Von Wohlfühlen bis Übergewicht
WIEN. Früher hat sie sich klein gemacht, wenn im Bus Fremde neben ihr Platz genommen hat. Sie ist ganz an den Rand gerückt, hat sich möglichst schmal gemacht. Nur nicht auffallen, war die Devise. Und keine Diskussion provozieren. Oder gar Beleidigungen. Seit dem Teenageralter hat Sara Ablinger immer wieder probiert, Gewicht zu verlieren. Irgendwann war damit Schluss. Ihre letzte Diät hat sie vor acht Jahren gemacht.
Heute bezeichnet sie sich als dick. Die SN treffen die 31-Jährige in einem Wiener Café. Sie rührt in ihrem Milchkaffee und sagt, dass „dick“kein Schimpfwort mehr für sie sei. Sondern schlichtweg eine Beschreibung. So wie groß oder klein, Dreieck oder Rechteck. Umschreibungen mag Ablinger dafür nicht. „Kurvig, füllig, mollig – können wir einfach wie Erwachsene reden und Dinge beim Namen nennen?“, fragt sie.
Begriffe, die ihr wichtig sind: Selbstliebe und Body-Positivity. Also die gute Einstellung zu sich selbst. Sie arbeitet mit Frauen, die lernen wollen, ihren Körper anzunehmen, wie er ist. Atemtechnik kann dabei etwa helfen. Dicksein hat für die gebürtige Oberösterreicherin nämlich auch eine politische Dimension. „Die Modeindustrie stresst Menschen durch Kleidergrößen. So ist es für viele schwer, sich realistisch zu spüren und wahrzunehmen“, sagt Ablinger.
Noch schärfer formuliert es Nunu Kaller. Die Wiener Autorin rechnet in ihrem Buch „Fuck beauty“mit Schönheitsidealen ab und sagt: „Was uns Werbung und Social Media vorgeben, können wir niemals erreichen. Bilder von Frauen auf Titelblättern sind am Computer bearbeitet. Aber die Industrie listet uns Makel auf – um dann ihre Lösungen zu verkaufen.“Sie hat sich früher als nicht weiblich genug empfunden und an diese negativen Gedanken viel zu viel Zeit verschwendet, wie sie heute sagt.
Bestürzend: 96 Prozent aller Frauen weltweit haben etwas an sich auszusetzen. Nur vier Prozent finden sich wirklich schön. Der Trend, dass sich hierzulande schon Volksschülerinnen Sorgen um ihre Figur machen, wird von sozialen Netzwerken wie Instagram weiter befeuert. Kaller: „Meine Nichte fragt laut, ob sie im Bikini zu dick sei. Sie ist acht Jahre alt.“
Was können Frauen machen, um sich nicht dem Druck von außen hinzugeben und Frieden mit ihrem Körper zu finden? „Frauenzeitschriften erst gar nicht anschauen“, rät Kaller. Sie empfiehlt, sich möglichst viele Informationen zu beschaffen – etwa darüber, wie Werbung arbeitet und wirkt. Ihr hat es geholfen, zu verstehen, wie die Schönheits- und Pharmaindustrie Menschen beeinflusst, um Produkte zu verkaufen.
Körperliebe-Trainerin Sara Ablinger setzt auf Achtsamkeit. Frauen müssten nicht alles an sich lieben, sollten aber anerkennen, dass Körper sich im Laufe des Lebens veränderten. „Wir werden älter, dicker, dünner, bekommen Narben oder Falten. Das sollte uns nie davon abhalten, zu tun, was wir wollen und was uns guttut“, erklärt sie. Für sie zählen Lebenslust und Freude. „Dicke haben eine große Sehnsucht, nicht unter der Lupe zu sein – weder unter der eigenen noch unter einer öffentlichen.“
Wer ständig gegen sich kämpfe, verbaue sich letztendlich das Glücklichsein.
„Die Industrie stresst durch Kleidergröße.“
Gutem Körpergefühl kann man etwa auf Instagram unter #bodypositivity, #radicalselflove, #embrace oder #lovemycurves nachgehen. Realistisches Schönheitsbild: Kennzeichnung für retuschierte Werbefotos wird diskutiert, ebenso Schaufensterpuppen mit realistischen Kleidergrößen. Das fordern Aktivistengruppen. Fettleibigkeit ist in den USA, Mexiko, Neuseeland und Ungarn ausgeprägt. In diesen Ländern gelten mehr als 30 Prozent der Erwachsenen als fettleibig. Hoch ist der Anteil mit 23,6 Prozent in Deutschland. Österreich verbucht 14,7 Prozent.