackt eine Nuss – seien „geläufiges Symbol für den Menschen, der das Göttliche sucht“. Der Buchfink als Singvogel stehe für die Seele, die nach Erlösung strebe. Der Papagei hoch oben symbolisie­re Keuschheit.

Hingegen sitzt rechts, auf der nicht in den Himmel führenden Buche auf dürrem Zweig ein Wiedehopf. Dieser ist Sinnbild für den Menschen, der seine Schlechtig­keit unter schönem Gewand verbirgt. Ausstellun­g:

 ??  ?? „Heiliger Hieronymus“, gemalt von Lucas Cranach dem Älteren um 1525.
„Heiliger Hieronymus“, gemalt von Lucas Cranach dem Älteren um 1525.

Newspapers in German

Newspapers from Austria